Adalbert Stifter - Bergkristall

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 6.656 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Yklamyley.

  • Adalbert Stifter - Bergkristall (Der heilige Abend)


    (1845)


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links



    Inhalt


    Am Heiligen Abend machen sich die Geschwister Konrad und Sanna auf den Weg, um ihre Großeltern im benachbarten Bergdorf zu besuchen. Dazu müssen sie den „Hals“, den Pass, der die beiden Dörfer Gschaid und Milldorf trennt, überqueren. Mit den Taschen voll Weihnachtsgeschenken und Leckereien schickt die Großmutter sie zeitig heim, damit sie noch vor Einbruch der Nacht zu Hause ankommen. Die Kinder geraten jedoch in einen Schneesturm und verirren sich.



    Meine Meinung


    Als die Kinder sich verirren, wird nur aus ihrer Perspektive erzählt und erst im Nachhinein erfährt man von der Aufregung, die ihr Verschwinden ausgelöst hat. Dadurch bleiben zumindest aus der Erzählung selbst alle rationalen, ‚erwachsenen’ Empfindungen außen vor. Ganz anders ging es mir als Leser:


    Es lagen Platten da, die mit Schnee bedeckt waren, an deren Seitenwänden aber das glatte grünliche Eis sichtbar war, es lagen Hügel da, die wie zusammengeschobener Schaum aussahen, an deren Seiten es aber matt nach einwärts flimmerte und glänzte, als wären Balken und Stangen von Edelsteinen durcheinandergeworfen worden, es lagen ferner gerundete Kugeln da, die ganz mit Schnee umhüllt waren, es standen Platten und andere Körper auch schief oder gerade aufwärts, so hoch wie der Kirchturm in Gschaid oder wie Häuser. In einigen waren Höhlen eingefressen, durch die man mit einem Arme durchfahren konnte, mit einem Kopfe, mit einem Körper, mit einem ganzen großen Wagen voll Heu. Alle diese Stücke waren zusammen- oder emporgedrängt und starrten, so daß sie oft Dächer bildeten oder Überhänge, über deren Ränder sich der Schnee herüberlegte und herabgriff wie lange, weiße Tatzen.


    Bei dieser Beschreibung ist jedem Erwachsenen sofort klar, dass es ein Gletscher ist, auf den die beiden da gerade zuwandern. Und man muss auch nicht lange nachdenken, um zu begreifen, dass ein Gletscher – zudem mit frischem Neuschnee – nicht nur für Kinder höchst gefährlich ist! Die Kinder hingegen sind in erster Linie fasziniert von dem unbekannten Gelände. Sie irren in Schnee und Eis umher, ohne jemals wirklich panisch zu werden oder Angst zu haben, nicht mehr nach Hause zu finden. Obwohl sich der ältere Bruder der Bedrohung durch die Kälte durchaus bewusst ist, und daher seine Schwester und sich selbst vom Schlafen abhält, begreifen die beiden jedoch nie die ganze Gefahr der Situation. Auch schon früher, als sie sich auf dem Pass im Schneesturm verirren und einfach weiterwandern, fiebert man mit den Kindern mit, obwohl die sich noch nicht einmal darüber im Klaren sind, dass sie sich überhaupt verirrt haben.
    Man wird gezwungen, die Handlung mit Kinderaugen zu betrachten, denkt jedoch ununterbrochen über die Gefahren und Risiken nach und ist deshalb viel aufgeregter und unruhiger als die Hauptpersonen. Diese Diskrepanz zwischen Darstellung und Lesegefühl macht für mich das Besondere an der Erzählung aus.


    Bergkristall ist eine wirklich wunderbare Weihnachtsgeschichte mit überwältigenden Landschaftsbeschreibungen und einer einzigartigen, geradezu 'heiligen' Atmosphäre. Genau das Richtige für einen kalten, winterlichen Adventsabend!



    Liebe Grüße,


    mondpilz

  • Schöne Rezi :klatschen:


    Das Büchlein haben wir in der 8. Klasse im Deutschunterricht gelesen, und damals glaubte ich, es kitschig finden zu müssen, obwohl es mir tief drinnen doch gefallen hatte :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Wobei man ergänzen muss, dass sich die Fassung "Bergkristall" von der Erstfassung "Der heilige Abend" schon deutlich unterscheidet. Die Details müsste ich jedoch hier nachschlagen:


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Stifter: Sämtliche Erzählungen nach den Erstdrucken.


