Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Medizin/The Butchering Art

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    Titel: Der Horror der frühen Medizin: Joseph Listers Kampf gegen Kurpfuscher, Quacksalber & Knochenklempner

    Autorin: Lindsey Fitzharris


    Allgemein:

    276 S.; Suhrkamp Verl.; 2020


    Zitat von Amazon

    Inhalt:

    Als Joseph Lister 1844 sein Studium in London beginnt, ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung desaströs: Die Krankenhäuser sind überfüllt und verseucht. Um aufgenommen zu werden, müssen Patienten genug Geld für die eigene Beerdigung mitbringen. In den Operationssälen arbeiten Chirurgen in Straßenklamotten vor schaulustigem Publikum. Warum fast alle Patienten sterben, wie sich Krankheiten ausbreiten, darüber herrscht nicht im Geringsten Einigkeit, nur hanebüchene Theorien. Joseph Lister wird Chirurg, er will ganz praktisch helfen. Und von Neugier und hellem Verstand geleitet, entwickelt er eine Methode, die das Sterben vielleicht beenden kann …

    Eine kleine Warnung: Wer nicht von abgesägten Beinen, Leichengeruch und ähnlichem Lesen möchte, sollte lieber zu einem anderen Buch greifen.


    Meine Meinung:

    Joseph Lister war mir vorher tatsächlich kein Begriff. Die Autorin schildert die historischen Hintergründe, speziell die Operationen und die Zustände im Operationssaal sehr lebendig. Mehr als einmal hatte ich richtig vor Augen, wie das Blut spritzte und meinte die Schmerzensschreie zu vernehmen. Aber vor allem war es einfach auch sehr faszinierend zu erfahren, wie noch im 19. Jahrhundert Operationen durch geführt wurden. Und auch wie schwer es war, die eigene Zunft von den Erkenntnissen zu überzeugen, die Lister dazu gebracht haben, mehr Hygiene in den Operationsaal einführen zu wollen. - Immerhin hat dieser Punkt am Ende sehr vielen Menschen das Leben gerettet, die vorher keine besonders guten Chancen gehabt hätten, da sie sehr oft an Blutvergiftungen starben.

    Wenn man sich überlegt, welche Sprünge die Medizin seither gemacht hat, erscheint manches fast unwirklich und sehr weit weg. Tatsächlich hat Lister aber einen der Grundsteine gelegt, die langfristig Standards für Hygiene sowohl im Operationssaal als auch im gesamten Krankenhaus gesetzt hat.

    Ich habe mich tatsächlich großartig unterhalten, da mich das Thema Medizingeschichte so oder so sehr interessiert.


    5ratten

  • HoldenCaulfield

    Hat den Titel des Themas von „Der Horror der frühen Medizin: Joseph Listers Kampf gegen Kurpfuscher, Quacksalber & Knochenklempner“ zu „Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Medizin: Joseph Listers Kampf gegen Kurpfuscher, Quacksalber & Knochenklempner“ geändert.
  • Oh wie toll! Das Buch hätte ich dieses Jahr beinahe meiner Mutter zu Weihnachten geschenkt, aber wollte dann lieber vorher nochmal vortasten bei ihr ? Ich hatte ihr mal "Abgründe der Medizin" (Lydia Klang) geschenkt und das hat ihr sehr gefallen.


    Ich bin auch sehr interessiert an den Inhalten dieses Buches, früher oder später wird eine Ausgabe also seinen Weg zu uns finden

    ??.

  • Das steht auch ganz fett auf meinem Wunschzettel.


    Wer sich für die Thematik interessiert, mag vielleicht auch die Serie "The Knick" mit Clive Owen als genialem, aber leider auch kokainsüchtigem Arzt in New York um die Jahrhundertwende, der stets dafür zu haben ist, neue OP-Methoden auszuprobieren. Allerdings nichts für Leute, die kein Blut sehen können :breitgrins:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das steht auch ganz fett auf meinem Wunschzettel.


    Wer sich für die Thematik interessiert, mag vielleicht auch die Serie "The Knick" mit Clive Owen als genialem, aber leider auch kokainsüchtigem Arzt in New York um die Jahrhundertwende, der stets dafür zu haben ist, neue OP-Methoden auszuprobieren. Allerdings nichts für Leute, die kein Blut sehen können :breitgrins:

    Guter Tipp, danke sehr! :breitgrins:

