Neal Stephenson - Error

  • Hi!


    Ich habe das Buch schon länger gelesen, komme aber erst jetzt dazu, die Rezi zu posten. Ich hätte das Buch auch in einer anderen Kategorie (SciFi, Abenteuerliteratur, Sonstiges) einordnen können.


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    Inhalt:
    Richard Forthrast hat in jungen Jahren Drogen von Kanada in die USA geschmuggelt und mit dem gesparten Geld in späteren Jahren ein WOW-ähnliches Game lanciert, das unter anderem deshalb ein globaler Erfolg wurde, weil es den reichen Usern erlaubt, ärmere User für im Game erbrachte Dienstleistungen in realem Geld zu bezahlen, und das weltweit. Entsprechend machen chinesische Kiddies gern die Drecksarbeit für Europäer und Amerikaner, das Geschäft floriert auf allen Seiten und Richards grösste Sorge ist, dass die allgemeine Storyline der Welt nicht vom Mob übernommen, sondern halbwegs aus der Firmenzentrale gesteuert werden kann.


    Da Richard seine Nichte Zula sehr gerne mag, verschafft er ihr einen Job in seiner Firma und alles könnte wunderbar sein. Nur leider hat Zulas Freund Peter mehr Ehrgeiz und Habgier als Verstand und als er (einmalig) gestohlene Kreditkartendaten verkaufen will, endet das mit seiner und Zulas Entführung durch russische Mafiosi, da sich die Daten als nicht brauchbar herausstellen. Peter versucht den Russen zu erklären, dass er am Unglück keineswegs schuld ist, sondern irgendein chinesischer Hacker, der durch einen Virus in Richards Game verschiedene Spieler ausnimmt. Dem Russenboss gefällt das so wenig, dass er sich persönlich an dem Chinesen rächen will, den Zula und Peter für ihn in Xiamen ausfindig machen sollen.


    Von da an wird es kompliziert, da das Grüppchen während seinem Rachefeldzug eine Bande islamistischer Terroristen aufschreckt, die sich in China versteckt hatten. Diese wiederum werden von einer britischen Agentin beobachtet, die den Zugriff des Geheimdienstes auf die Gruppe vorbereiten soll. Und plötzlich ist sie auch sie mitten in der Action.


    Meine Meinung:
    Was man anhand der Inhaltsbeschreibung vielleicht schon erahnt, trifft tatsächlich zu: um diese Geschichte aufgehen zu lassen, muss Neal Stephenson sehr häufig den Zufall bemühen. Wobei er das auf der einen Seite sehr geschickt macht, da alle Handlungen seiner Protagonisten ziemlich plausibel (wenn auch nicht immer unausweichlich) sind. Das erklärt, dass immer alle am rechten Ort sind. Dass sie es auch noch grade zur rechten Zeit sind, ist schon sehr dick aufgetragen. Genau diese sehr bemühte Konstruktion hat das Vergnügen beim Lesen getrübt, da der Roman so sehr voraussehbar wird und das bin ich mich von einem Stephenson in der Form nicht gewohnt (wenigstens nicht in seinen letzten Büchern, bei den ersten eher noch).


    Jedenfalls beschlich mich irgendwann das Gefühl, dass er da nicht mit dem ganzen Herzen bei der Sache war oder dass er einfach einen Roman abliefern musste. Was jetzt nicht heissen soll, dass REAMDE ein schlechtes Buch ist. Im Gegenteil, für jemanden, der noch nie etwas von Stephenson gelesen hat, würde ich es sogar empfehlen, da es im Vergleich zu anderen Werken sehr zugänglich ist.


    Jedenfalls ist das vorliegende Werk die perfekte Mischung aus Räuberpistole und Elementen der klassischen Verwechslungskomödie (so präzise getimte Auftritte gibts sonst nur dort). Ein Thema, das sich von vorne bis hinten durchzieht, ist die Schwierigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden. Dazu gibt es handfeste Diskussionen, die zwischen Richard und seinen Spieleentwicklern geführt werden und ausserdem habe ich mich als Leserin dabei erwischt, wie ich plötzlich mit dem «Sicherheitsberater» des Russenbosses sympathisierte, obwohl er ein skrupelloser, gut ausgebildeter Killer ist. Indem Stephenson hinter dieser Figur einen an sich normalen Menschen zeigt, der eigentlich nur seinen Job macht (in den er als Afghanistan- und Tschetschenien-Veteran reingerutscht ist), macht er einmal mehr deutlich, dass die Trennung zwischen Gut und Böse einzig im Auge des Betrachters liegt. Denn auch die Sympathieträger des Buches haben keine reine Weste, wie sich gerade an Richard zeigt, der durch Kriminalität reich wurde und sein seriöses Leben als Geschäftsmann auf Drogengeldern aufbaute. Sogar bei hinterwälderischen, konservativen Waffennarren, die ich auch an einem guten Tag als irrsinnige Weichbirnen bezeichnen würde, schafft er es, eine positive Seite zu zeigen.


    Überhaupt, Schusswaffen. Sie sind das andere grosse Thema des Buches. Man mache sich auf ausführliche Beschreibungen von Schiesseisen aus aller Welt und wofür man sie am besten verwendet gefasst. Im Detail interessiert mich das zwar nicht gross, als Gesamtschau fand ich es aber interessant, zumal man am Ende des Buches weiss, dass es eigentlich für jede Situation in einer Schiesserei perfekte und eben auch nutzlose Waffen gibt. Und dass eine Schiesserei unter Profis eben auch viel mit Taktik und nicht nur mit gutem Zielen zu tun hat. Das sind zwei Punkte, die bei Hollywoodfilmen sträflich vernachlässigt werden.


    Ich habe weiter oben erwähnt, dass das Werk sehr zugänglich ist. Das liegt sicher auch daran, dass Stephenson zwar wie gehabt sehr viele Themen anschneidet, aber nicht in der Weise vertieft, wie er das sonst macht (mit Ausnahme der Waffensache). Er konzentriert sich mehr auf die Handlung und die Charaktere, was aber leider beides nicht seine Stärke ist. Die Handlung ist zu konstruiert, um zu überraschen und bei den Charakteren ist es wie immer, bei den Männern schafft er ein paar unvergessliche, der Rest ist austauschbar und die Frauen, nun ja, die kann er einfach nicht. Das sind immer Männer in Frauenkörpern. Das stört mich nicht, man könnte auch sagen, dass seine Frauen einfach knallharte Weiber sind, die wissen, was sie wollen. Aber da ich bei ihm noch nie eine andee erlebt habe, ist mein Urteil wohl richtig.


    Fazit:
    Wer mit oben erwähnten Abstrichen leben kann und einfach wieder mal ein langes, spannendes und sprachlich hochstehendes Buch lesen möchte, kann hier getrost zugreifen. Für Stephenson-Einsteiger halte ich dieses für das geeignetste Werk.


    5ratten - trotz Abstrichen. Aber es ist ein Stephenson und da ich seine Ausschweifungen und seine Sprache sehr schätze, kann ich nicht anders. :breitgrins:

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.