Jules Verne - Die geheimnisvolle Insel, ungekürzt von Audible, gelesen von Reinhard Kuhnert
Richmond, 1865. Fünf Bürgerkriegsgefangenen und einem Hund gelingt während eines schweren Unwetters die Flucht in einem Fesselballon aus dem Lager. Wind und Widrigkeiten treiben die kleine Gemeinschaft willenlos weit auf das Meer hinaus und als sie schon fast ihr Ende in Form des Ozeans nahen sehen, stranden sie auf einer Insel. Die Lincoln.Insel, wie sie schon bald getauft wird, scheint unbewohnt und die Flüchtlinge richten sich dort ein. Sie bauen eine bald schon blühende Kolonie auf, der es an fast nichts mangelt.
Doch es gibt immer wieder Hinweise, dass die Insel ein Geheimnis birgt, unerklärliche Hilfe an unerwarteter Stelle, (zu) praktisches Treibgut und nicht zuletzt fällt auch der Hund immer mal wieder durch merkwürdiges Verhalten auf. Bis die Insel ihr Geheimnis lüftet, erleben die Kolonisten, wie sie sich bald nennen, unzählige Abenteuer, manche groß, manche einfach Abenteuer des Alltags, doch langweilig wird ihnen auf der Lincoln-Insel nie.
Zuletzt hatte ich vor rund dreißig Jahren das Kinderhörspiel gehört und gemocht, so dass ich einfach zugreifen musste, als das ungekürzte Hörbuch kostenlos angeboten wurde. Ich habe es nicht bereut. Die Geschichte der Lincoln-Kolonisten ist zwar lang, lohnt sich aber doch in jedem Fall zu hören.
Der Anfang, in dem sich die Kolonisten auf der Insel einrichten, ist teilweise etwas langatmig, was oft dem Umstand geschuldet ist, dass Verne alle Prozesse des Kolonie-Aufbaus, sei es nun die Ziegelbrennerei, die Herstellung von Nitroglyzerin oder die Standortbestimmung unter Zuhilfenahme von Uhr und Himmelszelt, akribisch beschreibt. Der aufmerksame Leser sollte bei einem etwaigen Schiffbruch kaum in Nöte kommen, denn er kann von seinem hier erworbenen Wissen sicher profitieren (falls die Ausführungen stimmen. Ich habe das nicht nachgeprüft).
Spannend wird es, nachdem die Grundlagen des Überlebens geschaffen sind. Die Kolonisten machen Ausflüge in die nähere und auch weitere Umgebung, sie werden mit mehreren Überfällen verschiedener Art konfrontiert und erleben im Prinzip den Aufbau einer Zivilisation im kleinen mit.
Der von allen als Chef anerkannte Ingenieur Smith ist mir beinahe schon zu perfekt. Er kann beinahe alles. Das ist auch schon einer meiner großen Kritikpunkte. Smith, der Oberklasse entstammend, weiß und kann fast alles und ist unheimlich intelligent. Ebenfalls gebildet ist der Reporter Spilett, sowie der Junge Harbert, dem es aber noch ein wenig an Lebenserfahrung mangelt. Trotz seiner jungen Jahre ist er wenig rebellisch, sondern im Gegenteil recht angepasst und unterordnungsbereit.
Zuletzt gibt es natürlich auch in der Lincoln-Zivilisation die Unterschicht, Nab, ein frei gelassener Sklave und der Seemann Pencroff, beide mit dem Herz am rechten Fleck, aber recht einfach gestrickt. Dennoch sind sie unersetzlich und leisten für die Gemeinschaft sehr viel.
Ich hätte mir gewünscht, dass sich die Charaktereigenschaften der Kolonisten etwas mischen, so sind alle doch sehr durchschaubar und eindimensional. Aber Verne wollte vielleicht nicht nur unterhalten, sondern auch ein Gesellschaftsbild entwerfen.
Wie dem auch sei, später wird noch eine schön ambivalente Figur eingeführt, die ich sehr mochte und die mich für die Stereotypen entschädigte.
Das Buch wird von Reinhard Kuhnert gesprochen, einem ganz großen seiner Zunft. Dennoch stößt auch er hier an seine Grenzen. Es gelingt ihm nicht immer, den Reporter Spilett von dem jungen Harbert stimmlich zu trennen, wie ich das von Kuhnert gewohnt bin, und sogar er schaffte es hin und wieder nicht, das Abschweifen meiner Gedanken zu verhindern.
Dennoch, eine tolle und spannenden Geschichte, die sich redlich verdient hat.