  • Lindsey Fitzharris beschreibt zunächst anschaulich die Schrecken der Medizin vor Joseph Lister und dann, wie die von ihm eingeführten Neuerungen nach und nach dafür sorgten, dass doch ein paar Menschen (mehr) lebendig aus den Krankenhäusern hervorkamen. Das macht sie im Großen und Ganzen sehr interessant. Ich weiß jetzt, warum das Mundwasser Listerine heißt und bin noch entschlossener, niemals an einer Zeitreise teilzunehmen, die eine mögliche medizinische Behandlung in der hier beschriebenen Zeit einschließen könnte. Möglicherweise hätten ein paar Bilder das alles noch anschaulicher gemacht, aber vielleicht auch fast alle Menschen vom Kauf des Buches abgeschreckt. :/


    Vollständig zufrieden bin ich nicht, für eine Medizinhistorie war es mir aber etwas zu viel Lister, für eine Biographie gibt es hingegen etwas wenig Privatleben - obwohl er möglicherweise tatsächlich so sehr für seinen Beruf gelebt hat, dass da einfach nichts weiteres Privates zu erzählen ist.


    Interessant und lesenswert war es aber definitiv und den „Nachfolger“ "Der Horror der frühen Chirurgie" über einen weiteren Pionier der Medizingeschichte habe ich schon auf dem Merkzettel.


    4ratten

  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Medizin: Joseph Listers Kampf gegen Kurpfuscher, Quacksalber & Knochenklempner“ zu „Lindsey Fitzharris - Der Horror der frühen Medizin/The Butchering Art“ geändert.
  • Anfang des 19. Jahrhunderts war die Chirurgie fast mehr Handwerk als Medizin und bestand hauptsächlich aus blutiger Knochensägerei, gerne auch vor Publikum und mit "Showeffekten" wie einer Amputation bei laufender Stoppuhr - und stets begleitet von einem erheblichen Infektionsrisiko. Aus heutiger Sicht ist das kein Wunder, wenn man die hygienischen Verhältnisse am Operationstisch und auf den Stationen im Krankenhaus betrachtet. Man hatte sich mehr oder minder damit abgefunden, dass Blutvergiftungen, eitrige Entzündungen der Wunden und ähnliche Komplikationen mit chirurgischen Eingriffen einhergehen und legte es in Gottes Hand, ob der Patient überlebte oder an den Folgen der Operation verstarb. (Paradoxerweise hatten Menschen, die sich nach einem Eingriff zu Hause erholen konnten, bessere Überlebenschancen als solche, die ihre Rekonvaleszenz im Krankenhaus verbrachten.)


    Der junge Arzt Joseph Lister entwickelte schon früh in seiner Laufbahn eine gesunde Skepsis angesichts dieser fatalistischen Einstellung und schrieb es sich auf die Fahnen, die Gründe für die so häufigen schlimmen Nachwehen von Operationen herauszufinden und vor allem Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Der Erfolg gab ihm letztendlich recht. Trotz zahlreicher Anfeindungen aus dem Kollegenkreis hat sich nach und nach sein Fokus auf die "Antisepsis" durchgesetzt und den Grundstein für die heute noch gültigen Hygieneanforderungen in der Medizin gelegt.


    Was für ein toller Ritt durch eine bewegte Zeit in der Medizin - Lindsey Fitzharris hat mich vom ersten bis zum letzten Satz ungemein gefesselt.


    Medizinische, physiologische und biologische Details werden auch für Laien verständlich erläutert, so dass immer nachvollziehbar bleibt, welch große Fortschritte Listers Forschung und Praxistests für die Medizin bedeuten, und es gibt auch einige sehr bildhafte und ziemlich bluttriefende Szenen direkt vom OP-Tisch. Eine Aversion gegen Skalpelle, Blut und andere, eher unappetitliche Absonderungen sollte man beim Lesen besser nicht haben, aber gerade diese Abschnitte führen ganz wunderbar vor Augen, welche riesige Entwicklung sich da in den letzten nicht mal 200 Jahren zugetragen hat.


    Dass Lister als Person so viel Raum im Buch einnimmt, hatte ich so nicht unbedingt erwartet, aber ich habe gerne über seinen persönlichen und beruflichen Werdegang gelesen, zumal ihn das naturwissenschaftliche Interesse seines Vaters früh beeinflusst und auch das Aufwachsen in der Glaubensgemeinschaft der Quäker den jungen Joseph geprägt hat. Die akademische Welt scheint damals auch schon ein ganz schönes Haifischbecken gewesen zu sein. Einige Konkurrenzkämpfe und fachliche Auseinandersetzungen waren wahrlich nicht ohne, da wurde mit ganz schön harten Bandagen gekämpft.


    Ein spannender, hochinteressanter und überdies auch noch ziemlich unterhaltsamer Mix aus biographischen Elementen und Medizingeschichte, den ich sehr gerne weiterempfehle.


    5ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen