Michail Bulgakow – Die weiße Garde

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    Zum Inhalt:
    Die stark autobiographisch geprägte Geschichte dreier Geschwister (Alexander, Helena und Nikolka) im Dezember 1918: In Russland herrscht Bürgerkrieg. Die Truppen des kaiserlichen Deutschland haben weite Teile der Ukraine besetzt. Kiew wird zum Sammelbecken für die Weißen: Bankiers, Adlige, Halbweltdamen auf der Flucht vor der roten Gefahr. Unter dem Ansturm der nationalistischen Truppen des Petljura fliehen Deutsche und mit ihnen Verbündete, so der Hetman. Doch bis zur Ankunft der Roten Armee im Februar 1919 werden nur zwei Monate vergehen. Die persönlichen Geschichten der drei Hauptfiguren sind eingebettet in das Treiben der großen Geschichte: Helena wird von ihrem Mann sitzen gelassen, da er mit den Hetmannsleuten flieht. Alexander (in mancherlei Hinsicht Bulgakows Alter Ego) wird sich als Arzt zu Verfügung stellen und verwundet werden. Nikolka steht im Gefecht, während Helena in Bangigkeit daheim wartet. (Quellen: siehe auch Amazon)


    Persönliche Eindrücke:
    Große Verwirrung prägte die Situation im Lande in diesen Jahren um die Oktoberrevolution. Man erahnt ein wenig, dass der Umsturz in Russland eben nicht eine Angelegenheit von einem Tag war, sondern, dass die Konflikte und Frontverschiebungen sich hinzogen und andauerten. Und manchmal waren mehr als zwei Parteien an den Auseinandersetzungen beteiligt! Ich bin dankbar, durch dieses Buch ein wenig die Komplexität der Revolutionsjahre zu erahnen. Es bleibt ungeheuerlich, durch welches Chaos dieses Land teils gegangen ist.
    Dieses Buch ist nicht von derselben stark satirisch geprägten Art anderer Bücher Bulgakows, auch wenn es ebenso hier ab und zu recht groteske Situationen gibt. Im Zentrum, mitten in der „großen Geschichte“, steht doch der einzelne Mensch, bzw. diese drei Geschwister Turbin (ein Familienname mütterlicherseits bei B.) mit ihren allernächsten Freunden. Das Individuum ist eben nicht abgeschafft. Mitten in den politischen Wirren suchen sie nach dem, was man etwas pathetisch Leben und Sinn nennen könnte. Tatsächlich taucht in einem Dialog des Buchanfangs diese „typisch russische“, und doch natürlich universelle, Frage auf: „Wie (kann/soll man) leben?“ Ausgedehnt könnte man Bulgakow auf die Frage hin durchlesen: Wie diese Zeiten der Konflikte und tiefsten Brüche überleben? Was wird uns retten? Gegen Buchende hin gibt er vielleicht einen zutiefst humanen Ansatz: Was Alexander (IHN) und somit letztlich die Familie gerettet zu haben scheint, war das mutige Tun zweier Frauen. Der Einzelne mit seinem Tun nimmt immer entscheidend Anteil an der Geschichte, bzw. dem Schicksal der Personen. Aber vielleicht sage ich dazu nicht mehr?!


    Über den Autor:
    Michail Bulgakow wurde am 15. Mai 1891 in Kiew geboren und starb am 10. März 1940 in Moskau. Nach einem Medizinstudium arbeitete er zunächst als Landarzt, zog aber dann nach Moskau, um sich ganz der Literatur zu widmen. Er gilt als einer der größten russischen Satiriker und hatte zeitlebens unter der stalinistischen Zensur zu leiden. Seine zahlreichen Dramen durften nicht aufgeführt werden, seine bedeutendsten Prosawerke konnten erst nach seinem Tod veröffentlicht werden.


    4ratten

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Ich habe das Buch im Rahmen einer kleinen Leserunde bei den Forumsnachbarn gelesen. Es war Bulgakows Debütroman und zeigt die Wirren der STADT, so wird Kiew benannt, niemals mit dem Namen, nur die STADT.

    Ich habe mir auch das Original runtergeladen, um zu vergleichen, da schreibt Bulgakow immer Gorod (Город =Stadt) also immer mit großem Anfangsbuchstaben wie ein Eigenname.


    Turbulente Jahre nach dem 1. Weltkrieg, zunächst wird das Gebiet der heutigen Ukraine nach dem Frieden von Brest-Litowsk 1917 von den Deutschen besetzt, danach gab es eine Hetman (Hauptmann) Regierung, die auch von den russisch-treuen Monarchisten gestützt werden. Diese wurden von den nationalen Mob-Truppen von Petljura abgelöst, der auch viele Pogrome anordnet.


    Erschreckend waren die Beschreibungen, als die Petljura fast kampflos in Kiew eingezogen sind, die Eliten sind geflüchtet und haben sich auch ins Ausland abgesetzt. Während des Marsches auf Kiew kamen die Truppen auch durch Bucha, was die grausame jüngste Vergangenheit hochkommen lässt und einem einen Schauder über den Rücken laufen lässt.


    Letztendlich kommt es zur "Befreiung" durch die Bolschewiken und der faschistische Petljura wird verjagt.


    In dieser Zeit der Umbrüche handelt der Roman. Die Aktualität ist natürlich heute wieder gegeben. In der aktuellen russischen Propaganda wird auch auf Werke von Autoren verwiesen, von denen Teile aus dem Kontext gerissen werden. Die Geschichte wird passend gemacht.


    Die Erzählperspektiven wechseln sehr oft im Roman, was für mich das Lesen aber interessant gemacht hat, manchmal musste ich die Geschichte wie Puzzleteile zusammenstellen.


    Der Name Turbin (dt. Turbine) passt zu den durcheinander gewirbelten Zeiten. Bulgakow war Arzt und "Die weiße Garde" war sein allererster Roman. Ich fand schon, dass er auch durchwegs Ironie aufweist, wenn er z.B. beschreibt, wie die Leute ihre Wertgegenstände versteckten. Er war ja selber auch Arzt und für einen Quereinsteiger in durchaus gelungenes Debüt.

    Einmal editiert, zuletzt von b.a.t. ()