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Inhalt: Die junge Literaturwissenschaftlerin Tanja Lucić ist mit ihrem Mann Goran aus dem Bürgerkriegsjugoslawien geflohen, in Berlin findet die Beziehung ein Ende. Goran will so weit weg von diesem Ex-Land wie möglich und findet die Gelegenheit, als er ein Angebot nach Japan erhält. Tanja hingegen bekommt über eine Freundin die Möglichkeit, zwei Semester „serbo-kroatische Literatur“ an der Universität von Amsterdam zu unterrichten. Ihre Studenten dort brauchen die Immatrikulation zur Sicherung ihres Aufenthaltsstatus und sind im wesentlichen mit der Einrichtung ihres Lebens beschäftigt. So unterschiedlich wie die Lebensläufe sind auch die Vorkenntnisse, so daß Tanja beschließt: Ein „normaler“ Unterricht gemäß Lehrplan hat keinen Zweck. Alle sind Exilanten mit einer nicht mehr existenten Heimat, Rekonvaleszenten nennt Tanja diese Gruppe, von der sie selbst ein Teil ist. Sie beginnt mit ihren Studenten ein Experiment in Jugo-Nostalgie und sucht die Gemeinsamkeiten in den Erinnerungen, die unabhängig von der Volksgruppe sind. Das funktioniert eine Weile ziemlich gut, die Studenten und ihre Lehrerin fassen vorsichtiges Vertrauen zueinander, bis Tanja vom Institutsleiter gesagt bekommt, ihr Unterricht sei als ineffizient kritisiert worden. Tanja reagiert darauf mit harter Linie und striktem Lehrplan.
Meine Meinung: Die Oberflächenhandlung gibt nur wenig Eindruck von dem, was diesen Roman-Bericht eigentlich ausmacht. Es ist sicher kein Zufall (auch jenseits der Biographie der Autorin), daß die Protagonistin ausgerechnet Literaturwissenschaftlerin ist und ein entsprechendes Seminar halten soll. Sprache ist hier eines der Schlüsselthemen, Heimat ein weiteres.
Was hier mit Sprache alles angerichtet wird, ist bemerkenswert und teilweise erschütternd. Das zeigt sich nicht nur unmittelbar in der Studentengruppe, wo nationalistische Gefühle das ein oder andere Mal hochkochen, sondern vor allem auch darin, wie die Studenten mit ihrer Muttersprache umgehen. Das Fach gewählt haben sie, weil es für das einfachste und naheliegendste ist, aber sie haben sehr unterschiedliche Haltungen dazu. Einige sprechen mittlerweile fließend Holländisch und erklären auch, daß sie sich in dieser Sprache am wohlsten fühlen. Andere durchsetzen ihre Sprache mit Anglizismen, um sie sich erträglich zu machen. Keiner ist in der Lage oder willens, sich mit der Muttersprache um ihrer selbst willen zu beschäftigen. Trotzdem suchen sie über diesen Weg des Studiums auch eine Klärung ihrer Identität, eine Chance, ihre zerbrochenen Leben wieder zu flicken und sich neu zu positionieren. Ich fand es gut nachzuvollziehen, wie mit dem Verlust der Sprache und damit sicher der differenziertesten Ausdrucksmöglichkeiten, die ein Mensch hat, auch Identität verloren geht. Wenn ich nicht mehr alles sagen kann, was ich sagen will: Was tue ich dann mit meinen Emotionen, angesichts solcher Erlebnisse, wie diese Studenten sie hinter sich haben?
Zumal, und das ist der zweite Aspekt, wenn die Heimat wegen der Auflösung keine mehr ist. Für die meisten der Studenten ist eine Rückkehr selbst in die neu entstandenen Länder, keine Option – sei es wegen der damit verbundenen Erinnerungen, sei es ganz pragmatisch, weil sie als Deserteure vor der Armee geflüchtet sind. Und selbst die, die zurückkehren, finden sich nicht mehr zurecht. Tanja selbst fährt für einen Urlaub zu ihrer Mutter nach Zagreb und scheitert in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur verläuft sie sich in Zagreb, weil die Straßen umbenannt wurden und auch sonst nicht mit ihrer Erinnerung übereinstimmen, sie ist im Vergleich zu jenen, die geblieben sind, auch quasi aus der Zeit gefallen. Diese sind nämlich längst schon so weit, daß sie den Krieg als „lange vorbei“ von sich geschoben haben (was aus Gründen des schlichten Weiterlebens wahrscheinlich auch nötig ist), während für Tanja alles „gestern“ war. Die Gedanken der Exilanten kreisen so sehr um ihr eigenes Schicksal, weil sie auch praktisch nichts anderes zu tun haben, daß sie gar nicht dazu kommen, die Ereignisse zu verarbeiten, sich davon zu lösen und zu distanzieren.
Die Erzählweise selbst schwankt, und das ist durchaus angemessen, zwischen Fiktion und Bericht, und entwickelt daraus einen recht eigenen Sog. Es ist auf jeden Fall ein interessanter und nachdenklich machender Blick auf kriegsbedingte Migration, der das „Danach“ der geglückten Flucht und bloßen Rettung von Leib und Leben ins Visier nimmt.
Schönen Gruß,
Aldawen