Gottfried Keller - Kleider machen Leute

Es gibt 14 Antworten in diesem Thema, welches 7.205 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Ciriana.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Der arme Schneider Wenzel Strapinski wandert ohne Geld und Arbeit durch das Land. Das einzige, was er hat und worauf er Wert legt, ist sein makelloses Äußeres. Eines Tages kommt ihm eine herrschaftliche Kutsche entgegen. Der Kutscher, der die leere Kutsche überstellen soll, nimmt den wandernden Schneider mit.


    Nach einiger Zeit machen sie halt an einem Gasthaus. Beeindruckt von der schönen Kutsche und dem eleganten Äußeren Strapinskis bemüht sich der Wirt sogleich um die Sympathie des vermeintlichen Edelmannes. Er bittet ihn zu Tisch, bewirtet ihn und behandelt ihn wie einen Edelmann. Besonders wohl fühlt sich Strapinski in dieser Rolle nicht, die ihm aufgenötigt wird. Andererseits hat er einfach zu viel Hunger als das Missverständnis aufzuklären. Als der Kutscher dem Wirt gegenüber noch behauptet, es handle sich bei Strapinski um einen Grafen, wird der Schein noch verstärkt.


    Der Kutscher ist mit der Kutsche schon längst weg, als für Strapinski das Elend erst richtig beginnt. Er wird allen wichtigen Leuten der Stadt vorgestellt, zu Veranstaltungen geladen und herumgereicht. Dass noch niemand von ihm zuvor gehört hat, macht nichts. Schließlich ist er ein eleganter Mann mit vorzüglichen Manieren. Sehr beeindruckt ist die Tochter des Amtsrates von dem vermeintlichen Edelmanne. Auch Strapinski verliebt sich in sie. Ausgerechnet bei der Hochzeit jedoch wird die wahre Identität des Schneiders von einem eifersüchtigen Verehrer der Braut bekannt gegeben.


    Doch allen Unkenrufen zum Trotz bleibt die Braut ihrem Bräutigam treu und hilft ihm sogar, sein eigenes Schneidergeschäft aufzubauen, das sodann auch tatsächlich floriert.


    Keller versteht es vorzüglich mit diesem Schwank, in dem auch die Leute von Seldwyla eine Rolles spielen, dem Leser einen Spiegel vorzuhalten. Obwohl Strapinski selbst nie behauptet, ein Graf zu sein, wird er rein durch seine Äußerlichkeit von der Gesellschaft in diese Rolle gedrängt. Wenn es in die eine Richtung so schnell geht, geht’s in die andere Richtung wahrscheinlich genauso schnell. Selbst der reichste Mann wird nach seinem Äußeren mehr beurteilt werden als nach seinem Kontostand.


    Gerade in dieser Zeit, in der Schönheit als Leistung verkauft und als solche auch bewertet wird, kann es ganz lehrreich sein, sich auf dieses Verwechslungsspiel einzulassen. Die Geschichte ist spannend, entbehrt nicht einer gewissen Art von Humor und kann durchaus mal gelesen werden.
    --------------------------------------------------------------------------------


    Gebundene Ausgabe: 71 Seiten
    Verlag: Anaconda (Juli 2006)
    ISBN-10: 3866470525
    ISBN-13: 978-3866470521


    3ratten

  • Auch wenn das Ende typisch Keller sehr prosisch und pessimistisch ist.

    "Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Maedchen ihre Türen auf" Kurt Tucholsky

  • Auch wenn das Ende typisch Keller sehr prosisch und pessimistisch ist.


    Ironisch, zynisch vielleicht gar: ja. "Prosisch" (Du meinst sicher "prosaisch"): nein. Pessismistisch? Insofern als der Ironiker oder gar der Zyniker immer als Pessimisten gelten: Ja.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Vor Jahren mal in der Schule gelesen, das erste ältere Werk damals. An das Ende kann ich mich jetzt gar nicht mehr genau erinnern, jedoch hat mir die Geschichte dieses Hochstaplers sehr gut gefallen, auch wenn die Liebesgeschichte aus meiner Sicht überflüssig ist. Kann es nicht auch mal ein gutes Buch ganz ohne Liebe geben??

  • Ironisch, zynisch vielleicht gar: ja. "Prosisch" (Du meinst sicher "prosaisch"): nein. Pessismistisch? Insofern als der Ironiker oder gar der Zyniker immer als Pessimisten gelten: Ja.


    natuerlich mein ich prosaisch - sorry war schon spaet.

    "Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Maedchen ihre Türen auf" Kurt Tucholsky

  • Nicht prosaisch? Das erstaunt mich. Da siegt doch der Kapitalismus über die Lebenslust, die Ästhetik, auch die unbedachte, vielleicht kindliche Verschwendungssucht, da wird der schöne Wenzel bauchig (kann auch schön sein, klar), der
    Glücksritter zum Rechner und siegt dadurch.
    Ist das nicht auch ein bisschen schade?


    Was für eine Welt. Keller zeigt doch grade, was die Welt verliert, wenn das Geschäft alles andere dominiert. Oder?
    Korrigiert mich bitte, wo ich zu eng oder falsch denke, bin stets dankbar für Lernbares.


    Gruß Rosmerta


  • Nicht prosaisch? Das erstaunt mich. Da siegt doch der Kapitalismus über die Lebenslust, die Ästhetik, auch die unbedachte, vielleicht kindliche Verschwendungssucht, da wird der schöne Wenzel bauchig (kann auch schön sein, klar), der
    Glücksritter zum Rechner und siegt dadurch.
    Ist das nicht auch ein bisschen schade?


    Was für eine Welt. Keller zeigt doch grade, was die Welt verliert, wenn das Geschäft alles andere dominiert. Oder?


    Ja. Aber das ist pure Ironie Kellers.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ja, das glaube ich allerdings auch.
    Nettchen und Wenzel verlieren ihren Zauber, ihre Unschuld, ihre Schönheit - ein happy end gegen den Strich zu lesen.
    Ich frage mich nur, ob Keller hier nicht eben realistisch ist, die Gesellschaft seiner Zeit geht doch genau in diese Richtung....
    Ich hätte genau das halt prosaisch genannt...der poetische Realismus kippt in die Richtung des Realismus...


    Eine Bennenungsfrage?

  • Eine Bennenungsfrage?


    Vielleicht. "Prosaisch" hat für mich den Geschmack des Platten, Uninteressanten. Und das bringe ich höchstens mit Kellers Spätwerk in Verbindung. Ins Realistische kippt Keller m.M.n. nämlich erst mit seinem - nun manchmal wirklich prosaischen - Alterswerk Martin Salander.

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ah, interessant! Für mich hat das Wort nämlich nicht so eine negative Konnotation.
    Ja, "Martin Salander" habe ich auch mal gelesen, in meiner Jugend Maienblüte, ist also lange her.


    Ich denke, ich kann nachvollziehen, was du meinst, das war z.T. auch meiner Empfindung nach, na, sagen wir mal, zu nahe liegend. Da war doch diese merkwürdige Liebesgeschichte zwischen dem Protagonisten und dieser intellektuell zurückgebliebenen Schönen, ein Klischee also...
    In der Tat, das kommt mit der Schönheit und dem feinen Witz von "Kleider machen Leute" nicht mit.
    Besten Dank für deine Antworten.


    LG Rosmerta

  • Eigene Meinung:


    Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute“ spiegelt eine heute noch moderne Art des Umgangs miteinander wieder. Alles besteht nur aus Schein und Sein, Macht und Schwäche, Geld und Schulden. Wer will nicht heute wie ein Popstar behandelt werden, der in großen Autos unterwegs ist, mit goldenen Gliedern behangen wird und nebenher mit der schönsten Frau liiert ist? Wer will nicht auch einmal in den Genuss dessen kommen, was unsere heutige Konsumgesellschaft demjenigen verspricht, der den finanziellen Hintergrund hat?


    „Dir wird alles gegeben, alles aufgetragen, nur entlohne uns auch brav dafür. Wenn du dies tust, ist dir unsere Freundschaft sicher!“ So oder ähnlich kann das Verhältnis zwischen Wenzel Strapinski, einem armen Schneider, umherziehend um eine neue Anstellung zu finden, und dessen neuen Kumpanen, angesehenen Geschäftsleuten aus Goldach und Seldwyla beschrieben werden. Sie sonnen sich in seinem Glanz, bereut ihm Treue zu schwören, um ihn genau dann diese Treue zu entsagen, wenn er sie nötig hat. Es geht nur um das, was man in der Hand halten kann, Geld z.B., und nicht um Gefühle. Auch Nettchen, die „betrogene Braut“ wendet sich, wenn auch nur kurz, ab nach der „verhängnisvollen Offenbarung“, um ihn nachzureisen, ihn zu beleben und zu heiraten.


    Und so ist die Thematik der 1866 erstmals erschienen Novelle des Schweizer Autors Gottfried Keller aktueller und moderner denn je. Und doch, die Aufbereitung dieses Stoffes bleibt dröge, bleibt starr, nur oberflächlich emotional und ohne jede Form von Tiefe. Die Charaktere wirken allesamt blutleer, Strapinski in seinem Handeln moralisch fragwürdig, aber Identifikationsmöglichkeiten bietet er denn noch nicht, ist doch dem Leser nicht immer klar, warum er trotz seiner so groß empfundenen Schande nicht das Weite sucht. Ausgeschaltet wird der vermeintliche Graf von seinem Nebenbuhler, seine Braut haben wollend, die ihm jedoch trotz seiner „persönlichen Schande“ folgt und trotz des androhenden sozialen Abstiegs bei ihm bleibt. Kein Klischee lässt Keller aus, oder vielleicht bildet die Geschichte sogar den neuen Stoff, den sich heute zahlreiche Nackenbeißer und Groschenromane gewidmet haben – Die Geschichte eines Paares, welches nur durch Zufall zusammen findet, trotz ständischer, sozialer und finanzieller Unterschiede, sogar den eigentlich besseren Kandidaten als Heiratspartner ablehnend und somit sogar eine soziale Ächtung in Kauf nehmend.


    Die Frage nach dem Realitätsgehalt dieser Geschichte stellt meiner einer nicht, ist Literatur doch nicht immer ein Abbild der Wirklichkeit, sondern nur eine Imagination einer scheinbaren Wirklichkeit und doch bleibt die Geschichte, auch in ihrer sprachlichen Ausführung, zweifelhaft. Keller umschreibt die Welt der Natur, lässt uns teilhaben an dem Leben in der kleinen Stadt Goldach, an dem Leben der Bauers- und Handwerksleute, aber er lässt uns nicht teilhaben an den Intentionen, den Emotionen, den Gedanken seiner Figuren, die Ausgangspunkt wären für eine „logische“ Handlung. Er bietet Naturbilder, Städtebilder, aber keine Menschenbilder, die für die Handlung wichtig wären. Wie Pappkameraden wirken seine Figuren – jederzeit umwerfbar, jederzeit austauschbar. Identifikationsmöglichkeiten oder auch nur das Gefühl die Figur zu verstehen sind nicht gegeben.


    Und so bleibt am Ende eine Novelle, die einen gute Diskussionsmöglichkeit bieten würde, wäre nicht die Umsetzung dieses Stoffes zweifelhaft, unlogisch, kurzum nicht den ästhetischen Maßstäben meiner Wenigkeit entsprechend. Es bleibt eine brave, leicht überromantische Geschichte ohne viel Form und Gehalt.



    Bewertung:


    2ratten

  • [...] nur oberflächlich emotional [...] Kein Klischee lässt Keller aus [...] ist Literatur doch nicht immer ein Abbild der Wirklichkeit, sondern nur eine Imagination einer scheinbaren Wirklichkeit [...] er lässt uns nicht teilhaben an den Intentionen, den Emotionen, den Gedanken seiner Figuren, die Ausgangspunkt wären für eine „logische“ Handlung [...] keine Menschenbilder, die für die Handlung wichtig wären. [...] Identifikationsmöglichkeiten oder auch nur das Gefühl die Figur zu verstehen [...] wäre nicht die Umsetzung dieses Stoffes zweifelhaft, unlogisch, kurzum nicht den ästhetischen Maßstäben meiner Wenigkeit entsprechend. Es bleibt eine brave, leicht überromantische Geschichte ohne viel Form und Gehalt.


    Nein, Deinen ästhetischen Massstäben entspricht Keller wohl wirklich nicht. Du suchst bei ihm, was er nicht bieten kann ... und findest nicht, was er bieten könnte. Das ist weder Dein Fehler noch der Kellers ... Ich würde Dir wohl eher zu Stefan Zweig raten ...

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Oje, das Buch habe ich in der neunten Klasse gelesen und das ist mittlerweile neun Jahre her. Ich weiß noch, dass ich das Buch damals nicht wirklich verstanden hatte. Ich war allerdings auch nicht ganz bei der Sache. Vllt. sollte ich es mal wieder lesen und gucken, wie ich es heute finden würde, da ich mittlerweile älter bin. Es ist auch immer etwas anderes, wenn man ein Buch freiwillig oder aus Zwang liest.

    Was wäre mein Leben ohne Bücher? Einfach nur leer. <br /><br />Zu viele Bücher, die ich lesen möchte und zu wenig Zeit, sie alle zu lesen.

  • @ Ciriana:
    Das kann ich dir nur raten! Ich habe es auch in der 9. Klasse gelesen, ohne dass wir irgendwelche Informationen über die Epoche oder sonstwas bekommen haben und habe mich total gelangweilt! Jetzt habe ich es mit mehr Hintergrundwissen und im reiferen Alter nochmal gelesen und fand es gar nicht schlecht!
    Ich finde, Gottfried Keller hat einen ganz eigenen Witz und Charme, dem ich mich auch bei "Romeo und Julia auf dem Dorfe" nicht entziehen konnte (na gut, da war es wohl eher der Charme als der Witz! :zwinker:).

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Na dann, werde ich es doch mal lese. Ich kriege in letzter Zeit Lust mal wieder Schullektüre zu lesen, einfach um zu gucken, wie ich die Bücher jetzt finde.

    Was wäre mein Leben ohne Bücher? Einfach nur leer. <br /><br />Zu viele Bücher, die ich lesen möchte und zu wenig Zeit, sie alle zu lesen.