Peter Pan ist so ein Buch, das man nicht gelesen haben muss um den Inhalt zu kennen, da es fest in der (Pop)-Kultur verankert ist. Nahezu jeder kennt den Jungen, der nie erwachsen wird, und seine Begleiterin Tinkerbell, seinen Erzfeind Hook und seine Freunde, begonnen bei Wendy und ihren Brüdern bis zu den Lost Boys. Und wie das so ist, wurde die eigentliche Geschichte mit jeder Nacherzählung und Referenz verändert, wurden andere Schwerpunkte gesetzt, Details ergänzt oder weggelassen. Und als ich nun das Original gelesen habe, war ich wieder mal erstaunt, welches Eigenleben eine Geschichte entwickeln kann.
Achtung, die nächsten Passagen enthalten eventuell Spoiler, da ich meine Meinung (oder Interpretation mancher Aspekte) nicht anders ausdrücken kann. Und, naja, es ist halt nicht alles bereits bekannt.
Vor allem war ich erstaunt, wie unsympathisch mir die meisten Figuren waren, allen voran Peter Pan selbst. So ein egoistischer, dummer Tunichtgut. Es ist jedoch auch tragisch, dass Peter nur deshalb nicht erwachsen wird, weil er so vieles vergisst. Er vergisst, was er über Zusammenhänge der Welt gelernt hat, aber auch Ereignisse und Personen. Dadurch entsteht nie wirkliche Nähe, die Gefühle und Bedürfnisse anderer perlen an ihm ab. Das geht so weit, dass er zwar von ausgedachter Nahrung leben kann, allerdings ausblendet, dass seine Gefährten dies nicht können. Er leidet unter dieser Situation nicht, sie wird ihm einfach nicht bewusst. Insofern ist er also eine komplexe, allerdings keine liebenswerte Figur.
Es ist seltsam, dass ich scheinbar endlose sozialpsychologische Überlegungen anstellen könnte - der unreife Anführer, der für eine Gruppe sorgen muss; das seltsame Mutter-Vater-Kinder-Spiel; das Dreiecksverhältnis zwischen Peter, Wendy und wahlweise Tinkerbell oder Tiger Lily; die Rücksichtslosigkeit der Kinder ihren Eltern gegenüber und deren Reaktionen darauf; Peter Pan als Begleiter toter Kinder; die teils sehr blutige Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Gruppierungen. Ist das Werk eigentlich bereits in die Diskussion rund um Rassismus und kulturelle Aneignung geraten? Und eigentlich habe ich doch "nur" ein Kinderbuch gelesen. Ich frage mich auch, wie Kinder dies alles aufnehmen und ob sie es überhaupt wahrnehmen, was ich die ganze Zeit zerdacht habe.
Leider sind die "fantastischen Erlebnisse" für mich mehr und mehr in den Hintergrund getreten. Zum einen lag es vermutlich daran, dass die Handlung wenig Neues bereit hielt und die Geschichte als solche mir schon bekannt war. Zum anderen schienen mir jedoch auch Passagen, die ich noch nicht kannte, nur bedingt spannend. Und manche Details waren entweder albern (die "Nanny") oder konfus. Zwischen all dem, was mich nicht überzeugen konnte, habe ich jedoch auch ein paar Perlen gefunden. Das Konzept der Insel Neverland, die für alle Kinder ähnlich, aber dennoch individuell ist, zum Beispiel. Oder die Tatsache, dass Feen sterben, wenn man nicht mehr an sie glaubt, jedoch bei jedem ersten Lachen eines Kindes eine neue Fee entsteht.