William Shakespeare - Titus Andronicus

  • Mehr aus Vezweiflung und gegen die Langeweile im stationären Krankenstand gelesen; dafür hat es getaugt, Langeweile kam nicht auf.


    Damit erschöpfen sich die positiven Seiten dieser Tragödie. Und mit diesem Urteil stehe ich nicht alleine. Titus Andronicus ist, mit Verlaub, ein Schandfleck im Werk Shakespeares.


    Die Geschichte ist so krude, dass sie sich kaum schildern lässt. Nur soviel: der römische Feldherr Titus Andronicus kehrt von einem erfolgreichen Feldzug gegen die Goten zurück. Als Gefangene bringt er deren Fürstin Tomar und deren Söhne mit, deren einer sogleich den Gebräuchen nach entleibt wird. In Rom suchen Senat und Volk gerade einen neuen Herrscher. Sofort setzen unter allen Beteiligten, einschließlich der übriggebliebenen Gefangenen, Intrigen ein, die so fein gesponnen sind wie Schiffstaue, und deren Zweck jeweils in einem Meuchelmord binnen kürzestmöglicher Frist besteht. Am Ende sind fast alle tot, und unter den wenigen Überlebenden ist es das Privileg des Oberschurken, eines Mohren namens Aaron, bis zum Halse eingegraben dem sicheren Tod entgegenzusehen.


    Wer Macbeth als starken Tobak empfindet, lernt hier nocheinmal richtig das Grausen. Der Spielboden quillt über von Blut, Eingeweiden und Sperma. Tomar bekommt zum Festmahl die Köpfe ihrer Söhne, eingebacken in eine Pastete aus deren Knochenmehl, vorgesetzt, es fallen Köpfe, Hände und Zungen, und es will einfach kein Ende nehmen mit dem Gemetzel. Wären der einen Partei nicht die Leute ausgegangen, metzelten sie immer noch.


    Noch das lohnendste sind die zahllosen Anspielungen auf die Welt der Götter und Titanen der Antike; hauptsächlich Ovids Metamorphosen werden offen oder verklausuliert als Vorlage für Rachehandlungen zitiert. Man kann in gewisser Weise sagen, dass Titus Andronicus zeigt, was passiert, wenn man die Untaten, die antike Götter und Halbgötter einander antun, direkt in die Welt der Menschen versetzt. Abgesehen davon bleibt nur ein Ziel- und orientierungsloser Gewaltausbruch. Interessanterweise war Titus Andronicus, wie ich hinterher erfahren habe, einige Zeit lang einer der Gründe, weshalb man an der Autorenschaft eines William Shakespeare überhaupt zweifelte und den Namen für ein Pseudonym von Philip Marlowe halten wollte.


    Ernüchtendes Fazit: Alter schützt vor Splatter nicht.

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