Herman Melville - Bartleby the Scrivener / Bartleby der Schreiber

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    Inhalt:


    Es gibt viel zu tun im Büro des Ich-Erzählers, eines Juristen an der New Yorker Wall Street, und so beschließt er, ein Inserat aufzugeben. Drei Angestellte, die man allesamt nur mit ihren Spitznamen kennenlernt, beschäftigt er schon: Turkey („Puter“), dessen Temperament dem Sonnenlauf zu folgen scheint und ihn ab Mittag unerträglich cholerisch werden lässt; Nippers („Kneifzange“), dessen Verdauungsprobleme ihm wiederum die Laune an den Vormittagen vermiesen, während er sich nachmittags beruhigt; und schließlich der kleine Laufbursche Ginger Nuts („Ingwernuss“).


    Da der Chef die Arbeit seiner Angestellten zwar zu schätzen weiß, aber auch seine liebe Not mit ihren Befindlichkeiten hat, ist er ziemlich erleichtert, als sich der ruhig und gewissenhaft wirkende Bartleby auf sein Inserat meldet. Mit ihm hofft der Jurist eine unkomplizierte Ergänzung für sein kleines Team gefunden zu haben.


    Bald zeigt sich jedoch, dass auch der blasse, unscheinbare Bartleby eine Macke hat – und zwar lauten seine liebsten Worte „I would prefer not to“ – „Ich möchte lieber nicht“. Anfangs antwortet er diesen Satz nur, wenn man ihn um Gefälligkeiten abseits seiner eigentlichen Tätigkeit (dem Abschreiben von Dokumenten) bittet. Dann beginnt er allerdings auch so zu reagieren, wenn er seiner ganz normalen Arbeit nachgehen soll. Die Kollegen regen sich natürlich auf, der Chef ist perplex, und den Klienten ist er unheimlich. Schließlich macht der Jurist durch Zufall eine Entdeckung, die Bartleby noch mysteriöser erscheinen lässt …


    Meine Meinung:


    „Das Kafkaeske vorausnehmend, bevor Kafka überhaupt geboren war“ – so beschreibt das von mir immer wieder gern zur Hand genommene Wilde Dichter Herman Melvilles Erzählung „Bartleby, der Schreiber“. Und tatsächlich taucht mit der klaustrophobischen Atmosphäre in den Kanzleiräumen, den slapstickhaft überzeichneten Charakteren und der Bürokratie als Handlungselement so manches auf, was Kafkalesern bekannt vorkommen dürfte.
    Sehr glaubwürdig und nachvollziehbar beschrieben fand ich die Gefühle, die Bartleby in seinem Vorgesetzten auslöst – dieser schwankt zwischen Wohlwollen und Ärger, zwischen Nachsicht und Gereiztheit, und später zwischen Mitleid und Abscheu.
    Auch der Leser macht verschiedene Stimmungen mit, von Belustigung über Neugierde bis hin zu Beklemmung. Außerdem greift die Geschichte ein zeitlos aktuelles Thema auf – denn wie oft liegen uns nicht selbst die Worte „I would prefer not to“ auf der Zunge, ohne dass wir uns trauen, sie auszusprechen? :zwinker:

    [color=darkblue]"Date a girl who reads. Date a girl who spends her money on books instead of clothes. She has problems with closet space because she has too many books. Date a girl who has a list of b

  • Hallo!


    Ein wirklich großartige Erzählung.


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    Eine kurze, außergewöhnliche Erzählung - und sie ist umso bemerkenswerter, wenn man das Jahr ihrer Entstehung bedenkt: 1853. Bartleby, ein unscheinbarer, zurückhaltender Mann, erhält die Stelle eines Kopisten in einem Anwaltsbüro und stößt seinen Arbeitgeber schon bald durch die sanft vorgetragenen Weigerungen "I would prefer not to" - ich möchte lieber nicht - vor den Kopf. Weigerungen, die sich alsbald auf alles beziehen, das nicht mit seiner direkten Arbeit als Schreiber zu tun hat und die schließlich allumfassenden Charakter erreichen: Er verweigert auch das Kopieren der Schriftstücke. Der Anwalt wirkt hilflos angesichts dieses Einbruchs des Sonderbaren in seine klar strukurierte Welt, begegnet dem Verhalten mit Strenge, Nachsicht, verweist Bartleby der Büroräume, erliegt aber immer wieder dem sanft-nachdrücklichen Widerstand, der ihm von seiten seines Angestellten entgegengebracht wird. Und betrachtet das Auftauchen des Schreibers schließlich als Fatum, vom Leben verhängt: "Ich bin es zufrieden. Andere mögen stolzere Rollen zu spielen haben; meine Aufgabe in dieser Welt aber ist, dir, Bartleby, so lange einen Platz in meiner Kanzlei zu gewähren, wie du es für richtig hältst, hierzubleiben." Er ist überzeugt, dass dieser "Gemütszustand fortbestanden hätte", wenn da nicht die Geschäftsfreunde gewesen wären, das Belächelt-Werden ob seines sonderbaren Bewohners. Ihm aber die Tür zu weisen oder gar die Polizei um seine Entfernung zu bitten, bringt er nicht über sich: Er kündigt die Büroräume und überlässt Bartleby den Nachmietern, dem Hausbesitzer, der ihn schlussendlich ins Gefängnis bringen lässt, wo der Schreiber nach wenigen Tagen stirbt.


    Melville befand sich zum Zeitpunkt dieser Erzählung in einer existenziellen Krise, und so ist die Erzählung auch als ein Dokument seiner Unsicherheit und Verzweiflung zu sehen. Kritik und Publikum lehnen den zwei Jahre zuvor erschienenen Moby Dick ab, Probleme mit seinem Verleger bringen ihn in große finanzielle Schwierigkeiten. Er verdingt sich als Lohnschreiber für billige Magazine - trotz seiner tiefen Ablehnung einer solchen Tätigkeit gegenüber: Die materielle Zwangslage lässt keine Alternativen zu. Vor diesem Hintergrund entsteht sein "Bartleby", ein Lohnschreiber, der für die bloße Tätigkeit des Kopierens bezahlt, dem nichts weniger als Kreativität abgefordert wird, sondern der Seite um Seite für die Reinschrift von Akten seinen Lohn erhält.


    Bartleby verweigert jeglichen Dienst, er fordert ein Recht auf Dasein, Leben, wobei seine Forderung eine passive, implizite, indirekte ist. Ist die Tatsache einer bloßen Existenz ausreichend für die Berechtigung zum Weiterleben, ist ein Anspruch auf einen Platz (und sei er noch so klein und bescheiden) innerhalb dieser Welt gegeben, auch wenn der Betreffende nichts für seinen Unterhalt beiträgt? Melville wird sich aufgrund seiner Erfolglosigkeit diese Frage gestellt haben - und er konnte nicht mit der Konsequenz seines Helden reagieren, er wurde Lohnschreiber, quälte sich mit obskuren Ämtern, entrichtete den von ihm geforderten Tribut an eine Umwelt, die seine künstlerischen Fähigkeit zu honorieren sich weigerte.


    Die Erzählung verweist auf absurde existenzielle Probleme, die erst bei Kafka und später bei Sartre oder Camus thematisiert wurden. Bartleby ist ein Verwandter des Fremden, er ist ein unverwandelter Gregor Samsa, erinnert an Antoine Roquentin, der die Frage nach dem "Recht seiner Existenz" im Gegensatz zum Schreiber explizit stellt. Denn dieser bleibt durch den Kunstgriff Melvilles, das Leben Bartlebys aus der Sicht des Anwalts (und damit der Gesellschaft) zu beschreiben, hinter undurchsichtigen Nebelschleiern verborgen, seine Art der Existenz weckt Unverständnis, Widerspruch, das normale, handgreifliche Gerechtigkeitsempfinden fordert seine Entfernung, die Sanftmut des Schreibers lässt hingegen ein solches Vorgehen als unangemessen erscheinen. Der Anwalt als ein humanes Mitglied der Gesellschaft will ihm seinen Platz gewähren, er anerkennt als Einzelner diese Form der Existenz, zerbricht aber an seiner eigenen Umgebung, welcher er Widerstand zu leisten nicht fähig ist. Bartleby stirbt sprach- und würdelos im Gefängnis, stirbt nach einer absurden Existenz. Ein Gerücht wird dem Leser am Ende noch mitgeteilt: Vor seiner Anstellung in der Kanzlei des Anwalts war er ein kleiner Angestellter in einem Amt für unzustellbare Briefe. Eine absurde Tätigkeit an den Mythos von Sisyphus erinnernd, aber ohne das lebensbejahende Fazit Camus': Sein Ausbruch aus dem ewig Gleichen endet im Tod.


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    Grüße


    s.

  • Hallo!


    So kurz die Geschichte um den Schreiber Bartleby auch ist, erzählt sie doch viel mehr als manches dickere Buch. Bartleby kommt mir von Anfang an in der Kanzlei fehl am Platz vor. Seine Kollegen sind alle sehr laut und machen sich schon bald über ihn lustig, mir kam es unwahrscheinlich vor dass er sich hier wohlfühlen wird. Ob er das wirklich tat, kann ich auch nach der Lektüre nicht beurteilen. Dafür hat er viel zu wenig über sich und seine Gefühle preis gegeben.


    Dafür ist sein Arbeitgeber viel offener, was seine Gefühle Bartleby gegenüber angeht. Anfangs ist er von ihm und seiner Arbeit begeistert, später fühlt er sich durch die freundlich, aber bestimmt vorgetragene Weigerung, bestimmte Dinge zu tun unwohl. Dass er Bartleby nicht dazu bringen kann, seine Arbeit zu tun ist eine Niederlage, die seine Gefühle ändert. Er kann seinen Schreiber kaum noch ertragen, scheut aber vor dem letzten Schritt, nämlich ihn aus der Kanzlei zu werfen. Lieber sucht er sich eine neue Kanzlei und überlässt Bartleby in den leeren Räumen seinem Schicksal.


    Aber so einfach kann er sich nicht aus seiner Verantwortung stehlen, immer wieder wird er daran erinnert dass dieser Mensch einmal bei ihm gearbeitet hat und er deshalb ihm gegenüber eine Verpflichtung hat. Diese erfüllt er immer wieder, wenn auch mit deutlicher Überwindung. Bartleby helfen kann er trotzdem nicht.


    Die Erzählung hat mir sehr gut gefallen und wirkt bei mir immer noch nach. Genau das, was ein gutes Buch auch tun sollte.
    5ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.