[Angola] Pepetela – Jaime Bunda, Geheimagent

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    Autor: Pepetela
    Titel: Jaime Bunda, Geheimagent
    Originaltitel, Jahr: Jaime Bunda, Agente Secreto, 2001
    Übersetzung aus dem Portugiesischen: Barbara Mesquita
    Verlag: Unionsverlag
    ISBN: 3-293-20354-X
    Ausgabe: Broschiert
    Seiten: 346



    Inhalt: Ein vierzehnjähriges Mädchen von der Ilha in Luanda ist vergewaltigt und ermordet aufgefunden worden. Zwar kümmert sich die normale Polizei darum, aber auch ein weiterer Polizeidienst, der des sog. „Bunkers“ interessiert sich dafür. Es weiß zwar niemand so recht warum, aber so wichtig kann es auch nicht sein, denn sonst hätte man wohl nicht ausgerechnet Jaime Bunda darauf angesetzt. Dieser sitzt sich als Praktikant bereits seit zwei Jahren im Büro den Hintern platt, nachdem ihn ein Verwandter in den Dienst vermittelt hat, und wartet auf seinen großen Einsatz. Seine Lehren hat er vornehmlich aus Kriminalromanen bezogen, ist aber gleichwohl ein guter Beobachter von Details. Mit Feuereifer stürzt sich Jaime auf die Ermittlungen und hat auch bald einen hochrangigen Verdächtigen. Bei dessen Überwachung sticht Jaime aber in ein politisches Wespennest und sehr bald wird ihm auch klar, daß selbst innerhalb seiner Dienststelle eine Menge Leute vor allem gegeneinander arbeiten. Und nebenher steht Jaime auch noch vor dem Problem, daß seine Freundin Florinda ihn neuerdings so kühl behandelt und ihrem eigenen Mann, einem ehrbar werdenden Diamantenschmuggler, wieder sehr zugetan ist.



    Meine Meinung: Wie so oft bei den Büchern der metro-Reihe des Unionsverlages handelt es sich nicht unbedingt um einen klassischen Krimi, auch wenn die Frage nach dem Täter am Anfang steht. Stattdessen präsentiert Pepetela hier ein Porträt Angolas in den ausgehenden 1990er Jahren. Von dem Bürgerkrieg im Land ist hier zwar nicht viel zu spüren, aber dafür von der allgegenwärtigen Korruption, der Überbesetzung des öffentlichen Dienstes, der wegen diverser Privilegien angestrebt wird, der Konkurrenz zwischen verschiedenen Polizeidiensten, die sich dadurch eher gegenseitig neutralisieren und damit der herrschenden Clique freie Hand geben, vor allem, wenn führende Chargen dieser Dienste selbst profitieren. Vieles läuft über Beziehungen und Gefallen, und als normaler Bürger kann man sich nur wünschen, nie in eine Lage zu geraten, in der man auf diese sog. Polizei angewiesen ist. All dies erzählt Pepetela aber in einer Form, die mich mehr als einmal ob der Absurdität der Situationen zum Lachen brachte – eben bis ich mir jeweils die Kehrseite vorstellte. Und natürlich dürfen auch eher, nun sagen wir mal, unorthodoxe Ermittlungshelfer nicht fehlen.


    Unterstützt wird dieser komische Effekt durch zwei Dinge. Da ist zum einen die Figur des Jaime Bunda selbst. Jaime hat jede Menge, vorwiegend amerikanische, Kriminalromane gelesen und verwechselt die Welt in diesen Büchern mit dem, was um ihn herum in Luanda vorgeht. Daß er auf diese Weise trotzdem so etwas wie einen Erfolg erzielt, ist einerseits überraschend, führt aber andererseits zu just einer ganzen Reihe von Szenen, die von ihrer Situationskomik leben. Wirklich ernst nehmen kann man Jaime nicht, aber er ist ein ungeheuer sympathischer Typ, der es z. B. auch gar nicht schätzt, von seinem Mittagessen abgehalten zu werden und immer genau weiß, wo er das beste Büffelfleisch mit Maisbrei bekommt. Zum anderen wählt Pepetela eine ungewöhnliche Erzählstruktur. Er tritt ganz zu Beginn als Autor explizit in Erscheinung und erzählt die Vorgeschichte des Verbrechens. Danach läßt er in vier Abschnitten drei „Erzähler“ auftreten. Dabei wird vor allem von Jaimes Ermittlungen berichtet, aber es gibt auch eine völlig andere Perspektive. Diese Erzähler geben durchaus eigene Meinungen über das von ihnen Berichtete ab, und der Autor seinerseits kommentiert die Art und Weise dieser „Erzähler“. Das klingt zwar jetzt vielleicht kompliziert, ist es aber gar nicht, und erschließt sich beim Lesen ohne Probleme, da es schon rein optisch durch Klammern und Kursivdruck kenntlich gemacht ist. Es erlaubt Pepetela jedoch eine – wie ich fand: gelungene – Mischung aus distanziertem und persönlichem Erzählen, die dem Roman einen ganz eigenen Charme gab. So viel ich weiß, gibt es noch einen zweiten Roman mit Jaime, der aber leider (bislang) nicht übersetzt ist. Schade eigentlich, aber das kann ja noch werden.



    4ratten


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • :winken: Da hast du ja eine viel bessere Meinung von dem Buch als ich.
    Ich habe es vor zwei Jahren in dänischer Übersetzung gelesen, aber (wie üblich :rollen: ) hier nichts weiter zu geschrieben. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, also nicht genau begründen, was mir nicht gefallen hat. Ich denke, ein Teil meiner Probleme mit dem Buch lag daran, dass ich einen "richtigen" Krimi lesen wollte, was dieser ja nicht ist. Zudem konnte ich mit Jaime Bunda selbst überhaupt nichts anfangen. Sympathisch fand ich ihn ganz und gar nicht, eher abstoßend, und von daher passte er überhaupt nicht als Gegenpol zu der korrupten Welt, in der er sich bewegt. Ich meine mich zu erinnern, dass er sich gegen Ende sogar recht gut in sie einfügte?
    Meine weniger gute Meinung kann aber auch mit an meiner Lesesprache lesen. Ich verstehe Dänisch zwar, weiß aber, dass mir Nuancen verborgen bleiben. Laut Exceltabelle habe ich das Buch mit 2 Ratten bewertet.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich hatte keinen herkömmlichen Krimi erwartet, das bin ich ja von dieser Reihe auch schon gewöhnt, und das erklärt sicher zum Teil meine bessere Meinung von dem Buch.



    Sympathisch fand ich ihn ganz und gar nicht, eher abstoßend, und von daher passte er überhaupt nicht als Gegenpol zu der korrupten Welt, in der er sich bewegt. Ich meine mich zu erinnern, dass er sich gegen Ende sogar recht gut in sie einfügte?


    Er nutzt natürlich die Chancen, die sich ihm da recht unvermittelt auftun, alles andere wäre aber auch völlig unglaubwürdig. Er tut das aber auf eine Weise, mit der er vor allem sich selbst (unabsichtlich) ein bißchen ins Lächerliche setzt, selbst wenn er anderen gegenüber mal den „Chef“ rauskehren will. Das kann man ihm einfach nicht abnehmen und auch die ihm frisch unterstellten Leute tun das nur bedingt. Daher kam er für mich schon sympathisch rüber. Und was kann man auch von einem Mann erwarten, der seinem ausladenden Hinterteil seinen Namen verdankt (bunda = Hintern) und mit diesem Namen auch noch stolz durch die Gegend läuft? :breitgrins:

  • Ich stelle amüsiert fest, dass Aldawen und ich uns einig bei der Erzählstruktur sind: klingt kompliziert, ist es aber nicht.
    Aber lest selbst:


    Meine Eindrücke


    Seit fast zwei Jahren schon ist Jaime Bunda Mitglied der Geheimpolizei. Er verdient gutes Geld, aber zu seinem Leidwesen nicht mit Ermittlungen, sondern als Praktikant mit Herumsitzen. Bunda gehört zwar dem Namen nach zu einer einflussreichen Familie, aber seinem direkten Vorgesetzten Chiquinho Vieira schmeckt es nicht, dass Bunda von einem Verwandten, dem operativen Direktor, ohne Formalitäten in die Behörde eingeschleust wurde. Das einzige, was Vieira dem unerwünschten Mitarbeiter zuweist, ist also ein Stuhl. Umso erstaunter sind Bunda und alle seine Kollegen, als Vieira den Praktikanten wegen einer Mordermittlung zu sich bestellt und ihn damit beauftragt, den Fall zu lösen.


    Jaime Bunda tut dann genau das, was man ihm in der Behörde, dem so genannten "Bunker", zutraut: Er macht Fehler. Bunda ist mit Kriminalromanen groß geworden, vorzugsweise amerikanischen, und fischt in seiner Erinnerung nach den Methoden der großen Ermittler und den Tricks der Autoren. In Inspektor Kinanga findet er einen passenden Gegenüber. Bunda tritt diesem Ermittler kraft seiner neuen Autoriät ein wenig auf die Füße und fordert bessere Nachforschungen ein, genießt ansonsten aber lieber den Whisky in dessen Büro und den Austausch über Krimiautoren. Dass Bunda tatsächlich einen Anhaltspunkt für eigene Ermittlungen findet, ist eher dem Zufall geschuldet. Aber dafür stürzt er sich umso hartnäckiger in "seinen" Fall.


    Pepetela unterteilt die Geschichte in vier Bücher, eines für jeden Erzähler, den er diese Geschichte erzählen lässt. Hin und wieder schaltet sich Pepetela als Auftraggeber dieser Erzähler ein und lässt sich über deren Stil und Ausschweifungen aus oder korrigiert deren Stil. Das klingt komplizierter als es ist; trotz des Kniffes gelingt eine durchgehende Story, bei der zwischendurch auch eine Nebenperson zu Wort kommen darf und die Angelegenheit aus ihrer Perspektive schildern kann. Auf diese Weise übrigens überblickt der Leser einiges mehr als der Geheimagent selbst. Freilich ahnt auch der Leser nicht alles, aber Bunda geht Schritt für Schritt, erkennt keine Zusammenhänge, rätselt und bekommt sogar mit seinem Arbeitgeber selbst Ärger. Dass Bunda überhaupt ermittelt, ist bereits eine Überraschung, dass er irgendjemandem ernsthaft auf die Pelle rückt, erschreckt den Chef zutiefst. Da kommt der Leser schon etwas weiter. Bundas Verdächtiger hat etwas zu verbergen, aber den Mord hat er nicht zu verantworten.


    Pepetela, das Pseudonym des ehemaligen angolanischen Vizeministers für Bildung Artur Carlos Maurício Pestana dos Santos, nutzt das Erzählmittel des Krimis, um über verschiedene Gesellschaftsschichten erzählen zu können. Jaime Bunda selbst hat zwar einen bedeutenden Namen, gehört aber zu einem Familienzweig, der immer weiter an Bedeutung verloren hat. Er selbst lebt in einem kleinen Gartenhäuschen, das die Tante lieber gegen Geld vermietet hätte als einem abgehalfterten Verwandten kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Die Mutter lebt in einer kleinen Hütte, umgeben von Straßen voller Schlaglöcher. Dagegen wandeln Vorgesetzte und sein Verdächtiger auf Diplomatenempfängen, fahren Limousinen mit abgedunkelten Scheiben und leisten sich Badeausflüge ans Meer während der Dienstzeit. Ein anderer Vorteil des Krimis ist das Eintauchen in die Lebenssituation von Immigranten. Sie sind in Angola nicht unbedingt gut gelitten und der Protagonist Said kann wegen korrupter Strukturen leicht übers Ohr gehauen werden. Dass der sich wieder einklinken und bessere Verbindungen knüpfen mochte, liegt nahe.


    Jaime Bunda wird einen Fall lösen, wenn auch nicht den, zu dem er den Auftrag hatte und auch nicht so perfekt, wie er es von den meisten seiner Krimis gewohnt ist. Aber sein Erfolg ist zumindest gut für eine bessere berufliche Situation und deutlich mehr Ansehen. Vor allem bei seiner Tante, die ihn inzwischen deutlich freundlicher grüßt. Pepetela zeigt ein Luanda, in dem man sich einiges erlauben kann, wenn man der richtigen Familie angehört, während die Bürger viel improvisieren und von schlecht bezahlten Polizisten ausgenommen werden. Beides läuft teils eng nebeneinander ab, wie Bundas eigene Familie zeigt. Während Bunda beruflich in der regierungstreuen Geheimpolizei einen Schritt nach oben kommt, wird Jaimes jüngerer Bruder künftig für eine Zeitung der Opposition schreiben und die Missstände anprangern, die bei den Beamten des Bunkers einfach geduldet werden. Alleine wegen der Einblicke in das Land ist das Buch schon einen Griff wert, die Karikatur Jaime Bunda ist es allemal.


    3ratten

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