Anne Goldmann - Lichtschacht

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 1.881 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von illy.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Lena zieht nach Wien, in die Wohnung einer Freundin, die verreist ist. Sie hat nicht viel Geld und versucht sich mit einem Teilzeitjob und Urlaubsvertretungen über Wasser zu halten. Am ersten einigermaßen lauwarmen Abend des Jahres gönnt sie sich einen Joint auf der Terrasse und sieht drei Fremde auf dem Hausdach gegenüber feiernd auf dem Dach. Als sie wegblickt und nach Sekunden wieder hinblickt, ist eine der Frauen verschwunden. Wo ist die Frau hin? Einfach nur weggegangen oder ist sie vom Dach gefallen?


    Jetzt gäbe es bestimmt viele Krimiheldinnen, die sofort in Aktionen treten würden – welcher Art auch immer – doch Lena ist hier eher zurückhaltend. Zum einen ist sie sich nicht sicher, ob tatsächlich etwas passiert ist. Fragt sich, ob es nicht der Wirkung des Joints geschuldet ist oder ob die Frau wirklich nur einfach wieder ins Haus gegangen ist. Zum anderen ist da die Reaktion der beiden anderen auf dem Dach. Es herrscht keine Hektik, keine Panik. Die beiden sind ruhig, ruhiger als vorher mit der anderen Frau zusammen, aber eben nur ruhig. Keine Aktion, als ob gerade jemand abgestürzt wäre.


    Lena ist sich unsicher und dies zieht sich durch das ganze Buch. Es gibt von ihrer Seite immer wieder Vorstöße, doch sind diese vorsichtig, abwägend. Sie kann die Beobachtung nicht aus ihren Gedanken verbannen und es gibt auch immer wieder Kleinigkeiten, die ihr auffallen. Manche Dinge geht sie gezielt an, doch letztendlich kann sie sich nie sicher sein, ob wirklich etwas geschehen ist. Nebenbei passieren Lena viele gute Dinge: sie verliebt sich, ihr Teilzeitjob wird auf einen Vollzeitjob ausgeweitet, ihre finanzielle Situation verbessert sich, sie findet Freunde. Und doch nagt beharrlich der Abend an ihr, an dem sie das Geschehen auf dem Dach beobachtet hat. Die Geschichte hört sich einfach an und doch gelingt es der Autorin, hier nie das Gefühl von Langeweile aufkommen zu lassen, sondern sie kreiert ein unterschwelliges, immens spannendes Krimi-Paradestück, welches einen Großteil der Zeit ganz ohne Leiche zubringt.


    Neben Lenas Gedanken und Erlebnissen, bekommt man auch immer wieder Einblick in die des Täters, der dem Leser aber nicht namentlich genannt wird. Die Aktionen des Täters werden zunehmend gezielter und mörderischer, nicht nur als die zweite Frau auf dem Dach mit Zweifeln bestückt die Polizei aufsuchen will, sondern auch Lena ihm näher rückt. Die Autorin präsentiert einige Kandidaten in Lenas Leben, die als Täter in Frage kommen und irgendwann hat man auch einen konkreten Verdacht, doch das nimmt dem Krimi nicht die Spannung. Es geht gar nicht darum, wer der Täter ist, sondern darum, dass Lena sich im Spannungsfeld um den Täter aufhält und es selbst zwar ahnt, aber nicht weiß, wer es ist. Die Spannung ist fast greifbar und Lena immer mehr verunsichert, aber trotzdem hartnäckig. Der Weg dorthin ist das Erlebnis, nicht die Lösung des Falls.


    Fazit:
    "Lichtschacht" ist ein raffinierter Krimi, der von einer unheimlichen und durchgehenden Spannung gespeist wird. Unspektakulär, aber überzeugend - das Buch hat mich in seinen Bann gezogen. Eine absolute Leseempfehlung!

    Grüßle, Christina

  • Danke für die Vorstellung dieses Buches, DunklesSchaf. Ein Krimi ohne Blut und Opfer klingt doch sehr interessant. Nachdem wir erst kürzlich an anderer Stelle feststellten, dass Thriller immer blutrünstiger werden, könnte das ein Beispiel dafür werden, dass auch mit reinen Verdachtsmomenten Spannung erzeugt werden kann. Unsere Bücherei hat das Buch, da werde ich auf eine günstige Gelegenheit warten und es mitnehmen.


  • Ein Krimi ohne Blut und Opfer klingt doch sehr interessant.


    Ein Opfer gab es natürlich doch, ist ja schließlich ein Krimi. Dann aber kommt die Handung tatsächlich ohne körperliche Gewalt aus. Da Lena sich nicht sicher ist, ob sie einen Mord beobachtet hat, weiß sie nicht, ob sie sich überhaupt Sorgen machen soll. Nur ihr Bauchgefühl spricht eine deutliche Sprache und lässt ihr keine Ruhe. Eigentlich ist sie damit beschäftigt, sich in ihrem Job zu beweisen und Freunde zu finden. Trotzdem drängt sich der Vorfall auf dem Dach des Nachbarhauses in jeder ruhigen Minute in ihre Gedanken. Weil sie nicht zur Polizei gegangen ist, plagen sie Zweifel und Schuldgefühle. Mit der Zeit lernt sie einige Leute kennen, und als LeserIn ahnt man, dass sich der Täter unter ihnen befindet. Lena ahnt nichts und weiß auch nicht, dass sich die Dinge langsam zuspitzen. Das macht die Handlung so spannend.


    Anne Goldmann spielt geschickt mit der mentalen Belastung Lenas und der Anonymität des Mörders und konstruiert einen raffinierten Plot. Zu Beginn ist es etwas verwirrend, wenn von den Ereignissen um Lena zum Täter gewechselt wird, doch man erkennt schnell, in welchem Handlungsstrang man sich befindet. Ohne dass man es merkt, verflechten sich die beiden Ebenen allmählich. Manches im Ablauf erscheint offensichtlich und entwickelt sich doch in unerwartete Richtungen.


    Sprachlich hat mich das Buch nicht ganz überzeugt. Viele kurze Sätze tragen dazu bei, die Hektik und Ruhelosigkeit der Handlung zu verdeutlichen, verringern aber gleichzeitig die Qualität der Sprache. Als Stilmittel lasse ich es durchgehen und gebe nur kleine Abstriche. Ansonsten eine gelungene Geschichte, die sich von den üblichen mit Opfern und Gewalt gesättigten Krimis auf bemerkenswerte Weise abhebt.


    Gut gelungen ist auch die Gestaltung des Covers mit dem senkrechten abgebildeten Titel, der den schmalen, hohen Lichtschacht symbolisiert.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Lena ist neu in Wien, frisch zugezogen und ohne Freunde oder Bekannte in der Stadt – bis auf Steffi, in deren Wohnung sie wohnt, während Steffi um die Welt reist. Von der Dachterrasse aus beobachtet sie 3 Personen (2 Frauen, 1 Mann) auf einem Dach gegenüber. Als sie erneut hinschaut, sind sie nur noch zu zweit. Sie ist unsicher, ob überhaupt etwas passiert ist und doch lässt ihr das Geschehen keine Ruhe – was wenn die eine Frau vom Dach gestürzt ist oder gar gestoßen wurde.


    Die Ausgangssituation erinnert ein wenig an „Das Fenster zum Hof“ – dass Lena mit ihrer schlimmsten Vermutung recht hat, weiß man als Leser allerdings sofort, denn parallel zu Lenas Leben bekommt man auch immer wieder Abschnitte aus der Sicht des Mannes vom Dach präsentiert. Aus denen wird schnell klar, dass der „Sturz“ Absicht war und er auch nicht vor weiteren Verbrechen zurückschreckt, um dieses zu vertuschen. Während sein Leben davon geprägt scheint, lebt Lena einen ganz normalen Alltag, in dem sie kurz darauf zwei Männer kennen lernt und sich eine Beziehung zu entwickeln beginnt. Als Leser beobachtet man das ganze sehr misstrauisch, denn schon bald ist ziemlich klar, dass der Täter einer der Männer in Lenas Umfeld sein muss – nur welcher?


    Ich mag das österreichische Flair und finde es eigentlich eher überflüssig, dass der Verlag im Klappentext vor den Austriazismen warnt. Das merkt man doch und wie kann man denn überhaupt auch nur auf die Idee kommen, das „eindeutschen“ zu wollen – und zwischendurch danke ich innerlich den Büchern von Christine Nöstlinger für meine frühe Österreich-Sozialisation. :zwinker:


    Die Alltäglichkeiten Lenas gefielen mir, sie macht sich Sorgen ums Geld und andere normale Dinge, hadert mit Familienproblemen, insgesamt wirkt sie erfreulich normal. Dadurch dass sie neu in der Stadt ist, ist sie ziemlich einsam, da nutzen auch Handy und Computer nicht, und in gewisser Weise ist sie sowieso eher auf einen frischen Anfang aus. Es ist interessant, ihr zuzuschauen, wie aus zufälligen Begegnungen langsam Bekanntschaften und zum Teil Freundschaften erwachsen. Lena ist gleichzietig offen für neue Menschen und zurückhaltend und vorsichtig und als Leser hat man natürlich auch immer den Mörder im Hinterkopf und schaut noch viel misstrauischer hin.


    Das Verbrechen nimmt nur einen Teil der Handlung ein, daneben geht es auch viel um Oberflächlichkeit in Beziehungen und darum, wie Vertrauen sich entwickelt. Für mich hat die Autorin dabei eine gute Balance gefunden, nur der Showdown war etwas überraschend brutal und direkt. Insgesamt aber ein gerade durch seine Beobachtungen des Alltags aus der Masse herausragender, gelungener Großstadtkrimi.


    4ratten