Adriana Altaras - Titos Brille

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  • Adriana Altaras


    Titos Brille


    Die Geschichte meiner strapaziösen Familie


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    Adriana lebt mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in Berlin. Sie ist über 40, Schauspielerin, Regisseurin, Künstlerin und vor allen Dingen: Sie ist Jüdin. Ihre Familie hat etliche Opfer zu beklagen durch den Holocaust, die Überlebenden sind in aller Welt verstreut. Adrianas Eltern kehrten nach Kriegsende nach Jugoslawien zurück, mussten aber 1964 vor den Kommunisten fliehen - wiederum Antisemitismus. Als Adrianas Eltern etwa 30 Jahre später kurz nacheinander sterben, quält sich Adriana durch den Nachlass, durch Erinnerungen, durch weitergereichtes Trauma.


    Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag der Autorin lässt vermuten, dass das Buch größtenteils autobiografisch ist. Am Anfang gefiel es mir auch recht gut, aber je weiter ich bei der Lektüre kam, desto weniger mochte ich die Protagonistin. Sie scheint wirklich alles alles alles als Antisemitismus zu verstehen, möglicherweise auch schlechtes Wetter. So vermutet sie zum Beispiel hinter amtsschimmeligem Behördentum Judenhass, wobei auch jeder andere Antragsteller ein ähnliches Klagelied singen könnte - in 4facher Ausfertigung.


    Zitat

    Wir waren dem deutschen Kino zuviel! Das hätten sie sich aber vor dem Holocaust überlegen müssen, dass es einem irgendwann zu viel damit werden konnte: die ganze Brutalität und so. Obwohl, bis jetzt waren wir kein schlechtes Geschäft gewesen - there is no business like shoahbusiness. Ganze Legionen von deutschen Schauspielern bezogen ihre Monatsgagen von ihren Drehs als Hilterjungen, Offiziere, SS-Männer. Und war es nicht der große Traum eines jeden deutschen Darstellers, endlich einmal Hitler geben zu dürfen...?


    Adrianas Schwiegervater ist ein Deutscher, der im Krieg in Norwegen angeschossen wurde, die Kugel hat er noch im Körper.


    Zitat

    ...Ich mochte ihn. Er war klug, belesen, und er schämte sich. Er holte sich auf einer Kreuzfahrt in Norwegen eine Lungenentzündung und starb wenige Wochen später daran. Und da soll mir noch einer sagen, es gebe keinen Gott.


    Die Geschichte hat - mit Blick auf den Geburtsjahrgang 1960 der Protagonistin - einen reichlich unversöhnlichen Grundton, Adriana erscheint mir selbstquälerisch, neurotisch. Aber hier und da gabe es auch kleine Lichtblicke.


    Zitat

    Er war so fröhlich, dass ich mich fürchtete, hinter die Fassade zu schauen.


    2ratten

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Diese Autobiografie habe ich jetzt auch gelesen. Und auch mich beschleichen ähnliche Gefühle wie Kiba.


    Vieles in der (Auto)biografie ist sehr interessant und aufschlussreich. So habe ich bisher kaum bisher etwas gewusst über das Schicksal der Juden während des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan.


    Ich kann darüber hinaus gut nachvollziehen, wie traumatisiert auch die Kindergeneration der vom Zweiten Weltkrieg vernichteten und geschädigten Juden war. Die Restitutionsansprüche und ihre aufschiebende Behandlung in den Nachfolgestaaten mag Menschen, die damit keine Schwierigkeiten hatten, wie nervtötendes Herumreiten erscheinen, aber tatsächlich wurden Milliardenwerte der Juden an widerrechtlichem Besitz auch nach dem Zweiten Weltkrieg von den Nachfolgestaaten und Privatpersonen einbehalten und nicht wiedergegeben. Das würde sich auch sonst niemand gefallen lassen wollen.


    Was mich aber stört:
    Die Autorin verbreitet selbst Vorurteile über Juden, die ich nie hatte. Sie schildert übelnehmerische Menschen wie ihren Freund Raffi, die ihr Geld verdienen, indem sie alles kritisieren, was die Staaten, nichtstaatliche Vereinigungen und die Kulturszene im Zusammenhang mit dem Holocaust und der heutigen Situation der Juden in Europa veröffentlichen, aber auch das Verhalten der Juden selbst. Sie verweist immer wieder auf Geldgier und bedient damit völlig unnötig und ärgerlicherweise ein Klischee.

    Nun habe ich auch öfter Probleme mit Satire . Wie ist das Ganze gemeint? Überfordert es nicht etwas den Leser?

    Den Nachfolgeband werde ich jedenfalls nicht mehr lesen. Es gibt viel interessantere und weniger subjektive Bücher über die Schicksale dieser so schrecklich verfolgten und ermordeten Menschen, die einen so großen und wichtigen Beitrag zur europäischen Kultur geleistet haben.