Yoko Ogawa - Das Geheimnis der Eulerschen Formel
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Das Cover und der Titel im Zusammenhang mit der Kurzbeschreibung bewirkten, dass ich mir dieses Buch kaufte. Nachdem ich es dann gelesen hatte, wollte ich zu gerne wissen, wie das Buch im Original heißt, da der deutsche Titel oft rein gar nichts mit dem ursprünglichen zu tun hat. Zwar hat der deutsche Titel einen eindeutigen Bezug zum Inhalt, trotzdem gefällt mir der richtige besser. Ich kann kein Japanisch, fand jedoch eine Übersetzung, von der ich annehme, dass sie zutrifft.
Hakase no aishita sushiki = Des Professors geliebte Gleichung
Aber nun zum Buch selbst. Die Geschichte wird von einer namenlosen Frau erzählt, die für eine Agentur arbeitete, die Haushälterinnen vermittelte. Nun soll sie für einen Professor arbeiten. Bereits neun Haushälterinnen vor ihr waren dort beschäftigt und keine blieb lange. Allerdings hatte ich den Eindruck, das wechselnde Anstellungen keine Seltenheit waren. Die Frau ist alleinerziehende Mutter und hat einen zehnjährigen Sohn, der während ihrer Arbeitszeit von 11 - 19 Uhr entweder in der Schule ist oder auf sich allein gestellt ist. Für Notfälle ist jedoch vorgesorgt.
Als die Frau ihre Stelle antritt wird sie von der Schwägerin des Professors eingewiesen. Die Schwägerin macht einen recht abweisenden Eindruck und stellt klare Bedingungen. Der Professor selbst wohnt im Gartenhaus der Schwägerin, die die Witwe seines älteren Bruders ist. Am ersten Arbeitstag wird die Frau statt mit einer Begrüßungsformel mit einer Frage empfangen. Welche Schuhgröße haben Sie?
Ungewöhnlich? Nicht für den Professor. Denn dieser hat vor 17 Jahren bei einem Autounfall sein Kurzzeitgedächtnis verloren. Er kann sich nur an die letzten 80 Minuten erinnern und an die Zeit bis 1975.
Der Professor ist der Inbegriff des zerstreuten Professors, auf den ersten Blick ein totales Klischee. Bei genauerem Hinsehen, muss man dies in Frage stellen. Denn so zerstreut wie er den Eindruck macht, ist er dann doch nicht. Oder seine Schutzfunktionen lassen diesen Eindruck entstehen. Was macht ein Mensch, der sich nicht an letztes Jahr, letzte Woche, gestern, ja nicht einmal an die Zeit vor 80 Minuten erinnern kann? Er sucht Zuflucht in den Erinnerungen, die konstant bleiben. Menschen, die er kennt - in seinem Fall ist dies nur seine Schwägerin. Oder in Fakten, die sich nicht so schnell ändern. Er ist Mathematikprofessor gewesen, hat Auszeichnungen und Preise erhalten. Und nun ist es die Mathematik, die ihm Halt gibt. Die seine Zeit sinnvoll ausfüllt. Und der Professor hat den Small Talk in Fragen abgewandelt, die mit Zahlen zu tun haben, um eine Gesprächsgrundlage herstellen zu können. Hört sich im ersten Moment witzig an, ist aber seine Möglichkeit so zwanglos wie möglich in Kontakt mit anderen zu treten. Für die wird das auf Dauer jedoch anstrengend. Um seinen Alltag überhaupt regeln zu können, ist sein Anzug mit Zetteln gespickt. Der wichtigste lautet: Meine Erinnerung dauert nur 80 Minuten.
Als der Professor erfährt, dass die Frau einen Sohn hat, der den Nachmittag über allein ist, besteht er darauf, dass dieser nach der Schule zu ihm kommt. Er tauft den Jungen Root, weil er einen sehr flachen Kopf hat, der ihn an ein Wurzelzeichen erinnert und erklärt dem Jungen, dass er sich deshalb nicht grämen soll, sondern sehr stolz darauf sein kann, denn das Wurzelzeichen gibt allen Schutz.
Die beiden verbindet ihre Begeisterung für Baseball. Ich war mir gar nicht bewusst, dass Baseball in Japan so eine große Stellung einnimmt.
Die Mathematik ist in dieses Buch verwoben, aber auf eine Weise, die den Leser nicht überfordert. Ogawa hat es zuwege gebracht mathematische Formeln, Primzahlen und so weiter in ihre Geschichte zu bringen, dass man selbst in die Begeisterung des Professors und seiner Haushälterin miteinstimmen könnte, auch wenn man nicht immer folgen kann. Die Schönheit der Zahlen, so nennt es der Professor. Das teils recht schwierige Thema ist in so einem leichten Stil verpackt, dass die Seiten nur so dahinfliegen.
Ein anderes Thema ist der Respekt voreinander. Der Umgang mit der Krankheit des Professors. Manches was mir ungewöhnlich vorkam, besonders im Verhalten der Haushälterin, könnte natürlich an der japanischen Erziehung oder Religion liegen, eben eine kulturelle Eigenart.
Wer jetzt noch wissen möchte, wer Enatsu ist, welche andere Begabung der Professor noch hat oder was das Besondere an der Zahl 28 ist, der sollte auf jeden Fall dieses Buch lesen.