    Sehr guter Anhang, der die Unterschiede erläutert.


    Gruß, Thomas

  • Bergkristall habe ich Anfang November gehört, eine alte Aufnahme (1949) gelesen von Erich Ponto. Ich habe das ganz ähnlich wie mondpilz empfunden, als erwachsener Leser/Hörer macht man sich viel mehr Gedanken als es die Kinder offensichtlich tun. Naja, und ein bißchen kitschig ist es schon auch, aber angesichts dessen, daß es eine Weihnachtsgeschichte ist, darf es das auch sein :breitgrins: Stifter hat sie jedenfalls schön erzählt und ich fand Ponto als Vortragenden auch sehr passend, das war ein recht rundes Hörerlebnis.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • In der Stifter-Gesamtausgabe habe ich früher immer gern gelesen. Müßte ich mir mal wieder besorgen. Die stehen leider bei meiner Mutter. :sauer:
    Steht jedenfalls auf der Such-Liste für den Flohmarkt-Sommer. :zwinker:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Stifter - ich habe eine Hassliebe zu ihm, nachdem mein Doktorvater mich den "Nachsommer" hat lesen lassen. Aber ich fand den "Bergkristall" recht nett, so wie die meisten der "Bunten Steine". Ich denke Stifter ist recht gut für kürzere Geschichten, da kann er sich nicht so oft Wiederholen und die kleinen Einzelheiten sind sehr anschaulich. Ich habe wirklich mit den armen Kindern gefühlt, aber wissend, dass es Stifter ist, an ihrer Rettung nicht gezweifelt.
    Eines der besseren reads von Stifter.

    "Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Maedchen ihre Türen auf" Kurt Tucholsky

  • Stifter läuft erst so richtig in Form auf, wenn er seine langen Romane verfasst ;) ...


    Ja. Seine Geschichten sind gut verdaulich, aber "Nachsommer" und "Witiko" sind Werke wie ich sie sonst noch nicht gefunden habe. Ich habe beide Romane mit Genuss gelesen, ein wenig masochistisch muss man beim Witiko aber schon veranlagt sein. :zwinker:


    Gruß, Thomas

  • Nun habe ich Bergkristall schon etwas früher gelesen als kurz vor den Feiertagen, um mich in winterlich-weihnachtliche Stimmung zu bringen. Die winterliche Stimmung kam beim Lesen tatsächlich auf, die weihnachtliche war mir als Weihnachtsmuffel fast zu dick aufgetragen. :zwinker: Aber ich fand es fantastisch, wie Stifter die Berglandschaft beschreibt, sie regelrecht heraufbeschwört. Ich konnte fast den Schnee riechen. Und der Stil ist herrlich altbacken und gewunden, sowas brauche ich manchmal (auch wenn mir das ständige "Ja, Konrad", sagte das Mädchen. auf die Nerven ging).
    Auch mir ging es wie mondpilz und Aldawen, dass ich zwischenzeitlich unruhig wurde, weil die Kinder naiv in die falsche Richtung gestapft sind - die Beschreibungen des Schneesturms konnte ich nur zu gut nachvollziehen, da ich im letzten Winterurlaub einen ähnlichen erlebt habe.


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Hallo miteinander,


    "Bergkristall" subt bei mir noch als Hörbuch, aber für dieses Jahr habe ich es mir fest vorgenommen.
    Mondpilz Rezi hatte mich auf die Idee gebracht, es zu kaufen, obwohl ich mit Stifter sonst nicht recht warm werde.


    Grüße von Annabas :winken:

  • Bei dieser Gelegenheit muss ich auf den wunderbaren Film von 2004 hinweisen: Klick!


    Den habe ich letztes Jahr mit meiner Familie am 23. gesehen und es war gut, dass es Abend und schon dunkel war, denn so vor versammelter Mannschaft wild herumflennen liegt mir nicht. :zwinker: Auf jeden Fall eine Empfehlung, gerade für die Weihnachtszeit!

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried