[Marokko] Mohammed Mrabet – Der große Spiegel

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    Inhalt: Trotz eines unguten Gefühls heiratet Ali die schöne Rachida. Diese verbringt ihre Tage im wesentlichen vor dem großen Spiegel im Ballsaal des riesigen Hauses in Tanger, das Ali anläßlich seiner Hochzeit gekauft hat. Schon früh ahnt Ali, daß mit seiner Frau etwas nicht stimmt, das erste echte Entsetzen breitet sich aus, als er eines Tages nach Hause kommt und feststellen muß, daß Rachida den kurz zuvor geborenen Sohn umgebracht hat. In der Folge häufen sich Tote mit durchschnittenen Kehlen in der Nachbarschaft, der Spiegel im Ballsaal zeigt nicht das, was vor ihm steht, Rachida entwickelt eine merkwürdige Vorliebe für die Kombination Rot und Weiß, besonders in Form von rotem Blut auf weißer Kleidung, und Ali bekommt „Besuch“ von einem Paar, die ihn mit ihrer Tochter – Rachidas „Ebenbild“ im Spiegel – verheiraten wollen, weil er es versprochen habe. Als Ali auch noch seine Frau tot und blutüberströmt vor dem Spiegel auffindet, sucht er einen Weg, sich aus diesem wahnsinnigen Kreislauf des Blutes und der Gewalt zu befreien.



    Meine Meinung: Zunächst sollte man wissen, daß Mrabet selbst nicht schreibt, er ist Erzähler in Tanger. Aufgeschrieben und aus dem Moghrebi übertragen wurde diese Erzählung (neben vielen anderen) von Paul Bowles. Die Herkunft aus einer mündlichen Erzähltradition merkt man dem Text auch nach der doppelten Übersetzung von Moghrebi übers Englische ins Deutsche immer noch am Sprachrhythmus an. So etwas gefällt mir immer schon ganz gut.


    Schwieriger ist es mit dem „Rest“. Mrabet mischt hier bunt Elemente verschiedenster Herkunft durcheinander: Schauergeschichten, Märchen, psychologische Erzählungen, Romanze ... das alles mit einem durchaus orientalischen Flair, das an Tausendundeine Nacht erinnert ohne aber in weitschweifige, blumige Formulierungen geschweige denn ins Schwülstige abzudriften, sicher auch etwas, was durch das mündliche Erzählen begünstigt wird. Problematisch ist schon eher die Masse an Motiven, die sich aus dieser Mixtur ergibt, und die angesichts der Kürze des Textes nur gestreift werden bzw. in sehr symbolhafter Verknappung auftreten.


    Rachidas Schönheit ist von Beginn an kein begehrenswertes Ideal, denn Ali stellt fest: Zuviel Schönheit. Das beunruhigt mich. (...) Ich weiß, man sagt, daß nur Gott Leben geben und Leben nehmen kann. Doch diese Art von Schönheit könnte einen Mann zum Leben erwecken oder ihn umbringen. (S. 6) Damit ist der Erzählton schon vorgeben. Daß Rachida ganze Tage vor dem großen Spiegel verbringt und ihre Garderobe anprobiert, zeigt Eitelkeit, die in Selbstbezüglichkeit führt. Und mit dem Spiegel und dem, was er zeigt (nämlich anderes als den Raum und die Personen vor ihm, manchmal auch nichts), werden Hinweise auf eine psychische Erkrankung gegeben. Inwieweit dies nur Rachida oder auch Ali betrifft, bleibt anfänglich offen, am Ende war ich recht sicher, auch Ali als krank bezeichnen zu müssen.


    Gleichwohl bleibt manches an den auftretenden Themen wenig greifbar, was vermutlich auch damit zu tun hat, daß wir mit einer anderen Formelsprache aufgewachsen sind und deshalb nicht alle Symbole so entschlüsseln, wie es ein direkter Zuhörer Mrabets tun würde. Ich nehme zwar an, daß bestimmte Motive wie der Spiegel in den Grundzügen eine gewisse universelle Bedeutung haben, Unterschiede im Detail mag es aber geben, die für den Gesamtkontext wichtig wären. Solche Texte vertragen daher eigentlich ein umfangreiche(re)s erläuterndes Nachwort statt nur einer kurzen editorischen Notiz wie in diesem Fall. So bleibt bei mir zwar eine gewisse Faszination, aber eben auch Ratlosigkeit zurück.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen