Sony Labou Tansi – The Seven Solitudes of Lorsa Lopez

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 2.202 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Buchbeschreibung:


    'At the time of night when dew begins to form on objects left outside, and while Fartamio Andra's insomniac cocks crowed, we heard a cry from the town square: "Help me! He's killed me!"'
    History has been silenced in this modern African state: only the voices of the dead cry out for justice. It is a cry answered by Estina Bronzario, the Woman of Bronze, determined to act against the political and moral corruption of male-dominated society. Murders escalate, crowds ebb and flow, and the years roll by. But the police never come.
    Sony Labou Tansi's surreal portrait of a despised and incompetent regime is a biting, burlesque fable, incisive in its description of post-colonial colour and chaos.


    [hr]


    Saltanah und ich werden dieses Buch gemeinsam lesen, deshalb habe ich den Thread schon mal eröffnet. Ich fange aber erst heute abend an und da wird es sicher auch nicht mehr als das erste Kapitel werden :winken:

  • So, jetzt habe ich das erste Kapitel noch einmal gelesen. Ein klein wenig geringer ist meine Verwirrung geworden; immerhin habe ich jetzt die Namen einigermaßen im Griff und weiß auch, wer Mann und wer Frau ist. Beim ersten Lesen habe ich mich da öfter vertan - wieso können die nicht für europäische Leser eindeutige Namen haben? :zwinker: - und mir ist auch klar geworden, dass Fartamio Andra und Fatamio Andra do Nguélo Nodalo zwei Personen sind.


    Klar geworden ist mir auch, dass das Land, in dem das Buch spielt, nicht hundertprozentig mit dem Kongo übereinstimmt. Zumindest habe ich die erwähnten Städte auf der Kongokarte nicht entdecken können und die Küste im Buch scheint mir auch länger zu sein als die paar Kilometer in Wirklichkeit.


    Aber ich habe doch weiterhin Probleme mit der Chronologie. Wieviel Zeit zwischen den einzelnen Ereignissen vergeht, wird zwar immer erwähnt, aber trotzdem ist es mir nicht immer ganz klar. Teilweise liegt das wohl an den unglaublich langen Zeiträumen, die vergehen, teilweise an dem nicht ganz einfach zugänglichen Stil.


    Ich finde, das Buch hat einen lateinamerikanischen Flair; mit seinen nicht hundertprozentig realistischen Geschehnissen erinnert es mcih ein wenig an Garcia Marquez magischen Realismus. Trotzdem gefällt es mir aber (was ich von Marquez, dem ollen Macho, ja nicht behaupten kann). Das liegt nicht zuletzt daran, dass Tansi den Frauen eine größere Rolle einräumt.


    Das Hin und Her mit der Hauptstadt ist ja wunderbar! Ich musste bei der Beschreibung, wie alle Gebäude, Brücken, Friedhöfe, Parks und die halbe Kathedrale in die mal wieder neue Hauptstadt verfrachtet werden, ziemlich grinsen. Dabei steckt dahinter natürlich eine wahnsinnige Verschwendung an Ressourcen, die anders viel besser genutzt werden könnten.
    Bezieht sich Tansi hier eigentlich auf eine reale Begebenheit? Zuzutrauen würde ich es manchen Diktatoren durchaus.


    Sehr eindringlich ist dann die Beschreibung des Mordes; die verliert beim Wiederlesen nichts an Horror! Ich frage mich, ob Tansi hier nur einen Mord an einer "wirklichen" Romanfigur beschreibt, oder ob man das als Symbol für Übergriffe auf ein Land oder ein Volk lesen soll.


    Sehr vieles kann ich nicht einordnen. Was soll ich z. B. von der Ananasgeschichte halten? Was hat es mit dem Christuskopf auf sich? Was sind "cycling pigs" (S. 13)? Wofür stehen die schreienden Felsen und der singende Baum? Was ist "the hand that doesn't eat" (S. 26)? (Ist es im Kongo vielleicht so wie in manchen anderen Gegenden, in denen man mit rechts isst und sich mit links den Hintern abwischt - und auf keienen Fall anders herum?) Gibt es wirklich ein Schöpfungsmythos, in dem die Menschen von einem Saurier abstammen?
    Ich könnte mit meinen Fragen noch eine Weile fortfahren; klar ist auf jeden Fall, dass ich bei diesem Buch keinen festen Boden unter den Füßen habe. Ich versuche, Erklärungen zu finden, bin mir aber bewusst, dass ich ganz falsch liegen kann.


    Eine andere Frage ist die nach der Erzählerin. Wer ist "Ich"? Wirklich nur eine weiteres Mitglied auf Estina Bronzarios Zirkel?


    Zusammenfassen könnte ich meine Meinung zum ersten Kapitel so: ich verstehe nichts, aber es gefällt mir!

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Leider habe ich gestern nur ein halbes erstes Kapitel geschafft, weil hier irgendwo eine Veranstaltung war, die die halbe Stadt beschallte. Bei mir kamen zwar „nur“ noch die wummernden Bassrhythmen an, aber von Konzentration konnte trotzdem keine Rede sein :grmpf:



    wieso können die nicht für europäische Leser eindeutige Namen haben? :zwinker: - und mir ist auch klar geworden, dass Fartamio Andra und Fatamio Andra do Nguélo Nodalo zwei Personen sind.


    Hattest Du nicht neulich irgendwo geäußert, Du wolltest mal Portugiesisch lernen? Das würde hier bestimmt auch helfen :breitgrins:



    Klar geworden ist mir auch, dass das Land, in dem das Buch spielt, nicht hundertprozentig mit dem Kongo übereinstimmt. Zumindest habe ich die erwähnten Städte auf der Kongokarte nicht entdecken können und die Küste im Buch scheint mir auch länger zu sein als die paar Kilometer in Wirklichkeit.


    Nein, um den realen Kongo kann es sich nicht handeln, und das könnte aber auch zu einem beträchtlichen Teil Selbstschutz von Tansi gewesen sein. Diktatorische Regime schätzen keine Kritik, auch nicht in Form von Romanen. Aber von einem fiktiven Land muß man sich ja nicht notgedrungen angesprochen fühlen ...



    Ich finde, das Buch hat einen lateinamerikanischen Flair; mit seinen nicht hundertprozentig realistischen Geschehnissen erinnert es mcih ein wenig an Garcia Marquez magischen Realismus.


    Ja, da ist was dran. Wobei ich auch García Márquez' Stil mag.



    Das Hin und Her mit der Hauptstadt ist ja wunderbar!
    (...)
    Bezieht sich Tansi hier eigentlich auf eine reale Begebenheit? Zuzutrauen würde ich es manchen Diktatoren durchaus.


    Das war wirklich klasse. Reale Begebenheit? Es hat in Afrika Hauptstadtwechsel gegeben, drei fallen mir spontan an. Tansania hat seine Hauptstadt von Daressalam an der Küste ins zentrale Dodoma verlegt, wobei Daressalam aber nach wie vor Regierungssitz ist. Ähnliches ist in Côte d'Ivoire passiert, wo Abidjan auch Regierungssitz geblieben ist, Hauptstadt ist aber Yamoussoukro (der Geburtsort des ersten Präsidenten Félix Houphouët-Boigny, der die Verlegung der Hauptstadt angeordnet hat). Einen kompletten Umzug gab es in Nigeria von Lagos nach Abuja. Am ehesten könnte Côte d'Ivoire hier Pate gestanden haben, würde ich vermuten.



    Sehr eindringlich ist dann die Beschreibung des Mordes; die verliert beim Wiederlesen nichts an Horror! Ich frage mich, ob Tansi hier nur einen Mord an einer "wirklichen" Romanfigur beschreibt, oder ob man das als Symbol für Übergriffe auf ein Land oder ein Volk lesen soll.


    Ich gehe von letzterem aus. Tansi hat mit Sicherheit keinen vielleicht besonders brutalen, aber im großen und ganzen handelsüblichen Krimi schreiben wollen. Hier ist alles Kritik und deshalb übertragen zu lesen.



    Sehr vieles kann ich nicht einordnen. Was soll ich z. B. von der Ananasgeschichte halten? Was hat es mit dem Christuskopf auf sich? Was sind "cycling pigs" (S. 13)? Wofür stehen die schreienden Felsen und der singende Baum? Was ist "the hand that doesn't eat" (S. 26)? (Ist es im Kongo vielleicht so wie in manchen anderen Gegenden, in denen man mit rechts isst und sich mit links den Hintern abwischt - und auf keienen Fall anders herum?) Gibt es wirklich ein Schöpfungsmythos, in dem die Menschen von einem Saurier abstammen?


