[Börsenblatt] Wettkampf der Grausamkeit - wieso werden Thriller immer brutaler?

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 2.123 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

  • Wettkampf der Grausamkeit - Wieso werden Thriller immer brutaler?


    An unsere Krimi/Thriller-Leser hier: habt ihr auch den Eindruck, dass es in diesem Genre immer blutiger und brutaler wird?
    Wenn ja, gefällt euch diese Entwicklung oder lehnt ihr sie ab?


    Ab wann ist ein Buch für euch zu brutal?


    Im Artikel wird Roger Smith als Beispiel genannt. Ich glaube, "Stiller Tod" habe ich nicht gelesen, aber andere Titel von ihm und die habe ich ziemlich brutal, eklig und scheußlich (nicht unbedingt negativ gemeint :zwinker: ) in Erinnerung.


    Was mir allerdings auch auffällt, sind die zunehmenden Kindesmisshandlungen und detaillierten Verstümmelungsbeschreibungen.
    Allerdings nicht ganz neu, sondern schon seit einigen Jahren. Vielleicht wird man da auch empfindlicher? Oder haben diese Dinge im Krimi/Thriller wirklich zugenommen?


    Absolut nicht zustimmen kann ich Frau Semrau, was die Identifikation mit dem Bösewicht angeht. Da lese ich anders, unbeteiligter. Ihre Beschreibung ihres Leseverhaltens macht mir ja ein bisschen Angst :breitgrins:

    LG, Dani


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  • Ich denke, Semrau liegt ganz richtig mit der Aussage, dass eine gut aufgebaute spannende Geschichte auf Gemetzel verzichten kann.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • @Dani
    Den Artikel habe ich noch nicht gelesen, ich finde mich auch so in deinen Aussagen im Anfangsposting wieder. Ich habe mich in den letzten Jahren immer mehr von Thrillern oder auch Krimis verabschiedet, weil sie mir zu blutig wurden. Es ist schon ein ganz eigener Stil, der da entstanden ist und bei dem viele Autoren offensichtlich versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Nicht nur in der Art der Gewalt, sondern auch in der Häufung innerhalb eines Buches. Andere Feinheiten, die einen Thriller ausmachen, bleiben dabei auf der Strecke. Ich trauere den Büchern nach, die noch ohne viel Blut und Leichen Spannung aufbauen und aufrechterhalten konnten. Sicherlich gibt es sie noch, aber bei der Vielzahl von sich gleichenden Büchern mit aneinandergereihten Brutalitäten sind sie schwer zu finden. Manchmal frage ich mich wirklich, wie Leute, denen im wahren Leben schon schlecht wird, wenn sie eine etwas stärker blutende Wunde sehen, solche Bücher genießen können.


    Die zunehmende Brutalität in Thrillern ist eine traurige Entwicklung. Wenn den Autoren nichts anderes mehr einfällt, sollten sie ganz lassen. Aber es verkauft sich eben gut.

  • Ich sehe es ganz genauso. Wenn aus einem Buch nicht mehret Liter Blut und einige Kilos Gehirnmasse fließen, scheinen sie langweilig zu werden. Es erscheint mir wie eine Art Voyeurismus.
    Erst letztens fiel mir auf, dass es auch gute Kriminalgeschichten ohne Gewalt gibt. Es war ein Conan Doyle. Die Geschichte war sehr spannend und das lustige war, dass gegen Ende herauskam, dass überhaupt kein Verbrechen stattgefunden hat. :breitgrins:
    Das hat mir ausgesprochen gut gefallen.


    Mir geht es da genau wie Doris. Genau aus diesen Gründen lese ich kaum noch Krimis. Blut und Innereien habe ich jeden Tag auf der Arbeit, live und in Farbe, aber diese Gewalt, die brauche ich wirklich nicht. Meine Patienten haben wenigsten Narkose und sind danach wieder gesund. :smile:


  • Manchmal frage ich mich wirklich, wie Leute, denen im wahren Leben schon schlecht wird, wenn sie eine etwas stärker blutende Wunde sehen, solche Bücher genießen können.


    Als ich Schwanger war, mussten es Thriller/Horrorbücher sein. Es konnte gar nicht blutig und brutal genug zugehen. Kann ich das auf die Hormone schieben? :zwinker: Meine Kinder sind übrigens nicht gewalttätig veranlagt :breitgrins:


    Mittlerweile lese ich nur noch selten Thriller. Ich finde, wenn man sparsam mit den brutalen/ekligen Szenen umgeht, dann haben sie oft mehr Wirkung, als bei einer Aneinanderreihung von solchen Szenen.

    Pessimisten stehen im Regen, Optimisten duschen unter den Wolken.

  • Ich lese gerne Krimis und Thriller mit und ohne Blut und Gewalt. Ich finde manche Täter zwar auch sehr brutal, aber ich finde den Ablauf meistens spannend.
    In der Realität gib es ja nun mal auch sehr krankhafte Menschen mit sehr viel Phantasie und sie werden nicht immer erwischt. In den Büchern dagegen findet man meistens den Täter. Interessant finde ich, wenn ich dann noch Background Information über den Täter zusätzlich bekomme. Ich mag sie zu analysieren. :smile:
    Wie gesagt auch Krimis die spannend sind, aber ohne detaillierte Mord Beschreibung etc. lese ich auch sehr gerne.

  • An unsere Krimi/Thriller-Leser hier: habt ihr auch den Eindruck, dass es in diesem Genre immer blutiger und brutaler wird?


    Definitiv. Manchmal habe ich das Gefühl, als ob die Autoren immer noch "einen drauf legen" wollen/müssen, damit es noch blutiger, noch schockierender und natürlich auch besser zu verkaufen ist.


    Wenn ja, gefällt euch diese Entwicklung oder lehnt ihr sie ab?


    Ich finde das nicht schön. Ich verbinde Spannung nicht mit Blut und Horror, sondern mit einer intelligenten Geschichte. Andeutungen sind ok, aber mir kommt es doch mehr auf den aktuellen Fall und die Lösung an.


    Ab wann ist ein Buch für euch zu brutal?


    Das ist unterschiedlich. Christopher Brookmyre und Iain Banks z.B sind beide oft sehr blutrünstig, aber bei ihnen kommt trotz allem immer auch die Tatsache durch, dass sie das Gemetzel nicht zu ernst nehmen.


    Was mir allerdings auch auffällt, sind die zunehmenden Kindesmisshandlungen und detaillierten Verstümmelungsbeschreibungen.
    Allerdings nicht ganz neu, sondern schon seit einigen Jahren. Vielleicht wird man da auch empfindlicher? Oder haben diese Dinge im Krimi/Thriller wirklich zugenommen?


    Ich dachte zuerst auch dass meine Abneigung nur daran liegt, dass ich empfindlicher geworden bin. Das trifft zum Teil zu, aber die grausamen Szenen haben auch sehr zugenommen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Hatten wir nicht schon mal einen Thread zu diesem Thema? Ich habe nämlich auch den Eindruck - der durch Artikel wie diesen immer wieder bekräftigt wird - dass es mittlerweile einen olympischen "Blutiger, ekliger, brutaler"-Wettbewerb unter Thrillerautoren gibt.


    Sicher wird ein Krimi/Thriller eher selten ohne Leiche auskommen, und es macht mir auch nicht allzu viel aus, wenn Blut fließt, ggf. auch in größeren Mengen, aber dass die Täter immer perverser und gemeiner und brutaler sein müssen und noch eine Schippe an Widerwärtigkeit draufgelegt werden muss, geht mir inzwischen extrem gegen den Strich. Und was mich ganz enorm ankotzt, sind die vielen Kinderschänder, deren Taten auch gerne noch detailliert beschrieben werden, die sexuelle Erregung des Täters inbegriffen. So was will ich ganz einfach nicht lesen. Schlimm genug, dass es solche Verbrechen gibt. Ich bin nicht dagegen, Pädophilie in der Fiktion zu thematisieren (gut gemacht kann das ja auch den Leser für das Thema sensibilisieren), aber eine so explizite, sensationsgeile Verwendung empfinde ich als Verhöhnung der Menschen, die im wirklichen Leben Opfer solcher Taten geworden sind.


    Ich halte mich am liebsten an altmodische Whodunits oder an schräg-witzige Serien wie Flavia de Luce oder Kluftinger.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich beobachte diese Entwicklung auch seit einiger Zeit. Man kann in Buchhandlungen ja kaum an diesen typischen Buchcovern vorbeischauen, gerne in schwarz oder weiß mit schön rotem Blut, mit Buchstaben wie von Fingernägeln auf Glas gekratzt und mit Titeln bei denen ich dem Autoren am liebsten in's Gesicht kotzen möchte: Der Augensammler, Der Seelenbrecher, Der Augenjäger und so weiter, und ich möchte manchmal ganz laut im Laden schreien: WELCHES KRANKE HIRN DENKT SICH SOLCH EINEN WIDERLICHEN SCHEISS AUS?


    An dieser Stelle möchte ich mich schon mal bei alles Liebhabern dieses Genres entschuldigen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ein normaler ausgeglichener Mensch an solchen Widerlichkeiten findet


    Es heißt ja immer, beim Bücherlesen kann man in die Köpfe anderer Menschen schlüpfen und Erfahrungen nachvollziehen, die einem im realen Leben (zum Glück oder leider) verwehrt sind. Und ich lese gerade Krimis immer wieder gerne, wenn ich darin etwas über die conditio humana lernen kann, über Gründe von Schuld, Scham, Gewalt. Aber diese Splatterkrimis entspringen meiner Meinung nach einem vollkommen kranken Menschenbild. Ich weiß wohl, daß diese Welt in der wir leben, weit davon entfernt ist, perfekt zu sein. Ja, es gibt Gewalt, es gibt Missbrauch, Mord und anderes. Aber ob man diese Welt zu einem besseren Ort macht, indem man die Spirale der perversen Gewalt gedanklich weiter und weiter dreht, wage ich zu bezweifeln. Ich fürchte gerade, dass diese Darstellung von Gewalt sie immer denkbarer und letztlich machbarer macht, dass die fiktive Gewalt irgendwann der Fiktion entkommt weil sie sich in zu vielen Hirnen als denkbar festgesetzt hat.


    Nun sollte man ja nie vom eigenen Unverständnis auf andere schließen, und vielleicht gibt es ja tatsächlich nachvollziehbare Gründe, sich die detaillierte Misshandlung, Verstümmlung etc von meist unschuldigen Opfern anzutun; ich lasse mich da gerne von Liebhabern des Genres aufklären.


    Bis auf weiteres halte ich mich da auch eher an moderate Krimis wie die von Simenon, Magdalen Nabb, Dana Stabenow, Ann Cleeves.

    "What we remember is all the home we need."

    Roberet Holdstock, Avilion


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    Einmal editiert, zuletzt von Morwen ()

  • Oh ja, vor allem bei diesen Augen-Titeln könnte ich auch immer brechen!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Ich fürchte gerade, dass diese Darstellung von Gewalt sie immer denkbarer und letztlich machbarer macht, dass die fiktive Gewalt irgendwann der Fiktion entkommt weil sie sich in zu vielen Hirnen als denkbar festgesetzt hat.


    Das ist ein sehr komplexes Thema und lässt sich in der Kürze kaum beantworten. Fakt ist aber, dass wir mit heutigem Wissensstand nicht sagen können, wie sich fiktive Gewaltdarstellungen tatsächlich auf den Rezipienten auswirken. Egal ob in Filmen, Büchern, Videospielen. Der größte Fehler, der vor allem populärwissenschaftlich immer wieder geschieht, ist eine Korrelation - also Gewaltkonsum und Gewaltausübung tauchen gehäuft gemeinsam auf - kausal zu interpretieren. Aus einem reinen Zusammenhang wird also plötzlich ein Weil-Satz, obwohl wir daraus überhaupt nicht auf die Richtung des Zusammenhangs schließen können. Alleine hier habe ich schon zwei Interpretationsmöglichkeiten: "Das Aggressionspotential erhöht sich, wenn man Gewalt konsumiert" oder "Wer vorher schon ein größeres Aggressionspotential hat, konsumiert auch eher Gewalt".
    In beiden dieser möglichen Interpretationen fehlen aber noch eine Vielzahl an Einflussfaktoren, zum Beispiel ob eine Person in ihrerer Umwelt ähnliche Zustände vorfindet wie im konsumierten Medium, ob der Zugang zu gewaltfördernden Mitteln leichter ist. Was auch meist völlig außer Acht bleibt, ist der zeitliche Faktor. Wirkt Gewaltkonsum auf mein eigenes Aggressionspotential nachhaltig? Oder vielleicht "nur" ein paar Stunden? Genauso wie die Dosis des Gewaltkonsums.


    Auch die Frage, wieso wir Menschen überhaupt Gewalt konsumieren, ist nach wie vor eine mit vielen Theorien und Hypothesen und lässt sich so einfach nicht beantworten.


    Ich bin persönlich und fachlich eher der Meinung, dass viele Zusammenhänge schwacher statistischer Natur sind und der Einfluss auf "die Allgemeinheit" schnell überschätzt wird.
    Leider bekriegen sich die Forschergruppen der jeweiligen Theorien sehr stark und sind häufig gekennzeichnet durch Extrempositionen, das ist nicht wirklich förderlich um valide Forschungsergebnisse zu bekommen. Aber genauso sehen häufig die Diskussionen der Laien aus.
    Gerade in Bezug auf Videospiele finde ich übrigens interessant, dass ich mich persönlich immer gegenüber Personen befinde, die in ihrem Leben über Tetris nicht hinausgekommen sind. Da ich persönlich also Gamer bin, mein "Gegner" aber nicht, halten wir uns beide für voreingenommen und die Diskussion geht nie über Oberflächlichkeiten hinaus. (Naja, eigentlich befinde ich mich bei so vielen Themen in dieser Situation :zwinker: )


    (Mit "Gewalt konsumieren" meine ich übrigens ausschließlich fiktive Gewalt, ich war nur zu faul das jedes Mal dazuzuschreiben.)

    “Grown-ups don't look like grown-ups on the inside either. Outside, they're big and thoughtless and they always know what they're doing. Inside, they look just like they always have. Like they did when they were your age. Truth is, there aren't any grown-ups. Not one, in the whole wide world.” N.G.

  • Hatten wir nicht schon mal einen Thread zu diesem Thema?


    Einen eigenen Thread dazu hatten wir nicht, aber die Diskussion kommt immer wieder auf. Ich kann mich zumindest erinnern, dass ich in einigen Rezis über das Thema schon geklagt habe.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.