Carla Berling - Klammerblues um zwölf

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    Für jedes Gefühl gibt es ein Lied


    Seit ihr Mann Teddy am dritten Oktober nach 35 gemeinsamen, sehr bequemen Jahren verstorben ist, sitzt oder liegt Felicitas „Fee“ Branding, 57, auf ihrer Ledercouch in der Kölner Südstadt, liest, hört Musik oder schaut Serien. Bis zu dem Tag, als sich ihre Nachbarin Claudine ungefragt in ihr Leben einmischt. Seit dem gibt es für Fee kein „Ja aber und nein weil“ mehr. Zusammen mit der 72-jährigen Mary gründen sie eine Senioren-WG. Nun muss noch ein Job her um die karge Witwenrente ein bisserl aufzustocken. An einen neuen Mann will Fee gar nicht denken, bis sie bei einem Sturz vom Fahrrad Winnetou und Taxi kennenlernt…



    Carla Berling lässt die Geschichte von ihrer Hauptperson Fee aus deren Sicht erzählen. Anfangs tut mir Fee sogar ein bisserl leid, weil sie sich zu nichts aufraffen kann und immer mehr verlottert. Dann aber ist es schön zu lesen, wie sie ganz langsam wieder auf die Beine kommt, durch ihre Mitbewohnerinnen erlebt, wie schön das Leben doch sein kann und mit ihrer Musikleidenschaft alle begeistert. Da ich selbst in Fee´s Alter bin, kenne ich die vielen hier immer wieder angesprochenen Songs und habe teilweise sogar mitgesungen. Einfach klasse. Vieles, von dem was hier zumeist in humoriger Form angesprochen wird, kenne ich aus eigener Erfahrung. Das hat mich noch mehr für dieses Buch begeistert.


    Solche Freunde, wie Fee sie hier hat oder neu findet, hätte jeder gerne. Ob es ihre Mitbewohnerinnen Claudine und Mary sind, die „verzauberten“ Freunde Gerd-Karsten und Frank-Christian, Büdchen-Harry oder Dreadlock-Derrick – alle sind so herrlich skurril und trotzdem lebensecht beschrieben, dass sich mein Kopfkino manchmal schier überschlagen hat. Mit denen würde ich sofort zusammen ziehen. Langeweile käme in unserer WG dann nie auf.


    Durch die Streifzüge durch die Stadt und vor allem durch den kölschen Dialekt von Kessy bin ich schnell mitten drin in der Kölner Südstadt und überlasse mich dem Flair der Rheinmetropole.

    Ich genieße es zu lesen, wie sich Fee langsam ins Leben zurück kämpft, Bewunderung, Hochachtung, Mitgefühl und Freundschaft erlebt und auch die Vorfreude auf alles was da noch kommt. Ich liebe die Gespräche in der WG und habe mich köstlich amüsiert, als Fee von ihrem ersten Mal erzählt. Die verschiedenen Stimmungen, die Fee hier erlebt, werden sehr gut vermittelt.

    Die Kapitel haben eine angenehme Länge, man kann gut mal ein oder zwei zwischendurch lesen, ohne mitten im Kapitel unterbrechen zu müssen.


    Ein amüsantes und manchmal trauriges, sehr humorvolles und manchmal nachdenkliches, ein vor allem lebensbejahendes Buch, das ich nicht nur Frauen im Rentenalter sehr empfehlen kann. Ich habe die Stunden der wunderbaren Unterhaltung und der tollen Musik, die hier enthalten ist, sehr genossen.


    5ratten

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    Carla Berling: Klammerblues um zwölf. Roman, Wilhelm Heyne Verlag, ISBN 978-3-453-42412-8, Klappenbroschur, 270 Seiten, Format: 11,9 x 2,2 x 18,8 cm, Buch: EUR 9,99 (D), EUR 10,30 (A), Kindle: EUR 9,99, auch als Audio-CD lieferbar.


    „Ich war perplex und wusste nicht, was ich sagen sollte. (...) Das konnte ich doch gar nicht! Ich war, trotz meines Kostüms, immer noch Fee, die Witwe von Teddy, die ewig zweifelnde, immer zögernde Fee. Die Frau, die sich nicht traut. Ratlos starrte ich auf die Visitenkarte.“ (Seite 256)


    Nach 35 Jahren ist die Beziehung der Kölnerin Felicitas „Fee“ Branding (57) und ihrem Mann Teddy (66) nicht mehr so prickelnd. Wie so viele andere bleiben sie zusammen, weil sie aneinander gewöhnt sind und eine Trennung zu viel Stress und Aufregung in ihr Leben brächte. Als Teddy in Rente geht, kündigt auch Fee ihren Job, um mit ihrem Mann zusammen zu reisen. Das ist immer sein Traum gewesen. Fees Traum wäre ein Hausboot auf dem Rhein, aber den hat sie, wie die meisten anderen Träume, nie verwirklichen können. Sie hat sich einfach nicht getraut.


    Plötzlich arbeitslos und Witwe

    Ihrem Job trauert Fee nicht nach. DOB-Fachverkäuferinnen der alten Schule, die gerne beraten und verkaufen, sind heute nicht mehr gefragt. So, wie’s bei der Arbeit zuletzt lief, hat das wirklich keinen Spaß mehr gemacht. Da ist es schon besser, in der Weltgeschichte herumzureisen. Doch dazu kommt es nicht. Teddy wird schwer krank und stirbt.



    Da trifft es sich gut, dass Nachbarin Claudine (60) auch gerade neu anfangen muss. Ihre Pläne, zusammen mit ihrer Tochter in eine große Wohnung zu ziehen, haben sich zerschlagen. Jetzt sucht die temperamentvolle Weinhändlerin nach neuen Mitbewohnerinnen für eine Seniorinnen-WG. Fee, deren Sätze vorzugsweise mit „ja, aber“, „nein, weil“ und „früher“ anfangen, sagt für ihre Verhältnisse erstaunlich schnell zu, obwohl sie ihre künftigen WG-Genossinnen kaum kennt.


    Seniorinnen-WG als Alternative


    Das Zusammenleben der drei Frauen klappt erstaunlich gut. Trotzdem droht Fee von der Trauer in eine Depression abzurutschen. Da ist es auch nicht hilfreich, wenn Claudine und Fees Ex-Kollege Gerd-Karsten ihr in aller Deutlichkeit sagen, dass sie fett und faul geworden ist und keinen Job kriegen wird, wenn sie sich weiterhin so gehen lässt. 25 Kilo abspecken soll sie und sich endlich von ihrer altbackenen Frisur verabschieden. Doch nur ganz zaghaft kann Fee sich zu kleinen Veränderungen durchringen.



    Gefühle, verpackt in Musik

    In der WG fühlt Fee sich mehr und mehr wie ein Fremdkörper. Die anderen Frauen haben tolle Freund*innen und immer was Interessantes zu erzählen. Sie selbst hat nur Gerd-Karsten und dessen Ehemann – und ihre Familie, die sich nur dann meldet, wenn sie was braucht. Alle anderen Freunde haben sich nach Teddys Tod abgeseilt. Und weil sie nichts erlebt, kann Fee den anderen auch nichts Spannendes erzählen. Über ihre Probleme zu reden schafft sie nicht. Sie kennt nur eine Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken: über die Musik. Von klein auf hat sie Popsongs gesammelt, die ihr Mann ihr in einer aufwändigen Aktion digitalisiert hat. Für jede Stimmung und jede Lebenslage kann Fee jetzt auf ihrem Computer den passenden Song aufrufen und abspielen. Was sie in der WG zur Freude ihrer Mitbewohnerinnen auch öfter mal tut.


    „In der Musik fühlte ich mich sicher, ließ Emotionen zu, spürte Lebensfreude und Zuversicht. Meine melancholische Stimmung löste sich auf, so als ob man in einem stickigen Zimmer das Fenster öffnet und die hereinströmende kühle Luft inhaliert.“ (Seite 175)


    Dass das, was sie für eine zweitklassige Kommunikationsfähigkeit gehalten hat, in Wahrheit ein begehrtes Talent ist, wäre Fee nie in den Sinn gekommen. Da können ihre Mitbewohnerinnen erzählen, was sie wollen: Wie soll ihr denn bitte das Zusammenstellen und Abspielen von Musik bei der Lösung ihrer Probleme helfen? Wir werden sehen ...


    Witzig, ernst und lebensklug

    Ich habe den Eindruck, dass das karikaturhafte Buchcover den Roman etwas unter Wert verkauft. Natürlich ist KLAMMERBLUES UM ZWÖLF witzig – wenn die reifen Mädels, frisch von der Leber weg erzählen, wenn sie feiern, streiten und lästern oder wenn ihnen irgendwelche peinlichen Missgeschicke passieren. Aber es ist auch ein lebenskluger Roman übers Älterwerden, über die Angst vor Veränderungen, über unerfüllte Träume, Neustarts und den Wert von Freundschaft. Und die Vorgeschichten der WG-Bewohnerinnen sind alles andere als komisch. Das sind Schicksale! Ein seicht-alberner Schenkelklopfer, wie das Cover wohl suggerieren möchte, ist der Roman definitiv nicht.


    Das perfekte Lesevergnügen hat man dann, wenn man im ungefähren Alter der Heldinnen ist und die Popsongs und Schlager kennt, in denen Fee denkt. Wenn man sofort die entsprechende Melodie und ein paar Textfragmente im Kopf hat, weiß man genau, welches Gefühl gerade transportiert werden soll. Ein Buch mit eigenem Soundtrack, das hat man nicht alle Tage! Und die Flirtszene auf der Silvesterparty ist eine der besten ever!


    Neustart-Geschichten

    Das Grundthema ist hier ungefähr das gleiche wie bei der Heldin aus Carla Berlings voriger Komödie DER ALTE MUSS WEG: Brave Frau Ende 50, gefangen in einer langjährigen und langweiligen Beziehung, ist plötzlich dazu gezwungen, festgefahrene Gewohnheiten zu hinterfragen, etwas zu riskieren und sich zu verändern. Natürlich entwickeln sich die Geschichten dann in verschiedene Richtungen, und beide sind klasse. Für Stammleserinnen wie mich wär’s trotzdem nett, wenn es bei der nächsten Komödie eine etwas andere Ausgangslage gäbe. Wenn es aber einen großen Markt für die „Neustart mit 60“-Geschichten gibt, dann müssen die vielleicht genau so aufgebaut sein und eine Variationsbreite ist gar nicht gewünscht. Aber da zerbreche ich mir jetzt, glaube ich, den Kopf der Autorin und des Verlags. Ich lasse mich einfach von dem überraschen, was als nächstes kommt.


    Die Autorin

    Carla Berling, Ostwestfälin mit rheinländischem Temperament, lebt in Köln, ist verheiratet und hat zwei Söhne. Mit der Krimi-Reihe um Ira Wittekind landete sie auf Anhieb einen Erfolg als Selfpublisherin. Bevor sie Bücher schrieb, arbeitete Carla Berling jahrelang als Lokalreporterin und Pressefotografin. Sie tourt außerdem regelmäßig mit ihren Romanen durch große und kleine Städte. Zuletzt erschien ihr Roman "Der Alte muss weg".