Ian R. MacLeod - Aether

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  • So, ich weiß, ihr habt schon nicht mehr damit gerechnet, aber hier kommt endlich meine versprochene Rezension zu diesem Buch. :breitgrins:


    Kurzbeschreibung
    Der Aether hat England reich gemacht. Mit ihm lassen sich Brücken bauen, die ohne ihn einstürzen, und Dampfmaschinen, die explodieren würden - nur ein Zauberspruch ist nötig! Doch diese magische Macht wird von den Gilden eifersüchtig gehütet. Robert Borrows weiß schon als Kind, daß er bald in den Aetherfabriken arbeiten wird, daß ihm dasselbe eintönige Leben bevorsteht wie seinem Vater und wie allen Menschen in Bracebridge. Als seine Mutter sich nach einer Aethervergiftung in einen Wechselbalg verwandelt und einen grauenvollen Tod stirbt, kehrt er seiner Heimatstadt den Rücken. In London entdeckt er eine neue, glanzvolle Welt voller Widersprüche: Die Menschen aus den hohen Gilden leben im Reichtum, die gildenlosen Armen in tiefem Elend. Auf einem Fest der sorglosen Reichen begegnet Robert einer jungen Frau, die er aus seiner Kindheit kennt. Für ihn war sie immer ein Zauberwesen ...


    Ian MacLeods England könnte aus einem Roman von Charles Dickens stammen - und doch ist es völlig anders. In diesem England ist alles vom Aether geprägt: eine Welt der Zauberflüche, Trolle und magischen Zusammenhänge.


    Meine Meinung
    Eigentlich weiß ich gar nicht, ob ich das Buch hier richtig einordne. Denn "Aether" ist wirklich eine ganz eigene Mischung aus Phantastik, Geschichte und Science Fiction. Auf jeden Fall ist es eines der einfallsreichsten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe. MacLeod schafft eine Welt, die kein 08/15 Fantasy-Abklatsch ist, sondern eigenständig und ausgesprochen originell.


    Der Schreibstil ist schön, aber auf Dauer auch anstrengend. Die Beschreibung der Umgebung erfolgt SEHR ausführlich und bis ins kleinste Detail. Ich hatte mit dem "Herrn der Ringe" keine Probleme, aber hier musste ich mich teilweise durchbeißen. Dazu kommt die düstere, manchmal geradezu trostlose Geschichte.


    Statt einer Heldentruppe, die gegen den bösen Obermotz loszieht, ist das Hauptthema hier die Unterdrückung der Menschen durch die herrschenden Gilden. Und das wird in den dunkelsten Farben geschildert und war mir manchmal zu deprimierend. Dazu kommt, dass die Handlung im Mittelteil nicht wirklich vorangeht und der Autor sich eher auf das Beschreiben seiner (wunderbaren, aber eben sehr düsteren) Welt verlegt. Die vorkommende Liebesgeschichte war mir auch zu unterkühlt.


    Mit der Bewertung tue ich mich ein bisschen schwer. Würde ich nur die Welt an sich bewerten, hätte das Buch mindestens 5 Leseratten verdient. Wegen der bereits angesprochenen Punkte vergebe ich aber insgesamt 4ratten.

  • Zitat von "Aeria"

    Darf man eigentlich auf eine TB-Ausgabe hoffen?


    Ich hoffe doch! Näheres hab ich leider nicht rausfinden können, aber es ist erst im Herbst 2005 als HC erschienen, also wird es wohl noch eine ganze Weile dauern. :sauer:


    Auf Englisch ist übrigens schon eine Fortsetzung draußen, die sich auch vielversprechend anhört. Hoffentlich gibt es die bald auch auf Deutsch. :klatschen:

  • England liegt in der Düsternis eines typischen beginnenden Industriezeitalters mit all den Unterschieden zwischen Arm und Reich und der Enge und dem Schmutz, ganz so, wie wir es uns aus einem Charles-Dickens-Roman vorstellen würden. Doch dieses England ist anders, magisch. Hauptstoff der Magie ist Aether, der abgebaut und raffiniert wird und dann dazu dient, Zaubersprüche funktionieren zu lassen und es so der Menschheit gestattet, Dinge zu tun, die der normalen Physik widersprechen. Materialien und Gegenstände werden so zum Beispiel um ein vielfaches belastbarer, als sie es normalerweise wären. Die Menschen, die mit dieser Magie arbeiten sind in Gilden organisiert und die Obersten dieser Gilden sind die Mächtigen der Gesellschaft. Doch der Aether birgt auch Gefahren, bei unvorsichtigem Umgang oder durch einen Unfall kann es zu einer Art Aethervergiftung kommen und die Betroffenen verwandeln sich in magische Wesen, die Trolle oder Wechselbälger genannt werden und zumeist in einer Art Irrenanstalt untergebracht sind. Hauptfigur ist Robert Borrows, dessen Mutter in seiner Kindheit solch ein Schicksal erlitten hat. Dieses Erlebnis hat Robert von dem vorgezeichneten Lebensweg als Mitglied der unteren Werkzeugmachergilden, in denen auch sein Vater ist, abgebracht und ihn nach London gehen lassen, wo er bald in radikale, sozialistische Kreise integriert ist. Doch seine Vergangenheit und vor allem das Schicksal seiner Mutter lassen ihn nicht los und er versucht die Ursache für ihre Verwandlung zu erfahren.


    Ich habe leider den Fehler begangen dieses Buch im Frühling zu lesen und Vogelgezwitscher und Sonnenschein passen gar nicht zum Buch. Die meiste Zeit im Buch ist es Winter und auch an den Sommertagen ist die Stimmung eher düster und die Assoziationen, die die Beschreibungen des Maschineneises, eines kalkähnlichen Abfallprodukts der Arbeit mit Aether hervorrufen, sind auch eher der winterlich. Dieses Buch sollte man eindeutig an einem kalten und verregneten oder sogar verschneiten Wintertag lesen, um wirklich darin eintauchen zu können.


    Trotz des falschen Zeitpunkts gefiel mir das Buch gut, es entfaltet seine Faszination zwar hauptsächlich über die Stimmung, aber auch die Figuren sind gut gezeichnet und Roberts Zerrissenheit in seiner Position zwischen allen anderen Möglichkeiten, Unmöglichkeiten und Parteien ist schön dargestellt. In eindringlicher Sprache wird dieses andere England beschrieben und der Leser ahnt, dass „Aether“ eben kein Fantasy-Buch mit einem fröhlichen Ende für alle ist, sondern nur eine Parallele zu unserer eigenen Welt darstellt wo gesellschaftliche Probleme nicht mal eben so lösbar sind und es den Menschen nicht möglich ist auf einen Schlag die Welt zu ändern. Das Ende empfand ich dementsprechend nicht als angenehm, auch wenn das Buch nicht völlig hoffnungslos endete, sondern vor allem als sehr stimmig und so empfehle ich das Buch nicht nur anspruchsvollen Fantasy-Lesern sondern besonders auch den Lesern, die in ihrer Lektüre den trüben Realismus der Sozialromantik vorziehen.


    4ratten

  • Hallo.


    Den vorangehenden Punkten schließe ich mich im Großen und Ganzen an. Das Buch baut eine schöne düstere Atmosphäre auf, hat ein paar Längen, ist aber eben auch kein typisches "komm-wir-besiegen-den-bösen-Opa"-Fantasy-Buch.
    Komplett überzeugen konnte mich Aether aber trotzdem nicht. Ich hatte den Eindruck ein mittelmäßiges Buch über einen Jungen zu lesen, der in England zu Beginn des Industriezeitalters aufwächst. Die Fantasy-Elemente wirken künstlich, sogar unnötig und teilweise störend. Vor allem könnte man sie herausnehmen ohne die Handlung an vielen stellen ändern zu müssen. Die Idee des Buches ist ja nicht schlecht, aber dann erwarte ich auch etwas mehr Phantasie.
    Man könnte meinen, McLeod hätte das Buch geschrieben (ganz ohne Fantasy) und dann nachträglich ein paar Stellen geändert um noch etwas Besonderes einzubringen.


    Das Buch bekommt von mir knappe: 3ratten


    Gruß
    Seoman

  • Der Beginn des Buches ist eine Wanderung durch London, von der wohlhabenden Gegend des Erzählers zu seinem Ziel am anderen Ende, fast außerhalb der Stadt. Man erlebt einen sozialen Abstieg, bei dem gleichzeitig, oder besser: nebenbei ein paar grundlegende Dinge erklärt werden. Denn dieses London unterscheidet sich vom historisch bekannten London, auch wenn es zahlreiche Parallelen gibt. Die frühe Industrialisierung mit all ihren Errungenschaften und ihrem Dreck und Leid ist bei MacLeod nur möglich durch den Aether. Dieses magische Element hält alles Geschaffene zusammen. Etwas Aether, einige Worte und Gesten und eine Brücke aus brüchigem Stahl hält zuverlässig.


    Doch leider bleibt die Nutzung des Aethers nicht ohne Nebenwirkungen. Unfälle und falsche oder übermäßige Anwendung verwandeln den Nutzer und es entstehen Wesen, die Wechselbälger oder Trolle genannt werden. Die reale Welt und das Feenreich existieren bei MacLeod auf eine Weise nebeneinander, die mir bisher nicht begegnet ist. Die phantastischen Elemente fügen sich in die Geschichte ein und verschmelzen mit dem Lokalkolorit, das finde ich ganz geschickt gemacht. Je weiter die Handlung vorangetrieben wird, desto selbstverständlicher werden die Errungenschaften und Auswirkungen der Aethernutzung.


    Durch die bildhaften, überbordenden Beschreibungen war ich sofort gefangen von der dichten Atmosphäre. Leider bleibt der Stil genau das: überbordend und detailverliebt, mit Fokus auf alles und nichts. Die Handlung entwickelt sich sehr gemächlich und die Gedanken des Ich-Erzählers wandern frei umher. So schön die Atmosphäre auch ist, so schwer fällt es mir, mit meinen Gedanken beim Buch zu bleiben. Leider reicht ein gutes Worldbuilding nicht, um einen fesselnden Fantasy-Roman zu erschaffen.


    Alles wird gleichermaßen ausführlich erzählt und somit erhält ein sommerliches Tanzvergnügen genauso viel Bedeutung wie eine brisante Enthüllung. Das hat für mich absolut nicht funktioniert und viele Passagen fand ich viel zu ausschweifend, da ist der detaillierte Stil eher hinderlich.


    Und brisante Enthüllungen liefert MacLeod mit Fortschreiten der Handlung mehr und mehr. Es geht plötzlich um einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbruch und eine Verschwörung der Mächtigen. MacLeod konstruiert eine packende Geschichte - schafft es allerdings nicht, das Erzähltempo darauf abzustimmen.


    Mich hat er leider oft verloren und ich habe nicht ins Buch hineinfinden oder eine Verbindung zu den Protagonisten aufbauen können. Immerhin habe ich es beendet, das stand zwischendurch mehrfach auf der Kippe.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • der Leser ahnt, dass „Aether“ eben kein Fantasy-Buch mit einem fröhlichen Ende für alle ist, sondern nur eine Parallele zu unserer eigenen Welt darstellt wo gesellschaftliche Probleme nicht mal eben so lösbar sind und es den Menschen nicht möglich ist auf einen Schlag die Welt zu ändern.


    Sehr treffend zusammengefasst!

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges