Han Kang - Die Vegetarierin

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    Han Kang - Die Vegetarierin - Aufbau-Verlag


    Seoul
    Ein Südkoreaner hat seine Ehefrau ausgesucht, weil sie unscheinbar und mittelmäßig ist. Ein Topfschnitt, hohe Wangenknochen, eine gute Köchin, eine willige Liebhaberin.
    Alles deutet auf ein langes und angenehmes Leben hin.


    "Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar.“
    Pragmatisch, die Erklärung des Ehemanns:
    "So fühlte ich mich weder von ihr angezogen noch abgestoßen und sah daher keinen Grund, sie nicht zu heiraten.“


    Yeong-hye war die perfekte Ehefrau, bis sie sich entschloss, ihre Essgewohnheiten radikal zu ändern. Eines Nachts steht sie vor dem Kühlschrank und sortiert alle tierischen Produkte aus, die teuren Lebensmittel wandern in den Müll.
    Der Ehemann ist verärgert, ob dieser Verschwendung und spricht sie darauf an:
    "Ich hatte einen Traum.." Es ist ein blutiger Traum, angefüllt vom Geschrei der viel zu vielen verspeisten Seelen.
    Wegen der Arbeit, isst er sowieso meistens auswärts und nimmt es mit einem Schulterzucken hin, er hält diesen Hilferuf für eine vorübergehende Marotte.


    In Südkorea gilt ein andersartiges Verhalten als subversiv. Fleisch abzulehnen, aus idealistischen Gründen, findet in der Gesellschaft kein Verständnis.
    Als sie fast alle Gerichte bei einem Arbeitsessen verschmäht, kommt das einem Eklat gleich, ihr Ehemann ist verzweifelt und wendet sich an ihre Eltern. Bei dem nachfolgenden Familienessen kommt es allerdings zur Katastrophe. Der Vater versucht seine Tochter zu zwingen, Yeong-hye muss sich körperlich wehren und landet im Krankenhaus. Yeong-hyes Schwager ist fasziniert von ihrem Protest, in ihm wächst eine tiefe Sehnsucht. Er möchte ihren Körper mit Blumen bemalen..


    Jeder muss seine Rolle spielen, damit sich niemand Sorgen machen muss, jemanden über Gebühr Mitleid zeigen zu müssen. Das seelische Gleichgewicht fällt und steht mit der Andersartigkeit der Mitmenschen.


    Han Kangs "Vegetarierin" wurde mit dem internationalen Man Booker Preis ausgezeichnet. Die Überraschung aus Südkorea.


    Die Vegetarierin ist ein Roman in drei Akten, er hat eine stetige unscheinbare Spannung, immer einen großen Schritt vom Mittelmaß entfernt. Die Divergenz wird gefeiert. Es liest sich wie Wasser, fließend, mit Untiefen.
    Leise und kraftvoll, empfehlenswert!


    4ratten

  • Yeong-Hye ist eine relativ durchschnittliche südkoreanische Hausfrau, die von heute auf morgen beschließt, sich ab sofort vegetarisch zu ernähren und zudem konsequenterweise alle Produkte tierischen Ursprungs aus dem Haushalt zu entfernen.
    Der Roman ist dabei in drei Teile eingeteilt, die alle aus der Perspektive einer Figur erzählt werden, deren Gemeinsamkeit es ist, dass sie durch Yeong-Hyes überraschende wie ungewöhnliche Entscheidung beeinflusst werden. Nicht jedoch aus der Sicht der Frau, um die sich alles dreht.


    Der erste Teil widmet sich dem Blickwinkel ihres Ehemanns, dessen gefühllose Art mich durchaus an der ein oder anderen Stelle erschaudern ließ. Hat er Yeong-Hye wirklich als seine Frau erwählt, weil sie so ein unscheinbares Geschöpf war?


    Der zweite Teil wird von Yeong-Hyes Schwager erzählt - einem Videokünstler, der eine starke sexuelle Obsession für seine Schwägerin hegt. Er möchte sie zum Mitwirken in einem Video überreden, ja, sogar eine Sexszene mit ihr drehen.
    Der Autorin gelingt es hier sehr gut, die befremdliche Anziehung zwischen Schwager und Schwägerin zu schildern, ohne dabei abzudriften.


    Nach Zwang, Vergewaltigung und eine kurzen Phase von Erfüllung wird Yeong-Hye von ihrer Schwester In-Hye, die zugleich auch die Ehefrau des besagten Schwagers ist, in die Psychiatrie gebracht. Hintergrund ist, dass Yeong-Hye gänzlich die Nahrung verweigert, da sie annimmt, sich wie eine Pflanze ernähren zu können. Während sich Ehemann und Familie längst von der an Wahnvorstellungen erkrankten Yeong-Hye abgewandt haben, ist ihre Schwester die einzige, die noch zu ihr steht.


    Kein einfaches Buch. Weder thematisch noch sprachlich.


    Yeong-Hye unternimmt einen radikalen Versuch, aus ihrem Alltag auszubrechen und all den Erwartungen und Rollenbildern zu entkommen. Ein düsteres Leben, geprägt von Gewalt, Unterdrückung, Wahnvorstellungen und Angst. Die Autorin hat einen sehr reduzierten Sprachstil gewählt, der zu all dem perfekt passt, ja beinahe kafkaesk daherkommt. Die Bilder, die so vor dem inneren Auge entstehen sind teilweise nicht leicht zu verdauen, teilweise richtiggehend surreal.


    Nicht nur einmal habe ich mich gefragt, welche Rolle die strengen gesellschaftlichen Regeln Südkoreas für den Roman hatten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine solche oder ähnlich geartete Geschichte im westlichen Europa möglich wäre.
    Dieses gleichförmige Leben, die Erwartung der Gesellschaft, dass sich alle anpassen und stromliniengleich mitschwimmen und niemals auffallen - all das springt gerade zwischen den Zeilen hervor. Jegliche Abweichung, jeder Gefühlsausbruch oder die kleinste befreiende Handlung wird quasi als subversiv aufgefasst... Beängstigend.


    Fazit: Ungewöhnlich, beklemmend, verstörend und gleichzeitig eine nicht leicht zu lesende, aber faszinierende Art und Weise, sich mit südkoreanischen Normen zu beschäftigen.


    4ratten

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Danke für die schönen Rezis. Ich hab das Buch auch vor einiger Zeit gelesen, hab mich aber schwer getan meine Gedanken dazu in Worte zu fassen, aber ihr habt das toll hinbekommen.



    Hintergrund ist, dass Yeong-Hye gänzlich die Nahrung verweigert, da sie annimmt, sich wie eine Pflanze ernähren zu können. Während sich Ehemann und Familie längst von der an Wahnvorstellungen erkrankten Yeong-Hye abgewandt haben, ist ihre Schwester die einzige, die noch zu ihr steht.


    Dieser dritte Teil war für mich der Stärkste in dem Buch, konnte aber nur in Zusammenhang mit den ersten beiden Teilen so wirken. Es wird so vieles klarer, z.B. über die Kindheit der beiden Schwestern, die Bindung die zwischen ihnen besteht, wie die Leben der Schwestern liefen und wo die Entwicklung vielleicht begründet liegt. Die Gedanken der Schwester von Yeong-Hye und wie der Fokus almählich auf ihre eigene Geschichte gerichtet wird, sie aber gleichzeitig eng miteinander verbunden sind, war beindruckend. Anfangs war ich hin und hergerissen was ich nun von der schon teilweise sehr skurilen Geschichte und insbesondere vom Mittelteil halten soll (das war schon arg "blümerant") , aber dieser dritte Teil macht das Buch zu einem großen Ganzen, läßt viele Gedanken und Gefühle ineinanderfließen, sich verbinden und hat mich dann überzeugt.


    Auf jeden Fall ein Buch über das man länger nachdenkt .


    4ratten

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Dieses Buch habe ich gestern als Hörbuch gehört. Ich schließe mich meinen Vorredner:innen an: das ist kein leichtes Buch.

    Keine Ahnung, was ich erwartet habe, vielleicht eine Geschichte über veränderte Essgewohnheiten und die Reflexionen über den Wert jeden Lebens, auch des tierischen. Aber es ist ein Roman aus Südkorea, und so leicht macht die Autorin Han Kang es uns nicht.

    Ich fühlte mich stellenweise an "Das Seidenraupenzimmer" von Sayaka Murata erinnert, auch in jenem Werk geht es um die verstörenden Folgen des gesellschaftlichen Drucks.


    Noch kurz eine Triggerwarnung: In diesem Buch kommt eine ganz schlimme Szene mit einem Hund vor, die ich jetzt nicht mehr aus dem Kopf kriege. Wer so etwas nicht lesen möchte, der sollte die Finger von "Die Vegetarierin" lassen.


    ***
    Aeria

  • Ich hatte im Sommer damit begonnen und daher meine Gedanken nur auf Discord geteilt. Ich weiß nicht genau, weshalb ich für dieses schmale Buch so lange brauche. Aber tatsächlich komme ich oft mit dünneren Bücher schlechter voran, als mit 4 mal so dicken.


    Hier also ein Zitat vom Sommer:

    "Ich lese momentan in kleinen Häppchen Han Kang, Die Vegetarierin. Ziemlich faszinierendes Buch (aber auch ein bisschen pornografisch irgendwie. Auf eine verstörende Art, da es dabei immer um Männerfantasien geht (ja wir wissen Pornos sind oft so gestrickt)) Aber ich finde sehr spannend, wie es Han Kang gelingt, diese völlig männlich dominierten Blickwinkel auf die eigentliche Hauptfigur zu zeigen. Das zieht mich immer stärker in den Bann. Wie gesagt, total faszinierend."

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    Was ich wirklich heftig finde ist die beschriebene Sexualität. Es gibt definitiv eine Vergewaltigung und am schlimmsten fand ich, das auch davon ausgegangen wird, das es die Pflicht der Ehefrau ist, das "notfalls" halt über sich ergehen zu lassen...

    Der Roman zeigt auf sehr bezeichnende Weise wie Sexismus funktioniert. Nicht nur durch die Blickwinkel auf die Hauptfigur, die keine eigene Stimme bekommt.


    Was ich besonders genial finde ist übrigens das Cover der deutschen Ausgabe. Das ist so passend und treffend. Selten so ein gutes Cover für ein Buch gesehen. Und es war auch der Grund warum ich den Roman lesen wollte. Ich habe immer wieder über das Cover nachgedacht und Wochenlang ging es mir einfach nicht aus dem Kopf.

    Die Vegetarierin ist kein hm Highlight in dem Sinne. Ich habe nicht das Herzklopfen, das ich dann habe. Ich konnte es jetzt Monatelang liegen lassen und nicht weiter lesen. Dennoch inhaltlich hat es mich immer wieder beschäftigt und ich bin sicher, das ich von Han Kang auch mehr lesen werde.


    Beendet habe ich das Buch übrigens auch immer noch nicht. Auch wenn ich heute ein paar wenige Seiten darin gelesen habe.

  • Zum Schluss: Ich hab es dann doch noch beendet heute. Endlich.

    Es viel mir sehr schwer darin weiter zu lesen, ich habe zur Zeit eine Leseflaute. Gleichzeitig wollte ich es ehrlich gesagt einfach endlich endlich zu Ende lesen, da es mir ja an sich auch gefallen hatte. Und das tut es immer noch.

    Es ist fast schon unerträglich auf den Punkt gebracht. Klar, der Roman bezieht sich auf die Situation in Korea. Aber im Grunde sind viele Themen in der ein oder andren Form auch bei uns noch Relevant. Vor allem wenn es um den Körper geht. Die "Kontrolle" darüber wird Frauen auf der ganzen Welt immer wieder abgesprochen. Andere - meistens Männer - entscheiden darüber was damit passieren soll und was Frauen "damit machen dürfen" und was gefälligst nicht.

    Frauen im Iran kämpfen jetzt in dieser Stunde dafür, das sie selbst entscheiden dürfen, ob sie ihren Körper mit einem Kopftuch bedecken wollen oder nicht.


    Han Kang hat ihr Buch bereits 2007 veröffentlicht. Es ist bezeichnend das Die Vegetarierin nach wie vor hoch aktuell ist und vor allem das die meisten Themen nach wie vor eine Rolle spielen. Es scheint als habe sich vieles verbessert. Ja in Deutschland schon. Aber schauen wir nach Amerika (Ja!!), den Iran... und viele viele viele andere Länder dann scheinen wir uns oftmals weiterhin im 19. Jahrhundert zu bewegen.


    Ich verstehe weshalb Han Kangs Roman daher auch eine Relevanz behalten hat und dafür der Booker Prize um die Ecke kam. Ein Buch das mich trotz längerer Pause immer wieder beschäftigt hat, weil mich eigentlich vor allem wütend macht, das die Themen sich nach wie vor einfach nicht ändern.

  • Ich habe das Buch Ende 2019 gelesen und manchmal denke ich heute noch darüber nach. Ich fand es verstörend. Ich hatte irgendwie etwas ganz anderes erwartet und war dann fasziniert und schockiert zugleich.

    Ich erinnere mich nicht mehr an Details, aber diese Kälte in der Ehe, ich hatte im ganzen Buch immer so einen schwarzen Raum vor Augen ganz spartanisch nur mit Menschen und wenigen Geständen.


    Holden, du hast recht, ein Buch das einen eine ganze Weile beschäftigt.