    Ich glaube, da bin ich noch nicht überall „vorbeigekommen“. Die Ananasgeschichte zeigt die wirtschaftliche Abhängigkeit. Das Buch ist von 1985, da waren verschiedene Ausprägungen der Dependenztheorie noch sehr en vogue, hier sehe ich eindeutige Anknüpfungspunkte. Was die Hand angeht, da dürftest Du recht haben, derartige Einschränkungen sind weit verbreitet.


    Im Detail kann ich die Felsen und den Baum auch noch nicht einordnen, aber ein paar mythologische Hinweise vielleicht. Bäume werden häufig von Geistern bewohnt, und so ein Geist hat natürlich eine Stimme, die ein aufmerksamer Zuhörer auch hören und vielleicht sogar verstehen kann, wenn er initiiert ist. Wird aus dem Baum z. B. eine Trommel hergestellt, so muß der Trommelbauer diese Stimme bewahren. Wasser ist bekanntlich in Afrika vielfach eine knappe Ressource, deshalb wird praktisch jedes Gewässer von Geistern bewohnt. Das können auch die Seelen von Toten oder Ertrunkene sein, und das paßt hier sehr gut, den die Felsen im See klagen ja, wie die Erzählerin sagt.


    Mein Lexikon der afrikanischen Mythologie weiß auch zu berichten, daß es bei den Pangwe einen Schöpfungsmythos gibt, der in diese Richtung verweist. Zuerst formte Gott eine Echse, dann den Körper eines Mannes, der bis auf den Schwanz der Echse ähnlich war. Diesen legte Gott zum Einweichen in den Fluß, um ihn nach einer Woche als Mann herauszurufen.



    Eine andere Frage ist die nach der Erzählerin. Wer ist "Ich"? Wirklich nur eine weiteres Mitglied auf Estina Bronzarios Zirkel?


    Vielleicht, dazu habe ich noch keine Meinung.



    Zusammenfassen könnte ich meine Meinung zum ersten Kapitel so: ich verstehe nichts, aber es gefällt mir!


    :breitgrins:

  • So, nun bin ich wenigstens am Ende des ersten Kapitels angekommen. Sehr schön, wie Tansi die Ausbeutung des Landes durch die Industrieländer aufzeigt, und damit hat er nicht einmal übertrieben. Minenkonzessionen und verwandte Rechte werden tatsächlich überall verkauft, wohin das Geld dann fließt, ist eine andere Frage, jedenfalls typischerweise nicht so in den Staatssäckel, daß es der Allgemeinheit zuguten käme (Ausnahme ist Botsuana mit seinen Diamantenerlösen). Nicht einmal die Fischereigeschichte ist übertrieben, denn europäische Fangflotten sind in beträchtlicher Zahl vor der westafrikanischen Küste aktiv, weil hier wegen der jahrzehntelangen Überfischung nichts mehr zu holen ist. Dadurch werden die Bestände dort natürlich auch knapp und für die örtlichen Fischer in ihren nicht-hochseetauglichen Booten ist eine ausreichende Fangmenge immer schwieriger zu realisieren – mit entsprechenden Folgen für die Ausgewogenheit der Nahrungsmittelversorgung in diesen Regionen.


    Und gleich noch ein Mord, wenn auch aus anderen Motiven, es geht ja hier wirklich Schlag auf Schlag. Das Hin und Her mit Leber fand ich trotzdem amüsant, auch wenn ich mir das Bild des „pieces of husband“ nicht zu genau vorstellen darf. Jedenfalls bin ich gespannt, wie die Revolution der Frauen weitergeht, die Ansätze mit der als Trauerdienst für Estina Benta verbrämten Sexverweigerung sind zumindest vielversprechend :breitgrins:

  • Gestern streikte mein Computer mal wieder und ließ mich nichts zum 2. Kapitel schreiben.


    Es beginnt mit einem :entsetzt: : Estina Bronzario wird also auch ermordet werden! Die Frage ist nur, wann. Mir kam der Gedanke, dass die "noch 6130 Tage, dann ist alles vorbei" (S. 1), einer Angabe, mit der ich überhaupt nichts anfangen konnte, sich vielleicht darauf beziehen.
    Estina Bronzario nimmt ihren zukünftigen Tod allerdings recht gelassen hin: Als Tote wird sie tougher sein als lebendig. "Dead I shall be God" (S. 61).


    Hier wird jetzt auch eine Erklärung für das Nicht-Eingreifen der anderen bei Estina Bentas Ermordung geliefert: "the piston gun which had been used to warn off anyone who might try to intervene" (S. 30). Aber die Art der Darstellung (und die Tasache, dass es erst jetzt, Jahre nach der Tat, erwähnt wird) lässt mich glauben, dass dies nicht als wirkliche Entschuldigung für die Untätigkeit gilt.


    S. 33 ff:
    Hier scheint ein Erzählerwechsel stattgefunden zu haben. Plötzlich heißt es nicht mehr "I" sondern "we" und das "we" ist die Bevölkerung der Stadt, vielleicht nur der männliche Teil davon. Später taucht dann wieder das "I" auf. Sehr verwirrend, wie überhaupt das gesamte Buch.


    Ich bin auch am Rätseln, was die "Solitudes" des Titels eigentlich bedeuten sollen. Ich hatte schon in einem Französisch-Wörterbuch nachgeschlagen, ob "solitude" och eine weitere Bedeutung haben kann, aber auch dort fand ich nur "Einsamkeit, Vereinsamung, Zurückgezogenheit; Abgelegenheit, Abgeschiedenheit".
    Auf S. 38 taucht das Wort zum dritten Mal auf. Nach der "Island of Solitude" und den Nägeln, die sich Lorsa Lopez in sein Doppelkinn steckt, ist es hier der Name eines Bordells.


    Das erste Auftauchen eines "Offiziellen" (den Bürgermeister kann ich nicht richtig ernst nehmen) lässt keinen Zweifel an der moralischen Einordnung der Machthaber zu: Carlanzo Mana bringt als sozusagen erste Amtshandlung gleich einen Menschen um. Ziemlich brutal, das Leben im Buch. Das war der dritte Mord, und mehr werden es werden.

    Wir sind irre, also lesen wir!

    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()

  • Ich habe das Buch gestern nacht beendet und bin immer noch völlig verwirrt :spinnen: . Ich kann noch nicht einmal sagen, ob es mir gut gefallen hat oder nicht. Manchmal fand ich es fast schon genial, manchmal hielt ich es für prätentiöses Gelaber. Ich wünsche mir eine deutsche Übersetzung, denn ich hatte des öfteren das Gefühl, versteckte Hinweise überlesen zu haben. Aber vielleicht habe ich auch nichts überlesen, vielleicht existierten die Hinweise auch nicht.


    Ich versuche gerade, meine Gedanken zum Buch in eine schreibbare Form zu bringen, aber auch das will mir nicht recht gelingen.
    Wahrscheinlich müsste man vieles im Buch symbolisch deuten und das ganze als Zustandsbeschreibung eines verwirrten, zerrissenen Landes, das nach langer Fremdherrschaft versucht, seinen Weg zu finden. Die Konflikte des Landes werden anhand der Feindschaft von Valancia und Nsanga-Norda dargestellt - eine Feindschaft, die von den Weißen erst aufgebaut wurde, heißt es irgendwo im Buch, aber leider die Befreiung überlebt. So weit, so gut. Aber was soll ich mit der Tatsache (soweit man in diesem Buch überhaupt von Tatsachen sprechen kann) halten, dass Nsanga-Norda am Ende von Meer verschluckt wird? Das läuft dann ja doch nicht auf eine erwünschte und von mir erwartete Wiedervereinigung der konkurrierenden Landesteile heraus. Aber eine "das halbe Land muss sterben, damit die andere Hälfte gedeihen kann"-Einstellung passt irgendwie auch nicht zu dem Buch, so wie ich es gelesen habe.
    Valancia (ich hoffe, die Stadt heißt wirklich so - mein Namensgedächtnis :rollen: ) und die Küste werde ja auch kritisiert, glaube ich:

    Zitat

    I hope, the Coast will forgive me. We've asked too much of it. We've made it hard. We've created a monster. We've used its stones to make our ribs. We've tried to change its stones into hearts. (S. 112)


    Tja, ich weiß nicht, wie gesagt. Ich weiß auch nicht, ob eine Wieholek zum besseren Verständnis helfen würde, denn ich bin nicht ganz überzeugt davon, dass es etwas besser zu verstehen gibt, oder ob Tansi hinter seinen mysteriösen Sätzen vielleicht nur heiße Luft versteckt. Jedenfalls wünschte ich, er hätte sein Buch leichter zugänglich gemacht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Irgendwie klappt das diese Tage nicht so recht mit dem geplanten Lesepensum, daher bin ich noch nicht fertig :sauer:


    Noch bin ich nicht ganz sicher, weil ich ja schließlich auch noch ein Stück vor mir habe, und kann es bislang auch noch nicht richtig greifen, aber mein Eindruck ist, daß die Toten einzelne Mißstände und Ausprägungen des kritisierten Regimes versinnbildlichen. Dazu muß man vermutlich den Auslöser und die Art des Todes in Beziehung zueinander setzen, was mir bei dem dritten Mord im Moment durchaus schon gelingt, über die beiden ersten muß ich in der Beziehung noch nachdenken. Das fällt mir im gegenwärtigen Schwitzkasten zugegebenermaßen etwas schwer.



