Lars Sund – Der Wolkenkletterer

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    Inhalt: Der 94jährige Otto lebt in einem Altersheim, aber eines Abends wirft er sich in seinen Fliegeroverall, steigt in ein Paar Gummistiel, setzt eine lederner Fliegerkappe und eine Ray-Ban-Sonnenbrille auf und zertrümmert mit einer Sense den Fernseher des Heims. Anschließend begibt er sich auf eine Flucht mit seinem Enkel Carl-Johan. Auf dieser Flucht erzählten sich Großvater und Enkel die Familiengeschichte. Carl-Johan hat vieles rekonstruiert, manches ist verloren, anderes (aber nicht alles) offenbart Otto.


    Otto und seine Schwester Ida sind in den USA geboren, aber ihre Mutter Hanna kehrte mit ihnen nach dem Tod ihres Mannes nach Finnland, nach Siklax in Österbotten zurück. Dort eröffnet Hannah einen erfolgreichen Gemischtwarenladen. Ida heiratet Gustav Smeds, den Sohn des unbestrittenen Gemeindeführers, der den Hof übernehmen mußte, weil sein Bruder Erik im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Otto wird als junger Mann Alkoholschmuggler, verdient zwar gutes Geld, setzt sich aber auch einigen Risiken aus. Schließlich muß er unter Mordverdacht fliehen, was seine Mutter und Schwester großem Druck in der Gemeinde aussetzt. Aber vieles beruhigt sich doch wieder. Schlimmer läuft es für Ida, die mit Gustav zwar einige gute Jahre hat, aber als Gustav sich der Lappo-Bewegung anschließt und bei einer Aktion etwas schiefgeht, wird er zum Säufer und zur Belastung für die Familie. Auch der Hof gerät in Gefahr. Und damit sind die Familiengeheimnisse und -wirrren noch lange nicht erschöpft ...



    Meine Meinung: Im Grunde handelt es sich um eine Art „Fortsetzung“ zu Lunds Roman Der Kanisterkönig, in dem wohl vor allem Hannas Geschichte erzählt wird, aber ich hatte nicht das Gefühl, daß man diesen unbedingt vorher gelesen haben muß. Der Ich-Erzähler Carl-Johan hat über Jahre hinweg akribische Recherchen betrieben, um die Geschichte der Familie in den ersten rund vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts nachzuvollziehen – eine Zeit, die offensichtlich für Finnland bis heute in Teilen fast traumatisch ist und nur mühsam aufgearbeitet werden kann. In der Familie finden sich Vertreter aller Positionen von den Kommunisten bis zu den Faschisten, aber was Überzeugung, was Trotz, was Fassade ist, das ist nicht leicht zu durchdringen – auch für Carl-Johan nicht.


    Otto hat seine eigene Wahrheit, und was und wieviel er davon seinem Enkel kurz vor seinem Tod eröffnet, das bestimmt er in engen Grenzen selbst. Zumindest ist es aber soviel, daß nicht nur Carl-Johan, sondern auch der Leser am Ende ein recht rundes Bild von der Familie und den Ereignisse hat. Dabei heißt es aber aufmerksam bleiben, denn durch eine völlig unchronologische Erzählweise muß man viele Details im Hinterkopf behalten, bis an sie wieder angeknüpft und Verbindungen geschaffen werden. Leider haben sich gerade zum Ende hin ein paar Fehler eingeschlichen, z. B. werden offensichtlich Namen vertauscht. Ob das bei der Übersetzung passiert ist oder auch ein Problem der Originalausgabe, weiß ich natürlich nicht.


    Nichtsdestotrotz fand ich es interessant, zumal im Vergleich bzw. als Ergänzung zu Kjell Westös Vom Risiko, ein Skrake zu sein, in dem in der Familiengeschichte der gleiche politische Konflikt eine Rolle spielte. Bemerkenswerterweise sind beides finnland-schwedische Romane, und ich habe, wenn ich sie mit anderen finnischen Romanen vergleiche, auch den Eindruck, daß hier tatsächlich Mentalitätsunterschiede spürbar sind.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen