Juli Zeh - Leere Herzen

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  • Juli Zeh - Leere Herzen


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    Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
    Verlag: Luchterhand Literaturverlag (13. November 2017)
    ISBN-13: 978-3630875231
    Preis: 20,00€
    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich



    Erschreckendes Szenario, dabei gar nicht so weit hergeholt

    Inhalt:
    Deutschland, 2025. Britta Söldner und ihr Partner Babak Hamwi betreiben offiziell eine Heilpraxis für Psychotherapie. Dabei haben sie nur selbstmordgefährdete Menschen im Visier. Von denen gibt es genug, denn viele empfinden ihr Leben in dieser Gesellschaft als sinnlos. Doch das Ziel von Britta und Babak ist es nicht, diese Menschen zu heilen, sondern mit ihrem Tod Geld zu verdienen. Das funktioniert auch sehr gut, bis sich jemand in das lukrative Geschäft einmischt und Britta und Babak plötzlich in Gefahr sind …


    Meine Meinung:
    Der Verlag deklariert Juli Zehs Buch einfach als Roman. Doch steckt auch ein bisschen Dystopie darin, ebenso wie ein Teil Politthriller und ein Teil Psychothriller. Ich denke, die Autorin will die politikverdrossenen Wähler bzw. Nichtwähler aufrütteln, indem sie aufzeigt, wohin es führen kann, wenn wir nicht alle Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen. Im Buch musste zum Beispiel Angela Merkel ihren Posten Regula Freyer von der BBB (Besorgte BürgerBewegung) überlassen, die der Demokratie immer mehr zusetzt und die Freiheiten der Bürger einschränkt. Bei aller Gesellschaftskritik, die Juli Zeh vorbringt, empfinde ich aber keinen erhobenen Zeigefinger. Sie stellt einfach dar, was sein könnte.


    Mir gefiel die Erzählweise der Autorin sehr gut. Die Sprache ist klar, präzise und lebendig. Sie versteht es, eine bedrohliche Atmosphäre heraufzubeschwören und den Leser zu fesseln. Bereits auf den ersten Seiten, wo ein Familienidyll beschrieben wird, ahnt man schon, dass sich etwas zusammenbraut. Es ist eine unterschwellige Spannung zu spüren, die sich im Verlauf des Romans immer weiter steigert. Mir fiel es sehr schwer, das Buch aus der Hand zu legen.


    Dabei war mir die Protagonistin Britta alles andere als sympathisch. Sie wirkt zuweilen sehr kalt und abgeklärt, gleichzeitig aber auch etwas mitgenommen, sodass sie einem dann wieder leidtut. Trotzdem musste ich sie für ihren gelungenen Spagat zwischen heiler Welt mit ihrer Familie und ihrem illegalen beruflichen Tun bewundern. Sie ist eine vielschichtige Persönlichkeit, die ich sehr interessant fand. Auch Babak hat gleich mein Interesse geweckt. Er erscheint wesentlich umgänglicher als Britta, hat aber auch sein Päckchen zu tragen.


    Das Ende konnte mich überraschen, ist aber stimmig und rund, sodass ich das Buch zufrieden und nachdenklich zuschlagen konnte.


    Fazit:
    „Leere Herzen“ ist eine sehr gelungene Gesellschaftskritik, die in einer spannenden Handlung verpackt ist.


    ★★★★★

  • „Du denkst, du kannst die Leere in dir auskotzen. Aber Leere kann man nicht auskotzen. Man muss sie füllen.“ (S. 289)


    Zusammenfassung. Was braucht die Gesellschaft noch, was brauchen die Menschen noch in der nahen Zukunft, in der alles ausgehöhlt und leer ist? Die Antwort versucht jeder der Protagonisten zu finden und wir begleiten die Mutter und Geschäftsfrau Britta auf ihrem Weg in einer absurden Welt, die vordergründig immer fortschrittlicher wird und doch mit ihrer Rückschrittlichkeit zu kämpfen hat.


    Erster Satz. Knut und Janina kamen um fünf.


    Cover. Ich mag das Gefühl des geriffelten Einbands sehr, sehr gern und auch die Optik gefällt mir: Irgendwie gelingt es, den Titel „Leere Herzen“ greifbar zu machen durch die Leere des Buchcovers. Ob man die schwarzen Tupfen nun als anachronistische Tintenflecke interpretiert oder als versprengte Bluttropfen, ich hätte im Laden nicht lange gezögert.


    Inhalt. Juli Zeh zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der ich nicht leben möchte und die trotzdem leider nicht allzu unrealistisch ist. Zugleich finden wir jedoch nicht, wie ich im Vorfeld befürchtet hatte, einen dystopischen Politthriller mit panischem Unterton vor, sondern vielmehr eine Charakterstudie vor politischem Hintergrund. Was bleibt übrig von uns, wenn die Gesellschaft ausgehöhlt wird? Wie wird man glücklich in dieser Welt? Und gibt es vielleicht unter all dem, was unabänderlich scheint, doch noch die Möglichkeit, etwas zu tun?
    Dieses Buch hat es geschafft, mich zu überraschen. Es gefällt mir, wie es aufgebaut ist, wie lange man (auf jeden Fall ich) rätseln musste, wie genau Britta nun ihre Praxis aufgezogen hat und was dahintersteckt, und wie logisch am Ende trotzdem alles erscheint.
    Was mir außerdem gut gefällt: Wie selbstverständlich die Dinge eingeführt und erwähnt werden, die für Britta und ihre Mitmenschen normal, für uns jedoch beinahe schockierend, mindestens jedoch irritierend sind. Die Welt wird nicht erklärt, sondern sie fließt als Selbstverständlichkeit, als gegebene Umgebung in den Roman mit ein. Das machte mir persönlich das Lesen angenehmer als ein Buch, in dem zuerst über Seiten hinweg erklärt wird, wie die Welt aussieht.


    Personen. Die Protagonisten in Juli Zehs Roman haben alle ihre eigenen Kämpfe auszufechten, besonders gut können wir dabei Britta beobachten. Ihre Entwicklung ist in meinen Augen ziemlich gut gelungen – ihre Erkenntnisse in Bezug auf die Welt um sie herum laufen in gewisser Weise parallel zu ihrer körperlichen Entwicklung und das findet Erwähnung, drängt sich aber dabei nicht auf.


    Fazit. Insgesamt muss ich feststellen, dass es mir schwerer fällt als gedacht, meine Begeisterung in Worte zu fassen. Dieser faszinierende Roman ist spannend, zugleich auf die offensichtliche, handlungsbezogene Weise wie auch in einem irgendwie unterschwelligen Sinne. Weder der Begriff des Polit-, noch der des Psychothrillers wird ihm gerecht, vielmehr ist es ein entlarvend ehrliches Bild einer möglichen Zukunft und der Menschen – und damit uns – in dieser zukünftigen Welt, das uns die Augen öffnen kann und sollte.


    5ratten

  • Politikverdrossenheit
    Und mehr noch eine Verdrossenheit in Bezug auf soziales Denken - diese zeichnet die Gesellschaft der Zwanziger Jahre aus - nicht derer, die wir schon hatten, sondern derjenigen, die kommen werden und zwar ziemlich bald. Es ist eine Vision der nahen Zukunft, die Juli Zeh hier zeichnet, eine Vision einer möglichen Nach-Merkel-Ära. Wir schreiben - ungefähr - das Jahr 2025, Frau Merkel ist schon seit einigen Jahren nicht mehr im Amt - abgelöst von der BBB, der Bewegung besorgter Bürger und an wen diese angelehnt ist, das kann man sich denken.


    In dieser Gesellschaft nun lebt Britta mit ihrer Familie, ihrem Mann Richard und der kleinen Vera. Sie ist es, die das Geld nach Hause bringt, gutes Geld, das sie in einer psychotherapeutischen Gemeinschaftspraxis, die sie mit ihrem langjährigen Freund Babak teilt. Einer Praxis der ganz besonderen Art, die sich gewisse gesellschaftlich-politische Auswüchse, die sich bereits heute abzeichnen, zu Eigen gemacht hat.


    Es ist kein Science-Fiction-Roman, den Juli Zeh hier vorlegt, nein, sie wagt einen Blick in eine nahe Zukunft, in der sich gewisse aktuelle Trends, wie eben zunehmende Politikverdrossenheit und abnehmender Sinn für soziale gesellschaftliche Belange der Art, die einen selbst nicht unmittelbar tangieren, verstärkt haben.


    Die Geschichte, die sie darin entwickelt, ist gut angelegt, aber aus meiner Sicht nicht ganz schlüssig zu Ende gedacht. Zudem hatte ich ein wenig Schwierigkeiten mit dem Stil der eigentlich sehr eloquenten Autorin Zeh, die sich wieder und wieder in Aufzählungen diverser Art erging, die ein wenig den Eindruck von Lückenfüllern erweckten. Also ein durchaus lesenswertes Buch, das mich aber nicht vollkommen für sich einnehmen kann. Ich empfehle es dennoch weiter, an die, die sich Gedanken über unsere Gesellschaft machen, aber auch an die, die dabei sind, langsam, aber sicher die Lust daran zu verlieren.
    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • 5ratten


    Wer denkt "Juli Zeh - ihre Bücher fand ich ja bisher immer gut" oder auch "Juli Zeh - bisher nur Gutes über sie gehört, vielleicht lese ich mal ihren neuen Roman", dem empfehle ich, "Leere Herzen" zu lesen ohne weiter nach Inhaltsangaben, Rezensionen oder Interviews von Denis Scheck zu suchen. Diese enthalten nämlich alle unweigerlich Spoiler und "Leere Herzen" ist ein Buch, das man meiner Meinung nach auch sehr lohnend lesen kann, ohne vorher viel darüber zu wissen. So viel sei gesagt: Juli Zeh ist die selten glückende Kombination eines spannenden und(!) intelligenten Buches gelungen. Absolute Leseempfehlung!


    Rezensionen poste ich bei Lovelybooks, WLD, Lesejury, Hugendubel, Weltbild, Jokers, JPC, buecher.de, ebook.de und Amazon

  • Anderes gewohnt von Juli Zeh!


    "Die Brücke" ist eine Praxis für Psychotherapie. Die Therapeuten, denen die Brücke gehört, sind Britta Söldner und Babak Hamwi. Sie haben es mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun und zelebrieren und organisieren das, was der Gesellschaft fehlt.


    Nämlich, die Therapie williger Selbstmörder oder einen sinnvollen Grund Selbstmord zu begehen. Sie organisieren Terroranschläge und Märtyrertod, begutachten und evaluieren ihre Kunden.



    Diese Geschichte strotzt nur so vor unwahrscheinlicher Handlung, an den Haaren herbeigezogenen Dialogen und einem Plot, der einen erst mal schlucken lässt.


    Britta, die eigentlich ein ganz normales Familienleben führt, spielt sich als Richterin über Leben und Tod auf. Okay, bei diesem Familienleben, mit einem Mann, der nichts auf die Reihe kriegt und einer 7-jährigen Tochter, die sehr verwöhnt ist und am liebsten spielend Menschen ermordet, muss man wohl irgendwie seinen Frust abladen. Ich wurde nicht warm mit Britta, denn ihre Art auf andere Menschen herabzusehen, konnte ich nicht ab. Ein müdes Lächeln hat sie unter anderem für andere Eltern und belächelt schon mal deren Art ihre Kinder zu erziehen. Arroganz legt sie haufenweise an den Tag, wenn es um ihre beste Freundin Janina geht, die zwar weniger Geld, dafür umso mehr Herz als Britta hat.


    Ach ja, gesegnet ist Britta ausserdem mit einem etwas seltsamen Arbeitspartner. Babak, der aus einer irakischen Familie stammt und sich in Braunschweig immer wieder Vorurteilen gegenübersieht, war mir grundsätzlich sympathisch. Leider blieb er, den ich als interessanteste Figur des ganzen Buches einschätze, etwas blass, neben der alles dirigierenden Britta. Er ist ein Genie, denn er kreiert einen Algorithmus, den er Lassie nennt und mit dem er das Darknet nach potenziellen Kunden absucht. Kunden, die Selbstmord verüben wollen.


    Babak und Britta zelebrieren Waterboardingspielchen und verstehen sich ohne Worte. Nun ist nicht alles schlecht, was die beiden in ihrer Brücke so treiben, denn sie schaffen es ja, einige ihrer Kunden, die sie aus dem Darknet filtern, zu heilen. Wie sie es machen, ist unwahrscheinlich und bei den erwähnten Therapiegesprächen fallen öfters, die von mir oben angesprochenen und an den Haaren herbeigezogenen Dialoge. Ich kann mir nämlich absolut nicht vorstellen, dass jemand, der Selbstmord begehen will, solche Gespräche mit einem Therapeuten führt.


    Es wird auch politisch in diesem Buch. Mehrmals findet die zurückgetretene Frau Merkel Erwähnung, denn schliesslich spielt diese Geschichte 2025. Da Juli Zeh «Leere Herzen» 2019 geschrieben hat, konnte sie ja nicht wissen, dass dieses Ereignis eher eintrifft. Die Autorin wandert mit dem erhobenen Zeigefinger durch das Buch und mahnt jene Bürger, die auf ihr Wahlrecht freiwillig verzichten.


    Ich wurde nicht so richtig warm mit dem Plot. Auch wenn Frau Zeh ohne Frage einen hervorragenden Schreibstil hat, konnten mich die Figuren und die Idee nicht richtig packen.


    3ratten