Vladimir Sorokin - Der Schneesturm

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 3.297 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von illy.

  • Inhalt:


    Die Pest ist wieder ausgebrochen! Garin, ein Landarzt, sieht es als seine Pflicht, ins Dorf Dolgoje zu fahren und die Menschen dort zu impfen. Die eigentlich einfache Strecke wird jedoch erschwert, da ein heftiger Schneesturm die Gegend heimsucht.


    Nur Kosma, genannt "der Krächz", ist bereit, den Arzt übers Land zu fahren. Mitten durch den feindlichen Schneesturm...


    Meine Meinung:


    "Der Schneesturm" von Vladimir Sorokin kann man als russisch bezeichnen. Sehr russisch. Wer eine Darstellung des Russlands des 19. Jahrhunderts erwartet, so scheint es zu Beginn nämlich tatsächlich, der wird bald überrascht sein.


    Denn Sorokin entführt uns in eine alternative Realität, die so ganz anders ist als die Welt, die wir kennen. Und ihr dennoch sehr ähnelt.


    Es geht los mit den Pferden des Krächz. Es sind Minipferde, kaum kniehoch. Im Gegenzug gibt es auch Pferde, die so gross sind wie ein Haus. Kleinwüchsige sind nicht einfach nur klein, sie sind Zwerge. Auch einem toten Riesen begegnen wird. Russlands Technik ist im Kommen, wir treffen auf seltsame Aparate. Doch am schauerlichsten ist die Pest, die die Menschen nicht nur dahinrafft, sondern Zombies aus ihnen macht.


    Und all das vor, oder besser noch, inmitten, der Kulisse des tobenden Schneesturms.


    Es ist ein aussergewöhnliches und sehr stimmungsvolles Buch, das Sorokin geschriebe hat. Dennoch weiss ich noch immer nicht so recht, was ich davon halten kann. Ich habe mit Garin gehofft, gelitten und mich mit Kosma und seinen Pferden angefreundet. Sogar die Kälte des Sturmes gespürt.


    Sollte sich der Leser jedoch zu fest an Genrevorstellungen festhalten, ist er bald so verloren wie der Krächz und sein Schlitten im Schneesturm. Sorokin wirft einfach alles über den Haufen und generiert ein neues literarisches Genre. Wie der Sturm bringt er alles durcheinander, löscht aus, baut neu auf. Alles neu macht der Sorokin.


    Trotz der Härte des Schnees ringsum, ist das Buch mit einer gewissen Wärme und Feinfühligkeit erzählt. Dies ist ein starker Kontrast, genauso wie die schwarzen Stämme der Bäume im weissen Schnee.


    Ich muss sagen, dass ich froh bin, dieses Buch im Winter gelesen zu haben, kann ich doch nicht sagen, wie ich im Sommer darauf reagiert hätte.


    Leider kenne ich mich im aktuellen Russland nicht gut genug aus, um auf verwischte Hinweise oder versteckte Andeutungen einzugehen. Aber ich kam nicht umhin, nach diesen Punkten zu suchen. Doch sollte es sie geben, hat Sorokin sie gut vor mir versteckt.


    Also sauste ich bloss mit Garin und Kosma durch die Kälte und hoffte mit ihnen, dass wir das Ziel erreichen mögen...


    Fazit:


    Ein interessantes, verwegenes und doch ruhiges Buch. Ein Buch, das uns packt wie der Schneesturm selbst, trotzdem so ruhig ist wie die Schneeflocken, die vom Himmel fallen.
    Ein sehr literarisches Werk, auf das man sich einlassen muss. Wie dies so oft bei den Russen der Fall ist. Für experimentierfreudige Leser.


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    4ratten

    //Grösser ist doof//

  • Inhalt: Der Arzt Garin muss nach neuerlichem Ausbruch der Pest in das Dorf Dolgoje reisen, um die verbleibenden Gesunden zu impfen.
    Dafür heuert er den Brotkutscher Kosma, genannt "Krächz" an, der ihn per Schlitten in das Dorf bringen soll.Doch in der russischen Einöde tobt ein gewaltiger Schneesturm....


    Meine Meinung: Das Buch strotzt nur so von Absonderlichkeiten und Phantastischem: Es gibt Riesen mit sechs Metern Körpergröße, Kleinwüchsige, die nicht nur kleinwüchsig, sondern Zwerge sind, gläserne Pyramiden, die Rauschzustände auslösen und noch viel mehr.
    Sorokin schreibt sehr atmosphärisch, so atmosphärisch, dass ich den Schneesturm regelrecht spüren konnte. Die Sprache bleibt dabei klar und ohne Schnörkel.
    Sicherlich gibt es viele versteckte Anspielungen auf die derzeitige politische und soziale Lage Russlands, die ich aber nicht alle entdecken konnte, da ich mich nicht so sehr mit der aktuellen politischen Situation Russlands auskenne.
    Das Buch lässt sich nicht genau in ein Gerne festlegen, das macht ja das Besondere an diesem Buch aus, wie ich finde.
    Es ist realistisch, spielt zugleich in einer parallelen Welt,es ist phantastisch, irgendwie traditionell und dennoch postmodern.


    Fazit: Ein schlichter, ruhiger Roman von sprachlicher Gradlinigkeit. Etwas für den Liebhaber russischer Literatur und diejenigen, die sich nicht auf ein Gerne festlegen wollen.


    4ratten

    Einmal editiert, zuletzt von Aurelia ()


  • Es ist realistisch, spielt zugleich in einer parallelen Welt,es ist phantastisch, irgendwie traditionell und dennoch postmodern.


    Finde ich auch. Es war eine wirklich interessante Lektüre. Es freut mich, dass es dir genauso gefallen hat wie mir :winken:

    //Grösser ist doof//

  • Jari: Mir hat das Buch sogar sehr gut gefallen! Ich verstand bloß die (wahrscheinlich) versteckten Anspielungen nicht...
    Ich bin übrigens über deine Rezension zu dem Buch gekommen.Vielen Dank dafür! :smile:

  • Die Anspielungen verstand ich leider auch nicht, aber ich bin mir sicher, dass das Buch voll ist davon. Aber wahrscheinlich so gut versteckt, dass, wenn man die aktuelle Lage in Russland nicht kennt, diese gar nicht findet. Jedoch kann man das Buch ja auch ganz gut ohne den Hintergrund lesen.
    Und es freut mich sehr, dass du durch meine Rezi darauf aufmerksam wurdest :bussi:

    //Grösser ist doof//

  • Meine Meinung
    Ich kann mich eigentlich den Meinungen meiner beiden Vorschreiberinnen nur anschließen. Ein richtig gutes Buch, dass mich mehr als einmal überrascht hat und das trotz seiner Kürze so ziemlich jedes Gefühl in mir wachgerufen hat, das mir zur Verfügung steht. :zwinker:


    Den Inhalt kann man wohl als skurril bezeichnen. Man fühlt sich zunächst, als wäre man im 19. Jhd. in Russland unterwegs, doch schon bald verwischen die Grenzen zwischen Zeit und Raum, zwischen Fantasie und Realität. Immer wieder lassen sich z.B. moderne Geräte entdecken oder Verweise auf die Popkultur (sehr cool: The Beatles dürfen da natürlich nicht fehlen) finden. Und auch die fantastischen Elemente halten sehr schnell Einzug. So stößt man z.B. auf schnell wachsende Fasern, Riesen, Zwerge, Minipferde und haushohe Pferde. All diese Dinge verwundern die Protagonisten kein bisschen und so fühlt man sich fast wie in einer verschneiten, bedrohlichen Märchenwelt.


    Eine Freundin von mir meinte, dass sie nicht so wirklich weiß, was sie von diesem Buch halten soll. Ich kann das verstehen, man muss sich wirklich auf dieses Buch einlassen können und mit dieser abstrusen Welt klarkommen. Ich für meinen Teil haben den Ausflug in diese surreale Welt genossen und hätte gerne noch mehr darüber erfahren. Das Ende kam mir etwas abrupt vor, aber eigentlich hat es zu der Geschichte gepasst.


    Bei über 30 Grad im Schatten habe ich das Buch heute zu Ende gelesen (man beachte den Titel, der ist in diesem Buch Programm). Dank des tollen, atmosphärischen Schreibstils des Autors konnte ich mich trotz Hitze perfekt in das verschneite Russland versetzen und habe mit Garin (was für ein Unsympath) und Krächz mitgebibbert.


    Die diversen Andeutungen und Verweise auf das heutige Russland habe ich eher selten bemerkt ... das Buch lässt sich aber auch so sehr gut lesen. Es ist lustig, stimmt nachdenklich, ist skurril und schräg, fantastisch und realistisch. Irgendwie eine bunte Mischung, aber perfekt aufeinander abgestimmt und von nichts zu viel oder zu wenig.
    Ich vergebe 4ratten

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)


  • Eine Freundin von mir meinte, dass sie nicht so wirklich weiß, was sie von diesem Buch halten soll. Ich kann das verstehen, man muss sich wirklich auf dieses Buch einlassen können und mit dieser abstrusen Welt klarkommen. Ich für meinen Teil haben den Ausflug in diese surreale Welt genossen und hätte gerne noch mehr darüber erfahren. Das Ende kam mir etwas abrupt vor, aber eigentlich hat es zu der Geschichte gepasst.


    Das stimmt, wenn man sich nicht auf die Geschichte einlassen kann, wird man wohl nichts damit anfangen können. Ich genoss diesen Ausflug ins Surreale jedoch sehr. Natürlich gibt es auch Leser, die mit Surrealismus nicht viel anfangen können, aber die würden wohl eher nicht zu diesem Buch greifen.


    Eine sehr schöne Rezi, Mondy :daumen: Freut mich, dass dir das Buch ebenfalls zusagt.

    //Grösser ist doof//

  • Jari:
    Ja, das Buch ist sehr eigen, aber absolut lesenswert, wenn man denn auf sowas steht. Ich zumindest war positiv überrascht, irgendwie dachte ich vorher, dass mir das Buch nicht so gefallen wird. Und jetzt darf es sogar im Bücherregal bleiben. :breitgrins:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)


  • Und jetzt darf es sogar im Bücherregal bleiben. :breitgrins:


    Das freut mich aber für das Buch! :breitgrins:
    Klasse fand ich es auch, dass du es im Sommer bei 30 Grad gelesen hast :breitgrins: Wie genial!

    //Grösser ist doof//

  • mondy: Ich finde deine Rezension auch klasse, mondy! Stimmt, "Der Schneesturm" ist wirklich ein besonderes Buch, ich denke manchmal auch noch gern daran zurück.

  • Auch mir sind viele Szenen des Buches in lebhafter Erinnerung. Der Autor hat wirklich starke Bilder gezeichnet.

    //Grösser ist doof//


  • Klasse fand ich es auch, dass du es im Sommer bei 30 Grad gelesen hast :breitgrins: Wie genial!


    :zwinker: Ja, mich stört sowas nicht, gute Bücher kann man zu jeder Jahreszeit lesen.


    Und danke für das allgemeine Lob hier, da werde ich ja ganz rot. :redface:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)


  • :zwinker: Ja, mich stört sowas nicht, gute Bücher kann man zu jeder Jahreszeit lesen.


    Ich weiss jetzt erhrlich gesagt nicht, ob ich das gekonnt hätte. Für mich muss äussere Stimmung wenn möglich mit der inneren überein stimmen. Leise Bücher, z.B., kann ich schwer in einem Pendlerzug lesen, weil es da so laut ist. Dann bekomm ich Vögel.

    //Grösser ist doof//

  • Ein Arzt ist unterwegs in ein abgelegenes Dorf, er hat einen Impfstoff dabei, der die Menschen retten soll, die der dort grassierenden Seuche noch nicht zum Opfer gefallen sind. Als er die Pferde wechseln muss, wird es seltsam, wird die neue Kutsche doch gleich von 50 Pferdestärken gezogen, allerdings sind die Pferdchen nicht viel grösser als Kaninchen. Im weiteren Verlauf erfährt man übrigens, dass auch der Gegensatz existiert, Pferde, die mehrere Meter groß sind und alleine einen Zug ziehen können.


    Jedenfalls machen sich sein neuer Kutscher und der Arzt auf den Weg, der allerdings, dank des titelgebenden Schneesturms von so einigen unvorhergesehenen Stops und Umwegen geprägt sein wird.


    So einiges erinnert in diesem Buch an Science-Fiction-Romane aus dem 19. Jahrhundert und auch eine Horrorkomponente kommt zum Vorschein. Davon war ich einerseits ziemlich fasziniert, andererseits zwischendurch immer mal wieder gelangweilt von den Gedankenmonologen des Protagonisten und am Ende vor allem etwas ratlos.

    Eine Geschichte über eine Reise ohne Ziel, in der man sich aber für die Reise- bzw. Lesezeit verlieren kann.


    4ratten


    PS Die vermutlich reichlich vorhandenen Anspielungen auf unser Russland sind auch an mir verlorengegangen.