    Die Konflikte des Landes werden anhand der Feindschaft von Valancia und Nsanga-Norda dargestellt - eine Feindschaft, die von den Weißen erst aufgebaut wurde, heißt es irgendwo im Buch, aber leider die Befreiung überlebt. So weit, so gut.


    Innere Konflikte auf Grund ethnischer Zuschreibungen sind ja fast keinem afrikanischem Staat fremd, daher ist das sicher ein unterschwelliges Thema. Und auch wenn Afrika vor Ankunft der Europäer natürlich kein kriegsfreies Paradies war, so ist die starke Betonung von Ethnizitäten vermutlich wirklich ein Erbe der Kolonialzeit. John Iliffe, einer der bedeutendsten Afrika-Historiker, hat es in seinem Buch A Modern History of Tanganyika so formuliert:


    [quote author=S. 324]Europeans believed Africans belonged to tribes; Africans built tribes to belong to[/quote]

  • Inzwischen bin ich natürlich auch durch, und vielleicht nicht ganz so verwirrt wie Saltanah, aber doch auch ziemlich. Das ganze ist so hochgradig symbolisch, daß man ohne weiteres mehr als eine umfangreiche Interpretation dazu anfertigen könnte.


    Daß Nsanga-Norda am Ende dem Meer zum Opfer fällt, nach der grausigen Ermordnung von Estina Bronzario, ist für mich konsequent. Estina war so alt, daß schon keiner mehr wußte, wie alt eigentlich. Und ihr Wissen, ihre Abstammung aus der Gründerlinie und ihr Bewußtsein ihrer größeren Macht nach ihrem Tod, sind zumindest auch auffällig. Eine solche Repräsentantin zu töten heißt, altes Wissen zu vernichten, Traditionen zu beenden. Dies geschieht ausgerechnet von Nsanga-Norda aus, der Hauptstadt und damit dem Sitz der Autorität. Diese mißbraucht ihre Möglichkeiten, um die im Grunde ja harmlose Estina Bronzario aus dem Weg zu räumen. Diese Schandtat muß gesühnt werden, auch wenn damit nichts vom „Alten“ gerettet wird. Verloren ist verloren. In einem solchen Zusammenhang ergibt auch die von Dir zitierte Kritik an der Küste einen Sinn: Nämlich als Kritik an einer Erstarrung in Traditionen, die sich veränderten äußeren Umständen nicht mehr anpassen lassen – weil niemand will oder kann.


    Anderes ist unmittelbarer, glaube ich. Der Mord an Salmano Ruenta durch den Vertreter des Innenministeriums, Carlanzo Mana, könnte sehr gut symbolisch für die Übergriffe diktatorischer Regime gegen die „einfache Bevölkerung“ stehen, die nur versucht, in ihrem Leben auch ein bißchen Freude zu haben. Und als der Handlanger nicht mehr so funktioniert, wie er soll, wird er eben auch beseitigt. Estina Benta könnte sehr gut als Symbol für die untergeordnete Stellung der Frauen durchgehen, denen gegenüber man sich so ziemlich alles erlauben kann, bis hin zur Ermordung. Der Fleischer erschließt sich mir bislang noch nicht, auch nicht unter Berücksichtigung seiner Position als kleiner „Stadtoffizieller“, der einigen Amtsmißbrauch betrieben haben mag. Der Prozeß gegen den Papagei zeigt natürlich ganz wunderbar, daß es nur darum geht, einen Schuldigen zu haben, von Logik keine Spur – auch das nicht untypisch für Regime dieser Art.


    In dieser Art könnte man sicher noch eine Weile weiterpuzzeln, und vermutlich könnte man es auch ganz anders lesen. Mir wäre eine gute deutsche Übersetzung auch willkommen, denn ich habe auch das Gefühl, daß mir das ein oder andere entgangen sein könnte, aber ich befürchte, damit ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ...