Anne Siegel - Wo die wilden Frauen wohnen. Islands starke Frauen und ihr Leben mit der Natur

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 1.929 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Keshia.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Ich darf mich ja nicht beklagen, da ich ein absoluter Reisemuffel bin. Aber wenn ich irgendwohin wollte, dann nicht nach London oder Irland, worüber ich gerne lese, sondern nach Island.


    Politisch und gesellschaftlich gesehen frage ich mich, warum schauen wir nicht zu Ländern, die einem positiven Weg folgen. Allein die Familienfreundlichkeit ist traumhaft. 2009 waren 96 % der jungen Väter in Karenzzeit. Die Scheidungsrate ist sehr hoch - Ehe als Institution gibt es nicht mehr. Aber 70 % der unverheirateten Frauen bekommen Kinder.


    Überstunden sind verpönt. Wer nicht pünktlich nach Hause geht, wird gefragt, ob es Probleme mit der Familie gibt.


    Ich könnte fortfahren, aber dann schiebe ich Frust, wenn ich sehe, wie es bei uns zugeht.


    Anne Siegel schreibt über wilde starke Frauen, über ihre Einstellung zu Beruf und Familie und natürlich zu ihrem Land.


    Kristin Òsk Jónasdóttir lebt als Rangerin ihren Traumjob - er ist ihre zweite Karriere. Kinder hat sie sehr jung bekommen, die sind nun aus dem Haus, sodass sie sich ihren Kindheitstraum erfüllen kann.


    Agnes Anna Sigurdardóttirs Mann war Fischer, der seinem Beruf nach einem Unfall nicht mehr nachgehen konnte. Dann wurde der Sohn krank. Die Menschen in Island sind zwar alle krankenversichert, doch bei speziellen Sachen müssen sie zuzahlen. Durch die vielen Sorgen wurde sie selbst auch noch krank.

    Wie sie es schafften, eine Mikrobrauerei zu gründen, ist spannend erzählt.


    Hulda Gústafsdóttir, Könnerin und Kennerin des Islandpferdesports, deren Pferdeparadies inmitten der Hauptstadt liegt. Ihre Eltern hießen ihre Berufswahl nicht gut. Erst als die Krise über Island hereinbrach, und der Pferdehof von Hulda und ihrem Mann boomte, sah die Mutter ein, dass diese Wahl wohl doch nicht so schlimm war.


    Hrefna Kristmannsdóttir, Geothermalpionierin, hält ihren Beruf für den schönsten der Welt und Island das beste Land, um ihn auszuüben. Sie braucht besonders gute Arbeitsschutzbekleidung, da sie Temperaturen bis zu 400 Grad ausgesetzt ist.


    Björk Gudmundsdóttir ist nicht nur eine berühmte Sängerin, sie setzt sich auch aktiv für den Naturschutz in ihrem Land ein. Sie hat sich mit aller Kraft dafür eingesetzt, "dass die Naturschätze ihres Heimatlandes dem ganzen Volk von Staats wegen übertragen werden mögen". - S. 121 Sie hat mit verhindert, dass ein chinesischer Investor den größten Wasserfall Islands kaufen konnte.


    Vilborg Gissurdóttir ist die größte Abenteuerin Islands und hat sich dem Thema Klimawandel verschrieben.


    Bryndis Benediktsdóttir ist Chefforscherin im Schlaflabor des Landesspitals vor den Toren von Reykjavik. Sie unterrichtete auch "Narrative Medicine". "Dabei betrachten wir den Menschen nicht länger als Objekt, sondern als ganzen Organismus. Wir nehmen dabei auch die Literatur zu Hilfe, weil wir herausfinden wollen, was das Erzählen von Krankheiten mit dem jeweiligen Menschen zu tun hat. Die Krankengeschichten von Menschen sind mehr als ihre Verletzungen und Kümmernisse." - S. 165


    Auf Vestmannaeyjar gibt es ein Vulkanmuseum, dessen Leiterin Kristin Jóhannsdóttir ist. Nachdem sie zuvor in der Anonymität von deutchen Großstädten wie Berlin und Frankfurt lebte, musste sie sich umstellen auf eine kleine Gemeinschaft von Menschen, die hier lten. Sie weiß, was es heißt, einen Inselkoller zu bekommen.

    In diesem Beitrag erfahre ich etwas Neues über die DDR, in der ich ja geboren wurde. Ich wusste nicht, dass viele isländische Männer dort studiert und ostdeutsche Frauen geheiratet haben, die dann ausgewandert sind. Das war in den 1970er/80er Jahren. Die Freiheit, erst mal zu schauen, ob es ihnen in Island überhaupt gefallen würde, hatten die Frauen nicht. Eine größere Gruppe dieser Frauen lebt heute in Reykjavik.

    Und noch etwas Interessantes: Das einzige deutsch-isländische Wörterbuch, das es zu dieser Zeit gab, stammt aus Leipzig.


    Isländische Frauen waren schon vor Jahrhunderten Fischerinnen und Seefahrerinnen. Sie haben sogar die gleiche Bezahlung bekommen wie die Männer. Bis die Dänen kamen und sie zur Anpassung an das dänische Frauenbild zwangen.

    Heute fahren Frauen wieder zum Fischern, eine von ihnen ist die Seefahrerin Steinunn Einarsdóttir. In den Westfjorden ist das ein Ehrentitel.


    Katrin Ólina Pétursdóttir ist in der Welt herumgekommen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt sie in London, verbringt in diesem Jahr aber viel Zeit in ihrer Heimat Island. Sie ist eine allen bekannte Designerin.

    Künstler*innen haben in Island einen besonderen Stellenwert. Sie erfahren in Island eine Förderung, wie sie sich unsere Kunstschaffenden nicht zu träumen erhoffen.


    Nach jedem Kapitel verrät uns Anne Siegel noch den Kraftort der von ihr vorgestellten Frauen. Und auch in diesen kleinen Absätzen erfahren wir noch interessantes, geschichtliches über Island.


    Durch die Vorstellung all dieser interessanten Frauen werden so viele Themen mit angeschnitten. Sei es Politik, Kindererziehung, Familienplanung, Adoption, Erbrecht, Feminismus:


    "Feministin ist in Island ein Ehrentitel. Kaum eine Frau sagt von sich, sie sei keine. Selbst die Kritikerinnen des Begriffes dort betonen, das Anliegen sei wichtig, ,bis wir wirklich mit den Männern gleichauf sind!'." - S. 101

    Und da es in einem Gespräch schon Missverständnisse gab: Ehrentitel ist hier nicht als einer gemeint, den nur sehr wenige Leute bekommen, weil sie sich verdient gemacht haben. Die isländischen Frauen tragen ihn tatsächlich mit Stolz.


    Frauenstreik auf Island. In Island selbst wird er Frauenruhetag genannt und wird bis heute als besonderer Gedenktag gefeiert.


    Wenn ich so lese, wie die Frauen auf Island leben - selbstbestimmt, gleichberechtigt -, dann kann ich gut das Ehepaar verstehen, dass aus München nach Island ausgewandert ist. Da hat man das gleichberechtigte Ehepaar nicht in Ruhe leben lassen.

    Mir drängte sich beim Lesen die Frage auf, ob es in Island Frauenhäuser gibt: Ja, ein einziges (per Mitte 2018).

    Ich mag gar keine weiteren Vergleiche anstellen, macht es mir doch nur bewusst, wie viel wir Frauen hier noch aufzuholen haben. Vielleicht sollten wir auch mal einen Tag Frauenstreik einlegen.


    5ratten

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

    Einmal editiert, zuletzt von Anne ()

  • Danke für die schöne Rezi!


    Das Konzept der "Narrative Medicine" hört sich auch sehr spannend an, ein interessanter Ansatz.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Tolle Rezension, vielen Dank! Besonders schön fand ich die Verquickung mit dem Wörterbuch, dem einzigen - und der Verbindung der Frauen aus der früheren DDR und Island. Das muss für Dich mehr als interessant gewesen sein!

    (Ich glaube, mal von einem Buch gehört zu haben, in dem es um deutsche Frauen nach dem II. WK ging: Viele sind (aufgrund der schwierigen Nachkriegssituation) nach Island ausgewandert und ich meine, eine Frau hätte darüber geschrieben).

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Ach ja, Björk. Einige ihrer Lieder finde ich ziemlich genial.

    Sie hat mit verhindert, dass ein chinesischer Investor den größten Wasserfall Islands kaufen konnte.

    Ich kann nicht verstehen, wie man auf die Idee kommen kann, ein Stück Landschaft zu kaufen. Was der Investor wohl daraus gemacht hätte? Ich kann mich an eine ähnliche Situation in Schottland erinnern, als der MacLeod of MacLeod die Cuillins verkaufen wollte um sein Schloss am Leben halten zu können. Da ging ein gewaltiger Aufschrei durch die Highlands.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ich wollte, es gäbe gaaaanz viele Björks in meinem Bundesland: Die Chinesen wollen zwar hier keinen Wasserfall kaufen (gibt gar keinen :breitgrins:), aber ein Riesen-Batteriewerk bauen... - doch die Gemeinde wehrt sich jetzt: Vielleicht wohnen ja doch einige wenige Björks im Saarland? :verlegen:

    (Die Landesregierung freute sich sehr über die Investoren. Ich freue mich NICHT mit).

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • (Ich glaube, mal von einem Buch gehört zu haben, in dem es um deutsche Frauen nach dem II. WK ging: Viele sind (aufgrund der schwierigen Nachkriegssituation) nach Island ausgewandert und ich meine, eine Frau hätte darüber geschrieben).

    Jaaa, das war auch Anne Siegel und hier ist das Buch: Anne Siegel: Frauen Fische Fjorde

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Das muss für Dich mehr als interessant gewesen sein!

    Absolut. Zumal ich damals zu Beginn der 80er auch mit einem Ausländer zusammen war, den ich fast geheiratet hätte. Es ging dann aber ungut auseinander. Bei uns in Rostock waren es aber viele Vietnamesen und Algerier, die bei uns gelebt und gearbeitet haben.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Ach ja, genau: Ich hatte im SR davon gehört. Fand ich auch sehr interessant! Aber leben würde ich nicht gerne in Island wollen, das Klima (nicht das gesellschaftliche ;)) geht mir nicht so gut ab, ist mir zu dunkel da :lupe::zwinker:, besuchen würde ich das Land aber sehr gerne mal.

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Kirsten Ja, wirklich nicht zu verstehen. Frei nach dem Motto: Alles und jeder ist käuflich. Aber glücklicherweise geht das nicht immer auf.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 91


    Gesamt seit März 2007: 1012

  • Danke! Das Buch wartet auch noch auf mich (Frauen Fische Fjorde habe ich schon gelesen) und ich glaube, ich sollte es wirklich nicht zu lange warten lassen.

  • Ich habe mich ja in Romanen auch ein bisschen mit Island befasst.

    Ich warne aber davor, immer das Glück in anderen Ländern zu suchen. Sicherlich gibt es in Deutschland viel, viel zu meckern und viel, viel Ungerechtigkeit, die man oft auch jetzt gerade in der Lockdownpolitik (Friseurtourismus etc. - also zu spät ankommende Hilfen) sieht.


    Aber immer, wenn ein Land wie Dänemark oder Island als großes Vorbild hingestellt wird, unterschlagen wir, was bei uns gut läuft und von anderen beneidet wird. Das perfekte Land gibt es nicht. Über die skandinavischen Länder gab es darüber sogar ein Buch, "The almost nearly perfect people" oder so, dass sich über Schlagwörter wie Hygge oder das "glücklichste Land der Welt" lustig machte.


    Wenn man gefragt wird, ob es in der Familie nicht so gut läuft, kann das positiv sein, weil man wirklich Probleme hat, oder die Familie belasten, weil man jetzt vortäuschen muss, dass es super läuft, oder die Karriere belasten, weil man hin und wieder wirklich gern intensive Arbeitsphasen auch mit Überstunden hat. Nicht alles, was auf den ersten Blick gut klingt, ist es auch für jeden.

    Auf Island kann ich mir vorstellen, dass man einen Teil der Lockdownproblematik, die wir hier haben, schon voraus gelebt hat, weil man teilweise recht isoliert wohnt und wenig Ablenkung außer Haus hat, wenn man nicht gerade in der Hauptstadt wohnt. Wir erfahren ja gerade alle, dass einen das auch sehr belasten kann.


    Obwohl ich Fernwehbücher auch liebe, darf man mMn nicht vergessen, dass man auch in Deutschland und den meisten anderen Ländern wunderschöne Natur finden kann, in der man seine Akkus wieder aufladen und Ruhe finden kann. Oft wird so etwas an ein Land gebunden, das dann zigfach damit in Verbindung gebracht wird, während man die Möglichkeiten vor der eigenen Haustür teilweise gar nicht kennt, weil sie nicht im eigenen Alltag vorkommen.


    Narrative Medizin ist sicher ein spannendes und wichtiges Thema, das uns hart die Schwachpunkte unserer Medizinerausbildung und unseres Krankenhaus- und teilweise Hausarztbetriebs vor Augen führt. War der Hausarzt früher oft noch der Quatschonkel, mit dem vor allem Senioren erst mal etwas reden konnten, geht es heute um Abrechnungen im Minutentakt. Das sind auf jeden Fall Themen, die man in Deutschland und anderen Ländern auch mal angehen sollte, gerade auch zu Coronazeiten, in denen immer mehr der Mensch als Individuum unter den Tisch fällt und es Körper gegen Psyche geht. Der Körper wird geschützt, die Psyche fällt hinten runter, vor allem bei einsamen Menschen im Krankenhaus, Pflegeheim und Lockdown zu Hause.

    Dem Patienten wird allg. immer weniger zugehört.

    Das sollte durchaus geändert werden.

    Es ist aber schwieriger, wenn der Medizin NC hoch bleibt und trotzdem offenbar zu wenige Ärzte in Krankenhäusern und oft auch Hausarztpraxen (ländlicher Bereich) sowie Facharztpraxen (Wartezeiten von mehreren Monaten) Arbeit finden.


    Manchmal hat man ja sogar - auch vor Corona - das Gefühl, den Arzt aufzuhalten, wenn man nur kurz, bündig, effizient seine wichtigsten Symptome kommuniziert oder am besten gleich sagt, was man verschrieben haben möchte. Aber der Arzt sieht sich ja heute meist nur noch als Vermittler der Therapie (Medikamente, Physio, OP etc.) und nicht als erster Ansprechpartner für Symptome und (gesundheitliche) Sorgen.


    Vielleicht kann das die narrative Medizin ändern.


    Ich zweifele aber, dass diese von den deutschen Krankenkassen unterstützt wird. Zu viel "Zeitverschwendung", nicht effizient genug, nicht im Minutentakt anwendbar.


    LG von

    Keshia

    Ich sammele Kochbücher, Foodfotos und Zitate.


    <3 Aktuelle Lieblingsbücher: "The good people" von Hannah Kent, "Plate to pixel" von Hélène Dujardin und "The elegance of the hedgehog" von Muriel Barbery.