China Miéville - König Ratte

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    Oh, noch gar kein Thread dazu, das muss ich ändern.


    Inhalt (von amazon.de und leicht gekürzt wg. mögl. Spoiler):


    Etwas Unheimliches geht in London um. Saul Garamond, der fälschlicherweise für den Tod seines Vaters verantwortlich gemacht wurde, spürt es nur allzu bald. Ein Schatten dringt in seine Zelle ein, ein Schatten, genannt König Ratte, und entführt ihn in eine fremde Welt unter den Straßen Londons. Dort lernt Saul sein Erbe und seine wahre Abstammung kennen. Der Rattenkönig will ihn für seine Zwecke einspannen: die Rache an seinem alten Erzfeind[...]


    Meine Meinung (zur englischen Ausgabe):


    [Das hier war eigentlich nicht als eigenständige Rezi, sondern als Antwort auf einen Thread in einem anderen Forum gedacht - ich habe es ein wenig angepasst, trotzdem kann es sein, dass es nicht ganz so aufschlussreich ist, wenn man noch nichts von Miéville gelesen hat oder nicht weiß, wie ich die anderen Miéville-Bücher finde. Sorry.]


    Ich habe das Buch gerade beendet und es hat mir insgesamt wirklich gut gefallen. (Nicht das ich von Miéville etwas anderes erwartet habe ;))


    Ich denke schon, dass man es dem Buch ein wenig anmerkt, dass es ein Frühwerk Miévilles ist, aber das ist nicht unbedingt negativ gemeint, denn auch wenn der Stil nicht ganz so, hm, ausgereift wirkt, wie man das von den Bas-Lag-Romanen gewöhnt ist, so sorgt das doch gleichzeitig dafür, dass sich King Rat ein Stück lockerer und schneller lesen lässt.
    Auch ist das Vokabular imo noch nicht ganz so weit oben angesiedelt, wie bei den späteren Büchern - gut, dafür hat man die Dialekte, aber ich fand, dass man trotzdem immer Recht gut verstand, worum es geht. Von daher könnte ich mir auch vorstellen, dass sich das Buch ganz gut als Einstig eignet, nicht nur zu Miéville allgemein, sondern auch für jemanden, der sich mal an einem englischen Miéville versuchen will, sich an die Bas-Lag-Romane noch nicht heran traut, aber auch auch nicht auf das Kinderbuch UnLunDun zurückgreifen will.


    Mein einziges kleines Problem mit dem Buch war, dass Sauls Gewöhnung an seine neue Situation zu schnell und zu einfach verlief. Aber dieses Problem stellt sich ja im Endeffekt in jedem Buch, das Reale Welt und Fantasy vermischt, so dass man da wohl einfach ein Auge zudrücken muss.


    Jedenfalls war ich von der ersten Seite an in der Geschichte drin, was sicher nicht zuletzt am speziellen Stil liegt, in dem diese geschrieben ist - da findet sich imo schon eine Andeutung der kleinen Zwischenkapitel, die mir mir in den Bas-Lag-Büchern so besonders gut gefallen.


    Das Buch legt in Sachen Stil und Handlung ein hohes Tempo vor, Zeit zum Langweilen blieb mir nicht. Trotzdem kommt aber auch die Atmosphäre nicht zu kurz, wobei ich, so düster und bizarr Perdido Street Station und Co auch sind, dies hier noch mal ein ganzes Stück ekliger/brutaler fand - definitiv nichts für schwache Mägen.


    Was die Charaktere betrifft, mag es sein, dass das Buch auch hier noch nicht so ausgereift ist, wie seine Nachfolger, aber Schwarz-Weiß-Malerei war es auch nicht. Vor allem sehe ich hier keine Helden, selbst Saul würde ich nur bedingt als solchen einordnen; und die speziellen Fähigkeiten der Figuren haben sich durch ihr Aufeinandertreffen, aber auch durch dass nicht sehr heldenhafte Handeln der Beteiligten, für mich schnell relativiert.


    Auch finde ich, dass sich Charaktere und Szenario hier noch ziemlich gut die Wage halten, während gerade in Perdido Street Station ja letzteres doch stark überwiegt. (Nicht das mich das stören würde.)


    Auch das Ende fand ich sehr passend.


    Fazit: Eine dicke Empfehlung an Urban Fantasy- und Miéville-Fans und alle, die es noch werden wollen.

  • Gelesen habe ich es in meiner Vor-Literaturschockzeit, daher habe ich nichts ausführliches dazu festgehalten, aber meinen Kommentar bei Bookcrossing kann ich noch nachreichen:


    Die Atmosphäre der Großstadt vor allem aus Rattensicht hat etwas Eigenartiges, wirkte aber überzeugend. Obwohl ich sonst kein Freund von übermäßig brutalen Szenen bin, von denen es hier ja durchaus einige gibt, fand ich sie hier weniger störend, sondern dem Gesamtverlauf der Handlung und den Hauptcharakteren, besonders dem Rattenfänger, angemessen. Ich finde solche Neuinterpretationen bekannter Stoffe immer sehr interessant, weil sie oft mit spannenden Perspektivwechseln verknüpft sind.


    Bewertet habe ich seinerzeit mit 4ratten , und auch mit dem zeitlichen Abstand denke ich immer noch, das geht in Ordnung so.

  • Hallo zusammen


    Klingt spannend, kommt auf meine Things-to-get-List.


    Danke für den Tipp und die ausführliche Rezi!

  • Hallo zusammen


    Also das habe ich ja schon im Was-lest-ihr-gerade-Thread ausgeführt


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    Schon die ersten zwei Seiten reissen einen mit und die Ausgabe ist einfach ein Augenschmaus. :herz: Mal schauen, ob das so bleibt.


    aber jetzt reicht das nicht mehr. Denn nun ist Detective Inspector Crowley aufgetaucht! :geil::klatschen: Das Buch ist grosse Klasse, bin jetzt bei Kapitel 3 und dieses unglaubliche Tempo und dieser Wahnsinnsdrive sind etwas völlig Neues und Faszinierendes für mich. :breitgrins:

  • So, zu Ende gelesen.


    Inhalt:
    Saul Garamond kommt eines Abends nach Hause und wird prompt von der Polizei abgepasst. Grund: Sein Vater liegt tot im Vorgarten. Natürlich glaubt man, er hätte den Mord begangen und steckt ihn in eine Zelle. Doch nicht einmal eine Nacht verbringt er dort drinnen, denn ein seltsamer Typ taucht plötzlich im Raum auf. Sein Name: König Ratte.


    Meine Meinung:
    Das ist der Auftakt zu dieser pochenden Geschichte mit ihrem Wahnsinnsdrive und dem unglaublichen Tempo - das sich übrigens durch das ganze Buch zieht. Die Beschreibungen sind detailliert, die tragende Drum'n'Bass-Musik kann man regelrecht im inneren Ohr hören, so genau wird sie dargestellt.


    Die Umgebung eines nicht so lichtdurchströmten, sauberen Londons, wie wir es kennen und uns vorstellen, sondern eines Londons, in dem düstere Gestalten im Geheimen unter den Menschen leben, schafft irgendwie eine schwüle, drückende Atmosphäre. Man spürt den Dreck und die gleissende Sonne auf den Gebäuden als wäre man tatsächlich dort. Natürlich merken die Menschen von all den Geschehnissen um sie herum nichts, doch letztlich sind sie trotzdem damit verbunden. Dies wird anhand eines "Missbrauchs" von Märchen und Sagen gezeigt.


    Die Geschichte an sich wird Schlag auf Schlag vorangetrieben, Verschnaufpausen gibt es nur wenige, doch das ist auch gut so. Die Charaktere sind nachvollziehbar und faszinierend, wenn auch nicht alle sympathisch.


    Die meiste Zeit erinnerte mich das Buch an das Lied "No Place Like London" aus dem Film Sweeney Todd, besser gesagt, an diese Zeile hier:

    Zitat

    There’s a hole in the world like a great black pit and the vermin of the world inhabit it.


    Imo sehr bezeichnend für die Darstellungen in "König Ratte".


    Gespickt mit diversene Anspielungen auf diverse Dinge ist "König Ratte" ein einzigartiges Lese-Erlebnis, womit der Autor seiner Selbstbezeichnung "Weird Fiction" alle Ehre macht.


    5ratten:tipp:


  • Freut mich natürlich sehr, dass mein Lieblingsautor so gut angekommen ist. :smile:


    Hihi. :smile: Es ist eben auch sehr eigen, das mag ich auch, nicht so Standard. Was ich ganz vergessen hatte, in meine Rezi zu schreiben: König Ratte und seine - ich sag mal - Gleichartigen haben natürlich auch ihre Dialekte, die da schön ausgeschrieben werden. (Ich weiss nicht, ob das in der Übersetzung allenfalls verloren geht.) Ein weiterer Authentizitätsfaktor.

  • Eine weitere Zusammenfassung des Inhalts spare ich mir, denn zum einen möchte ich nicht zu viel verraten und zum anderen tue ich mich schwer damit, die Handlung kurz und sinnvoll zusammenzufassen. China Miéville legt ein unglaubliches Tempo vor und präsentiert dem Leser eine geballte Portion Andersartigkeit. Zusammengefasst erschiene das wahrscheinlich nur hanebüchen, doch während des Lesens sind Handlung und Zusammenhänge durchaus schlüssig. Und trotz des hohen Erzähltempos hatte ich nicht den Eindruck, dass etwas Wesentliches fehlte. Zugegeben, im Nachhinein habe ich einige Fragen aufgeworfen, die im Buch nicht beantwortet werden, doch das schmälert das Lesevergnügen nicht.


    Die Atmosphäre ist unglaublich dicht und das dreckige, düstere London, das Miéville erschafft, erscheint gar nicht so weit hergeholt. Er bezieht bei seinen Beschreibungen alle Sinne ein, manchmal bedient er sich nur kleiner Details, die jedoch wesentlich zum Gesamtbild beitragen. Selbst die Musik erhält eine Charakterisierung, tritt aus dem Hintergrund hervor und wird zu einem wesentlichen Teil der Geschichte. Die Protagonisten stellt er ähnlich detailliert dar, mit zahlreichen Ecken und Kanten und durch Selbstzweifel geprägt.


    Besonders spannend fand ich den neuen Blick auf das Märchen vom Rattenfänger von Hameln. Miéville liefert keine Nacherzählung, sondern nutzt das Märchen als Basis für seine eigene Geschichte. Er entwickelt Teile bzw. Figuren daraus weiter, verwebt sie mit anderen Mythen und platziert sie in einer neu erdachten Welt.


    Abgesehen von manch derber Beschreibung (zum Beispiel von Nahrung) geht es im Buch übrigens stellenweise sehr brutal zu. Für die Geschichte wären weniger detaillierte Beschreibungen sicher genauso zielführend gewesen, während des Lesens erschien es jedoch nicht unpassend.


    In einer Miéville-Rezi darf die Sprache nicht unerwähnt bleiben: auch hier wird dem Leser etwas „Anderes“ geboten. Die Übersetzerin Eva Bauche-Eppers hat gute Arbeit geleistet und die Eigenheiten des Autors ins Deutsche übertragen. Im Vergleich zu Perdido Street Station hatte Miéville noch eine Entwicklung vor sich, man erkennt aber bereits den besonderen Charakter seines Stils. Obendrein verpasste er zwei Figuren besondere Sprachen: die Londoner Gaunersprache des 16./17. Jahrhunderts und einen karibischen Dialekt mit westafrikanischen Wurzeln. Das ist nicht immer leicht lesbar, trägt aber ebenfalls ungemein zur Atmosphäre bei.


    China Miéville hat mit König Ratte einen eindrucksvollen Erstling vorgelegt, der zwar noch nicht so ausgereift ist wie seine folgenden Werke, aber dennoch um Längen besser als viele andere Romane...


    4ratten


    Schöne Grüße
    Breña

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges