Denis Diderot - Rameaus Neffe

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    Denis Diderot war nicht nur Herausgeber der berühmten nach ihm benannten Enzyklopädie, sondern auch Verfasser einer Reihe von Prosawerken, die ihn als Erzähler der französischen Aufklärung in die Nachbarschaft von Voltaire stellten. Jean-Philippe Rameau (1683 – 1764) war ein zu seiner Zeit berühmter Komponist und Musiktheoretiker. Rameaus Neffe ist der – fiktive – Gesprächspartner des Ich-Erzählers in dem Dialogtext „Rameaus Neffe“.


    Der Text selbst war mir aus der 1964 bei Propyläen erschienenen Sammlung des erzählerischen Werks von Diderot bereits bekannt geworden, übersetzt von Raimund Rütten. Daher war ein Vergleich mit der kürzlich in der Fischer-Klassik-Reihe erschienenen Erstübersetzung von Johann Wolfgang Goethe reizvoll. Goethes Verdienst war es, dieses Buch auf einem abenteuerlichen Umweg über Russland überhaupt dem deutschen Leser zu erschließen.


    Der Dialog konfrontiert das an Diderot selbst orientierte „Ich“ mit der Figur des Neffen. Dieser Neffe (neveu, aus dem Goethe seltsamerweise einen „Vetter“ macht) ist ein rechtes Ekelpaket, das sich seine Existenz dadurch zusammenschnorrt, dass er die Eitelkeit berühmter Zeitgenossen durch Schmeicheleien und Unterwürfigkeit bedient, sich ihnen gegenüber andererseits, und dies als Ausdruck seiner Verachtung, saftige Unverfrorenheiten herausnimmt. Der clou besteht darin, das er dieses wechselseitige Parasitieren als Ausdruck einer gesellschaftlichen Symbiose, ja, als Form eines contrat social beschreibt, in dem der Gauner ebenso seine respektable Position hat wie der hofierte und dafür ausgeplünderte Herr.


    In der Übersetzung von Goethe ist der Text nahezu unlesbar. Goethe übertrug, um die Misere deutlich zu machen, Diderot nicht ins Deutsche, sondern ins Goethische. Der Text ist gespickt mit Beispielen der typischen gestelzten Idiomatik, die man in Goethes Prosaschriften immer wieder vorfindet und die bereits im Vergleich mit Schriftstellern seiner Zeit merkwürdig erscheint. Das soll Diderot so geschrieben haben?


    Hält man die Rütten-Übersetzung daneben, geschieht ein kleines Wunder. Der Text bekommt Leben und Tempo, es beginnt zu funkeln und zu blitzen – das ist Diderot!


    Hinzu kommt. dass die Fischer-Klassik-Ausgabe zwar Goethes Anmerkungen zu einigen der genannten Persönlichkeiten enthält, aber ansonsten keinen Anmerkungsapparat. Bei einem Text, der eine satirische Kampfschrift auf die gesellschaftlichen Verhältnisse (und ein teilweise recht derbes Pasquill gegen historische und namentlich benannte Personen!) darstellt, ist das ein schweres Manko. Mit wieviel Verständnisverlust das bezahlt wird, kann man erkennen, wenn die Anmerkungen in der früheren Edition daneben gehalten werden. Goethes Personenverzeichnis ist nicht wirklich hilfreich, da es überwiegend dazu genutzt wurde, seine eigenen allgemeinen Maximen auszubreiten.


    Fazit: Rameaus Neffe kann eine herrliche Lektüre sein. In der Fischer-Klassik-Ausgabe ist sie es nicht. Der Verlag hat hier – für eine Publikumsausgabe – schlicht die falsche Übersetzung gewählt. Als Studienobjekt der Diderot-Rezeption in Deutschland oder für Goethe-Begeisterte mag sie hochinteressant sein. An Diderot wird sie aber niemanden heranführen, der ihn nicht bereits kennt.


    Wegen der editorischen Fehlleistung – und nur ihretwegen - daher nur 3ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Gronauer ()


  • Dieser Neffe (neveu, aus dem Goethe seltsamerweise einen „Vetter“ macht)


    Das ist – aus Goethes Sicht – nicht notwendigerweise falsch oder nachlässig. Der Begriff Vetter hat zu anderen Zeiten alle möglichen Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnet, nachzulesen u. a. im Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm: klick!, siehe besonders unter 2).