Delphine de Vigan - Loyalitäten

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    Théos Verhalten ist auffällig, denn er hat ein Geheimnis: Er trinkt Alkohol. Seine Lehrerin macht sich große Sorgen um den 12-Jährigen und fühlt sich loyal ihm gegenüber. Doch Théo mauert, denn er fühlt sich seinen geschiedenen Eltern gegenüber loyal und Théos Freund Mathis mauert auch, denn er ist Théo gegenüber loyal. Doch wie kann die Lehrerin dann noch helfen?


    Wie Delphine de Vigan es schafft, die verschiedenen Beziehungen aufzubauen und zu verbinden, dass mir - je weiter ich gelesen haben - das gleiche Netz an Verbindungen vor Augen kam, wie das Cover zeigt, wie der Buchtitel es anspricht - ich bin wirklich überwältigt.


    Die Autorin nähert sich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven. Wir haben die Lehrerin, Théo, seinen Freund Mathis und dessen Mutter. Jede Person fühlt sich einer anderen Person verpflichtet. Jede Person hat ihr eigenes Päckchen zu tragen, so dass Handlungsmotive für Abwärtsspiralen gegeben werden. Doch nicht nur das, zwar merkt man auch, wie manche Personen sich verpflichtet fühlen, aber das führt gleichzeitig auch dazu, dass man sich von anderen Personen abwendet. Durch die Perspektivenwechsel wird das Konstrukt von vielen Seiten beleuchtet und es entsteht eine Komplexität, die man kaum entwirren kann.


    Der Stil der Autorin ist sehr intensiv. Sie beschreibt die einzelnen Szenen mit klaren Worten, so dass ich mich in Théos Szenen selbst betrunken fühlte, die Sorge der Lehrerin mir die Kehle abschnürte und ich problemlos die Perspektiven wechseln konnte. Auch dadurch kann das Beziehungsgeflecht erst so schonungslos aufgebaut werden.


    Dieses Buch hat mich überrascht, in den Bann gezogen und wirklich begeistert! Ich kann es eigentlich jedem nur empfehlen!

  • Gebundene Ausgabe: 174 Seiten

    Verlag: DuMont (17. September 2018)

    ISBN-13: 978-3832183592

    Originaltitel: Les loyautés

    Übersetzung: Doris Heinemann

    Preis: 20,00 €

    auch als E-Book erhältlich


    Kurz, aber äußerst intensiv


    Inhalt:

    Théos Eltern sind geschieden und verfeindet. Der Zwölfjährige reibt sich zwischen den Fronten auf, sorgt mehr für die Eltern als diese für ihn. Zusammen mit seinem Freund Mathis flüchtet er sich in den Alkohol. Nur seine Lehrerin Hélène erkennt, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmt. Doch kann sie ihm helfen?


    Meine Meinung:

    Wer meint, dass eine dramatische Geschichte einen riesigen Umfang braucht, wird von Delphine de Vigan eines Besseren belehrt. Sie verliert nicht viele Worte, doch jedes davon sitzt perfekt an der richtigen Stelle und drückt präzise aus, was passiert. So könnte man dieses Büchlein innerhalb kürzester Zeit lesen. Da es aber in der Wirkung doch sehr intensiv ist, empfehle ich, ab und an eine Pause einzulegen und die Handlung erst einmal zu verdauen.


    Die Autorin entwickelt ein komplexes Netz von Loyalitäten, in denen die Charaktere einerseits geborgen, aber vor allem auch gefangen sind. Es stellt sich den Protagonisten immer wieder die Frage, ob sie das Richtige tun. Oder ob es besser ist, aus den richtigen Gründen eventuell etwas Falsches zu tun, als einfach stillzuhalten und zuzusehen, wie ein Mensch zugrunde geht.


    Aus verschiedenen Perspektiven wird dieses Dilemma betrachtet. Hierbei spielt natürlich Théo eine große Rolle, der sowohl seine Mutter als auch seinen Vater liebt und keinen von ihnen bloßstellen will. Aber auch seine Lehrerin Hélène ist eine vielschichtige Figur, die mit ihrer eigenen Vergangenheit zu kämpfen hat und vom Kollegium wenig Unterstützung erhält. Mathis will seinen Freund nicht verraten, sorgt sich aber um ihn. Cécile, Mathis' Mutter, schließlich kümmert sich vorrangig um sich selbst und um ihren eigenen Sohn als um dessen Freund.


    So spitzt sich die Handlung immer mehr zu. Ich habe beim Lesen fast den Atem angehalten, weil ich so in dieses Drama versunken war und dabei untätig auf dem Sofa sitzen musste anstatt eingreifen zu können.


    Manche Leser werden den Schluss vielleicht als zu offen empfinden - für mich war er perfekt.


    ★★★★★

  • Théo ist zwölfeinhalb und lebt seit der Scheidung seiner Eltern mal bei seiner Mutter, mal bei seinem Vater. Das Verhältnis zwischen den Eltern ist angespannt, der Vater mit dem Leben überfordert, die Mutter überbehütend. Doch nun hat Théo einen Ausweg gefunden. Wenn er, am liebsten mit seinem Freund Mathis, heimlich in irgendeinem Versteck Alkohol trinkt, kann er spüren, wie ihn das Getränk beruhigt und wie ihm auf einmal alles egal ist.


    Théos Lehrerin Hélène hat das diffuse Gefühl, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmt, nicht nur, weil er im Unterricht mehrmals fast eingeschlafen wäre. Sie versucht Alarm zu schlagen, doch die Anzeichen sind zu unbestimmt und sie wird nicht ernst genommen, sie kann nur hoffen, dass Théo sich eines Tages aus eigenem Antrieb ihr oder wenigstens irgendwem anvertraut.


    Mathis' Mutter hingegen mag diesen neuen Freund ihres Sohnes nicht. Warum genau vermag sie gar nicht zu sagen, aber sie verspürt eine Abneigung gegen Théo und hat das Gefühl, dass er kein guter Umgang für Mathis ist. Aber unternehmen kann sie nichts, so lange sie keine konkreten Anhaltspunkte hat. Und außerdem ist sie gerade mit einer schrecklichen Erkenntnis über ihren eigenen Mann beschäftigt.


    In kurzen, prägnanten Kapiteln versetzt sich Delphine de Vigan in Théo, Mathis, Hélène und Mathis' Mutter Cécile hinein, zeichnet in glasklarer, knapper Sprache deren Gedanken- und Gefühlswelten nach und nimmt dabei mit scharfem Blick persönliche und gesellschaftliche Probleme aufs Korn. In diesen nicht einmal 200 Seiten steckt sehr viel Stoff zum Reflektieren und vieles, was betroffen macht: Théos Abgleiten in die Alkoholsucht, seine Hilflosigkeit angesichts seiner schwierigen Familiensituation, der Mangel an Vertrauenspersonen, das Thema Hass im Netz, aber auch die Schwierigkeiten, auf die Hélène stößt, als sie Théo helfen möchte und Céciles permanentes Gefühl der Unzulänglichkeit, weil sie aus einfachen Verhältnissen kommt und sich wie eine Hochstaplerin fühlt.


    Lösungen bietet Delphine de Vigan nicht an in diesem Buch, das ich angesichts des Endes recht überrascht zugeklappt habe. Aber sie regt zum Nachdenken über verschiedene Missstände an und - das ist die Botschaft, die ich zumindest aus dem Buch mitnehme - appelliert an ihre Leserschaft, nicht wegzusehen, da zu sein und zu handeln.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen