Elizabeth von Arnim - Christine

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    Originaltitel: Christine (Autorin(Pseudonym): Alice Cholmondeley)


    Kurzbeschreibung:
    Berlin, Sommer 1914: Für Christine geht ein langgehegter Wunsch in Erfüllung - ein Jahr lang wird sie Unterricht bei einem berühmten Geigenvirtuosen nehmen. Und da gibt es einiges zu berichten über die Hauptstadt, Deutschland und die Deutschen - Amüsantes und nachdenklich Stimmendes....


    Das Buch erzählt nur von einem Sommer und bereits im Vorwort erfährt man vom tragischen Ende dieses Sommers - das Ende der Erzählerin fällt mit dem Ende des Friedens in Europa zusammen. Übrig geblieben sind nur ihre Briefe, von ihrer Mutter gesammelt und veröffentlicht, in denen sie ihre Eindrücke aus dem Vorkriegs-Berlin schildert. Im Nachwort erfährt man durch einige biographische Einzelheiten, was Elizabeth von Arnim zu diesem Buch bewogen haben mag und die wahre Geschichte ist ungefähr genauso tragisch wie die erdachte.


    Die Erzählerin Christine fühlt sich einsam in Berlin und nicht nur wegen unzureichender Sprachkenntnisse ausgeschlossen, so dass sie all ihre Gedanken und Gefühle den Briefen an ihre Mutter anvertraut. Wenn ich allerdings meine Mutter, in Briefen an sie, so überschwänglich loben und mit Liebesbekundungen überschütten würde, würde sie ganz gewiss anfangen sich Sorgen zu machen und sich fragen, welche Drogen ich nehme. Im Laufe des Buches geht einem diese Mutterlobhudelei schon ein wenig auf den Geist, das schmälert aber nicht den Haupteindruck den dieses Buch macht. Man erlebt mit Christine, wie die Situation immer bedrohlicher wird bis niemand sich ihr mehr entziehen kann und man empfindet dabei verzweifelte Wut über die Zerstörung eines jungen Glücks, exemplarisch für die Vernichtung einer gesamten Generation.


    „Christine“ ist 1998 erstmals übersetzt worden, das Buch ist 1917 in der Originalfassung erschienen und erklärt mitten im ersten Weltkrieg - ohne Beschönigung - wie es zu diesem Krieg kommen konnte, ja musste. Elizabeth von Arnim zeichnet das Bild eines obrigkeitshörigen, kriegslüsternen Deutschland, das sich überlegen fühlt, aber dabei fürchtet, dass diese Überlegenheit nicht anerkannt wird, sich bedroht fühlt, was wiederum zu einer starken Aggressivität führt. Bei Hunden würde man so etwas, glaube ich, Angstbeißer nennen. Ihre Analyse wirkt auch im Abstand von fast 100 Jahren noch erstaunlich treffend. In gewisser Weise ist der Deutsche wie Elizabeth von Arnim ihn schildert schon ein Klischee, aber ein Klischee, wie es auch von zeitgenössischen deutschen Autoren genutzt wurde, eben weil es so dicht an der Wahrheit war, ihre Analyse „des Deutschen“ erinnert mich immer wieder an den "Untertan" von Heinrich Mann.


    Christine ist leicht zu lesen und bietet dabei einen interessanten Einblick in Deutschland am Vorabend des ersten Weltkriegs. Für an dieser Epoche Interessierte eindeutig empfehlenswert.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von illy ()

  • Meine Eindrücke
    Die junge Engländerin Christine darf nach Berlin, denn ihre Mutter ermöglicht ihr ein Studium bei dem berühmten Geiger Kloster. Sie kommt in der Pension von Frau Berg unter, aus der sie regelmäßig per Brief an ihre Mutter berichtet, was sie erlebt. Ihre Briefe beginnen Damit reist sie just kurz vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand in die deutsche Hauptstadt und erlebt aus nächster Nähe mit, wie sich das Land für den Krieg rüstet.


    Die Briefe Christines gliedern sich für mich in verschiedene Bereiche. Einen Teil widmet sie fast immer ihrer Mutter, die sie offensichtlich sehr liebt. Fast schon übertrieben lobpreist sie die Beziehung zu ihr. Dieser Teil war anfangs noch gut zu lesen, wird auf Dauer aber viel zu schwülstig und geradezu anstrengend. Die perfekte Mutter, die perfekte Tochter, die ideale Beziehung. Das ist eher unwahrscheinlich und für mich nicht einmal mit Heimweh erklärbar. Einen weiteren Teil machen selbstverständlich ihre Fortschritte beim Geigenspiel aus, das sie hervorragend zu beherrschen scheint. Sie träumt von einer Karriere als Geigerin und bekommt auch von Kloster bestätigt, dass sie das Zeug zu einer der Großen ihrer Zunft hätte.


    Ein letzter Teil sind die privaten Erlebnisse. Kloster macht sie mit verschiedenen Leuten bekannt, darunter einer gräflichen Familie, vermutlich mit der Idee im Hinterkopf, Christine und ihr Spiel bekannt zu machen, vielleicht Mäzene zu finden und ihre Prominenz zu fördern. Gleichzeitig ermöglicht ihr diese Bekanntschaft, Deutschland nicht nur aus der Perspektive der Pensionsgäste zu erfahren, sondern auch aus der Perspektive des Adels. Abgesehen von ihrem Geigenlehrer, der ihr ohne Vorbehalte entgegen tritt, erlebt Christine nicht nur die Mobilmachung der Deutschen und deren Wahn nach einem Krieg, sondern auch die für sie beengenden Erwartungen an eine anständige, junge, zurückhaltende Frau. Mehr als einmal retten Christines schlechte Deutschkenntnisse sie davor, Widerworte zu geben und sich mit ihren Gesprächspartnern anzulegen.


    Insgesamt liefert "Christine" ein gutes Bild vom Deutschland 1914 ab. Aus der Perspektive einer Ausländerin wirken die verbissenen Berliner sehr beängstigend und die junge Frau stellt gezwungenermaßen Fragen. Sie bekommt sie nur nicht beantwortet, weil sich die Frauen in Deutschland häuslich und gesittet benehmen müssen und die zarten Köpfchen bloß nicht überanstrengen sollen. Und dennoch empfand ich das Buch als eher mühsam, weil sich immer wieder die Lobpreisungen der Mutter dazwischen schlichen.


    "Christine" dürfte unter den autobiografisch geprägten Büchern von Elizabeth von Arnim das persönlichste sein, denn die Autorin hat ihre Tochter Felicitas verloren, ohne sie vorher nochmals sehen zu können - ähnlich, wie auch Christine fern der Mutter an Lungenentzündung stirbt, ohne dass sich die beiden vorher noch einmal treffen können. Sicher ist das Buch vielmehr eine Aufarbeitung des Erlittenen und tönt infolgedessen im Groben und Ganzen recht trüb. Während Christine zwar eine gute Chronistin der Berliner Zeit ist, macht die schwülstige Aufarbeitung das Buch jedoch nicht zu von Arnims Favoriten bei mir.


    2ratten

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa