Shan Sa - Die Go-Spielerin

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 3.007 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

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    Inhalt
    Mit vier Jahren bekommt die Erzählerin von ihrem Cousin das Go-Spielen beigebracht. Das Mädchen hatte schon immer einen unbändigen Wunsch, zu siegen und war aufgrund ihrer Erfolge die erste Frau, die auf dem Platz der tausend Winde spielen durfte. Da ist sie 16. Ihr Cousin ist mittlerweile unsterblich verliebt in sie, doch sie weist ihn ab. Nach ihrem letzten Sieg über ihn verläßt er seine Heimatstadt. Doch die Zeiten ändern sich: die Japaner haben die Mandschurei besetzt und auch die politische Situation in China selbst ist nicht mehr stabil. Sie verliebt sich zum ersten Mal, doch sie kann auch vom Go-Spiel nicht lassen. Dann kommt ein geheimnisvoller Mann auf den Platz der tausend Winde und fordert sie zum Spiel auf. Die beiden verbringen Stunden beim Spiel gegeneinander ohne dass sie sein Geheimnis kennt: er ist ein japanischer Agent.


    Meine Meinung
    Die Go-Spielerin wird aus zwei Perspektiven erzählt: der des jungen Mädchens und der des japanischen Soldaten. Das Mädchen erzählt von den Nöten und Sehnsüchten einer Sechzehnjährigen im damaligen China. Auf der einen Seite ist sie deutlich reifer als ihre Klassenkameraden, auf der anderen Seite ist sie in vielen Dingen noch ein Kind. Ihr Gegner beim Spielen ist zerissen zwischen der Pflicht, die ihn die Chinesen als Feinde zu sehen zwingt und den Gefühlen seiner Gegnerin beim Spiel gegenüber. Beide erzählen von den gleichen Begebenheiten, aber aus anderen Blickwinkeln und gewährt dem Leser einen Einblick in die Seelenwelt von zwei völlig verschiedenen Menschen. Das macht unter anderem den Reiz dieses Buchs aus. Für mich ist Die Go-Spielerin eine der Entdeckungen des Jahres.
    5ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Die Struktur des Romans ist tatsächlich interessant angelegt, mit den kapitelweise abwechselnden Erzählperspektiven des chinesischen Mädchens und des japanischen Soldaten, die beide in der Ich-Form erzählen. Aber diese Konstruktion ist stümperhaft ausgeführt. Beide Erzählstränge sind in der Gegenwartsform geschrieben, was dem Ganzen zwar das Gefühl einer Gleichzeitigkeit gibt, es wird aber ständig durch Rückblenden in die Vergangenheit des jeweils Erzählenden zerstört. Erst in der Mitte des Buches sind die rückgeblendeten Vergangenheiten der Erzähler so weit zeitlich aufgearbeitet, dass beide in der tatsächlichen Gegenwart der Go-Partie angekommen sind. Ein weiterer misslungener Versuch der Gegenwartsliteratur, in der Präsenzform zu erzählen.


    Neben dieser grammatikalischen Fehlkonstruktion hat die Autorin auch nicht die geringste Ahnung vom Go-Spiel und ergeht sich in angelesenen Spinnereien über die angeblichen philosophischen Tiefgänge des Spiels. Go-Steine, die einmal gesetzt unverrückbar auf dem Brett stehenbleiben, wirbeln bei Shan Sa "gelenkig umher ... in kreisenden Spiralen", die Spieler "tauchen ein in die Abgründe der Mathematik" um dann festzustellen, dass Go "auf die Berechnung pfeift, die Phantasie brüskiert... das Spiel der Lüge", oder dass Go "ausschließlich der Elite vorbehalten ist, eine Zeremonie, die mit allerhöchstem Respekt zelebriert wird". Aber auch die beiden Spieler selbst haben offenbar vorher noch nie Go gespielt, wie ihre amateurhaften ersten Züge der Partie zeigen. Und dass die Züge des Mädchens im Endspiel "schneller und schneller" werden, das Mädchen "immer listiger" werde, beweist, dass nicht vom Go-Spiel die Rede ist, sondern höchstens von einer weit hergeholten Metapher. Ein weiterer sprachlicher Fehlgriff ist, dass die Ränder des Spielbrettes - wie auf dem französischen Schachbrett - von dem chinesischen Mädchen und vom japanischen Soldaten mit Himmelrichtungen Norden und Süden usw. bezeichnet werden, statt mit oben und unten. Spätestens in der deutschen Übersetzung hätte dieser Frankismus(?) bereinigt werden müssen, zumal auch Japaner auf dem Go-Brett definitiv nicht in Himmelsrichtungen denken und Chinesen wohl auch nicht, außer vielleicht in mythischen Urschriften über das Spiel aus dem drittletzten Jahrtausend, was ich aber bezweifele.


    Dass eine derartige Verballhornung des Go-Spiels es durch die Lektorate an sich angesehener Verlage geschafft hat, liegt wohl an dem durch von Kenntnis völlig verschont gebliebenem Exotismus aufgeputschten Hype in den fränzösischen Literatursalons, dem sich alle zustimmend-nickend wissend-unwissend gerne anschließen. Die wenn auch mangelhaft ausgeführte theoretisch sehr interessante Grundkonstruktion von Sprache und Handlung des Romans zeigt aber, dass Shan Sa ein gewisses, bisher unter einigen deutschsprachlichen Steifigkeiten der Übersetzung vergrabenes Schreibtalent besitzt, das hoffentlich in ihrem von mir (noch?) nicht gelesenen Spätwerk zur Entfaltung gekommen ist.


    Daher zwei Ratten, eine davon eine Vorschussratte: 2ratten