Juan Carlos Onetti - Ein verwirklichter Traum

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    In diesem Sammelband sind zehn Erzählungen von Onetti versammelt, die sich mit den Abgründen der menschlichen Seele befassen.



    [li]Ein verwirklichter Traum: ein Intendant soll für eine Unbekannte ein ganz besonderes Stück inszenieren, um sie aus ihrer Einsamkeit zu erlösen[/li]
    [li]Willkommen, Bob: zwei verfeindete Männer sind durch eine Frau verbunden - die Schwester des einen soll die Verlobte des anderen werden[/li]
    [li]Esbjerg, an der Küste: ein Mann verstrickt sich in kriminelle Machenschaften, um seiner Frau ihr Heimweh zu nehmen[/li]
    [li]Jacob und der andere: ein in die Jahre gekommener Boxer tingelt mit seinem Manager durch die Provinz, um dem letzten Kampf zu entgehen[/li]
    [li]Die Zwillingsschwestern: eine nächtliche Begegnung mit zwei Schwestern, die sich prostituieren[/li]
    [li]Dasein: ein Mann greift zu ungewöhnlichen Maßnahmen, um seine Geliebte wieder lebendig werden zu lassen[/li]
    [li]Montaigne: eine Einladung zum eigenen Selbstmord wird zur Abrechnung mit falschen Freunden[/li]
    [li]Ki no Tsurayuki: die Methode eines Mannes, wie er die halbjährige Witwenzeit zu seinem Vorteil nutzen kann[/li]
    [li]Sie: ein böser Blick auf den Leichnam einer First Lady[/li]
    [li]Tu me dai la cosa me, io te do la cosa te: einsame Männer werden in Paris zu Verzweiflungstaten getrieben[/li]


    Onetti schildert nicht nur Abgründe, er schwelgt förmlich in bösen Absichten. Die Atmosphäre ist dementsprechend düster, unter der melancholischen Oberfläche schlummern Agressionen, vor der Selbsterkenntnis steht Hoffnungslosigkeit. Überall begegnet einem Verfall, nicht nur Gegenstände zersetzen sich, auch Sitte und Moral bröckeln und sogar Menschen lösen sich auf. Am Ende jeder Erzählung steht zwar für den Leser ein Aha-Erlebnis, die Protagonisten bleiben allerdings fremd.
    Dass diese teils verstörenden und depressiven Erzählungen trotzdem eine ungemeine Faszination ausüben liegt an Onettis Sicht der Dinge. Die Art, wie er seine Geschichten aufbaut und somit den Blick des Lesers lenkt, hat mich schnell gefangen genommen. Hinzu kommt seine Sprache, die zwar einen Moment des Einlesens und durch lange Schachtelsätze auch volle Aufmerksamkeit erfordert, dies aber vollkommen belohnt.
    Die politische Komponente innerhalb der Erzählungen darf natürlich nicht unterschlagen werden. Onetti selbst hat die letzten zwanzig Jahre seines Lebens im Exil in Madrid verbracht. Sein Engagement, mit dem er der uruguayischen Militärdiktatur entgegentrat, hat ihn selbst zu einem Menschen ohne Wurzeln werden lassen. Sein kritischer Blick ist mal stärker, wenn etwa Menschen aus politischen Gründen verschwinden, mal hintergründig. Die Erzählung Sie dreht sich nicht um irgendeine First Lady sondern um Evita Perón.


    Alles in allem eine Lektüre, die zwar nicht unterhaltend und leicht ist, aber sprachlich ansprechend und die inhaltlich viel Stoff zum Weiterdenken bietet, wobei ich von mir nicht behaupten kann, alle Erzählungen verstanden zu haben. Wie bei solchen Sammlungen üblich haben mir nicht alle Texte gleich gut gefallen, nicht alle waren von gleicher Intensität, dennoch bin ich der düsteren Faszination erlegen.
    Außerdem bin ich gespannt auf einen der Romane Onettis. Die Erzählungen gingen abgesehen von Jacob und der andere meist nur über wenige Seiten, daher interessiert mich nun, ob sein Stil auch über eine längere Distanz funktioniert.


    4ratten


    Viele Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Bei mir stellte sich die Faszination des Düsteren nicht ganz im gleichen Maße ein wie bei Breña, und angesichts der Stimmung, die die Erzählungen ausstrahlen, fällt es mir auch schwer zu behaupten, ich hätte sie „gerne“ gelesen, wenn man das vor allem mit „Spaß beim Lesen“ gleichsetzt. Insgesamt betrachtet war es mir ein bißchen zu düster, zu existenzialistisch, und daß ich am Ende jeder Erzählung auch nur hätte sagen können, was dieses Ende eigentlich ist oder darstellt, kann ich auch nicht behaupten – zumindest waren es in der Regel keine herkömmlichen abschließenden Enden, die den Grundgedanken der Erzählung zu einem festen Punkt führten. So gesehen paßten sie perfekt zum Inhalt, sie verwesten genauso vor sich hin wie die Menschen hier.


    Was mir allerdings gut gefallen hat, war Onettis Erzähltonfall, der schon sehr eigen ist. Die Schachtelsätze sind dabei aber nur ein, wenngleich wohl der offensichtlichste Teil. Den anderen kann ich noch nicht recht greifen, aber daher würde mich auch einer seiner Romane interessieren, um die Wirkung an einem längeren Text zu prüfen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen