Verena Rossbacher - Mon Chéri und unsere demolierten Seelen

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  • Dieser Roman ist in diesem Jahr erschienen und steht auf der Longlist des diesjährigen österreichischen Buchpreises.


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    Inhalt:

    Charly Benz ist 43 und arbeitet in Berlin im Marketing für eine Lebensmittelpoduzentin, die vegane Convenience- Produkte wie Müsliriegel und TK-Fertiggerichte herstellt.
    Charly findet sich selbst wenig attraktiv und ist selbstbestimmter Single, um nicht irgendwelche zugelaufenen Männer durchfüttern zu müssen. Sie hat eine Postöffnungsphobie und ist daher Premiumabbonentin bei dem 20 Jahre älteren Herrn Schabowski, der berufsmäßig die Post für jene von solcher Angst Betroffenen öffnet. Beide sitzen oft zusammen und genießen ihre Gespräche bei starkem Kaffee, Süßigkeiten (vgl. Titel) und starken Mohawk-Zigaretten.
    Bei einer von ihrer esoterisch orientierten Schwester geschenkten sogenannten systemischen Familienaufstellung trifft sie ihre Jugendliebe Dragaschnig; Gleichzeitig beginnt sie eine Affaire mit einem Kulturjournalisten und ihrem Nachbarn, nachdem sie viele Jahre lang der Enthaltsamkeit gefrönt hatte. Als Resultat ist sie schwanger, was sie von dem Arzt erfährt, der Schabowski nach zahlreichen Untersuchungen, zu denen sie ihn immer begleitet hat, eröffnet, er habe Lungenkrebs mit Metastasen und nur noch zwei Monate zu leben.

    Wie Charly und Schabowski mit diesen beiden Herausforderungen umgehen und welchen Einfluss Charlys schräge Familie auf sie ausübt, nimmt den Hauptteil des Buches ein, das in einem leerstehenden Hotel in Bad Gastein endet.

    Meine Meinung:

    Obwohl der Inhalt auch traurige und melancholische Aspekte hat, habe ich bei einer Lektüre lange nicht mehr so gelacht. Charly ist ein Redegenie, ihren Geschichten hört man immer gerne zu. Sie führt uns mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten und ihrem liebevoll ironischen Blick auf andere Personen unsere eigenen Schwächen und Verrücktheiten vor Augen. Im Roman spielen Süßigkeiten, Playlists für die Musik der Siebziger bis Neunziger, Star Wars und andere bekannte Filme eine wichtige Rolle, so dass alle, die diese Jahrzehnte auch mit erlebt haben, sich hier gut aufgehoben fühlen. Für jene, die gerne lachen und das Komische auch in ernsten Dingen suchen, ist dieser Roman gut geeignet. Man geht dennoch ein bisschen weiser aus seiner Lektüre hervor.

  • Danke für diese tolle Rezi, finsbury ! Der Roman war einer der beiden, die mich sehr interessieren. Nun ist das Interesse dank Deiner aufschlussreichen Meinung noch erheblich gewachsen, das wäre garantiert was für mich ;)

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Danke. Ich hab den Roman vorgemerkt, weil die Beschreibung interessant klang. Sieht jetzt noch mehr danach aus, dass er mir gefallen könnte.

  • Danke für die Rezi - das Buch ist sofort auf meiner "unbedingt-lesen!"-Liste gelandet! Toller Tipp!

    Vernunft, Vernunft...

  • Ich kann der Rezension von finsbury zu 100 Prozent zustimmen, ich habe selten einen gleichzeitig so witzigen, weisen und insgesamt unterhaltsamen Roman gelesen.


    Charlys Stimme hat mir von Anfang an gefallen (was bei Ich-ErzählerInnen für mich nicht selbstverständlich ist) und auch die Art, wie abschnittsweise ihre ganze Lebensgeschichte aufgerollt wird, indem sie sie Herrn Schabowski erzählt, überzeugt, vor allem weil dadurch auch immer wieder Querverweise zu den für sie wichtigen Menschen entstehen. Die sind übrigens eine weitere große Stärke dieses Romans: Auch die Nebenfiguren sind liebevoll ausgearbeitet und charakterisiert, überzeugen mit ihren kleinen Macken und überraschen auch gelegentlich. Charlys Art, ihre Probleme anzugehen, ist einmalig, hier kann man sich als LeserIn sicher die Überlegung mitnehmen, manches etwas lockerer zu sehen und auf sich zukommen zu lassen, auf jeden Fall ermutigt ihre Strategie durchaus auch mal einen Fehler zu machen, da dieser nicht unbedingt zum Scheitern führen muss.


    Und alles das wird in einer wunderbaren Sprache erzählt, die mal ironisch, mal gefühlvoll (ohne kitschig zu sein) daherkommt. Die Autorin schafft es damit, ihre Figuren den LeserInnen nahe zu bringen und sie auch nahbar zu machen. Und sie hat ein Talent, die alltäglichsten Dinge sehr, sehr lustig darzustellen, egal ob es um Charlys Bemühungen geht, für ihren Tinder-Account ein verführerisches Foto zu erstellen, oder ob Herrn Schabowskis Veränderungen durch die zahlreichen Kurse, die Charly und er besuchen, um ihre Leben zu verbessern, reflektiert werden. Dabei beherrscht die Autorin die große Kunst, Menschen wirklich witzig zu charakterisieren, und dabei trotzdem nett mit ihnen umzugehen - man hat als LeserIn durchaus das Gefühl, das freundliche und ironische Augenzwinkern, dass bei Charlys Beschreibungen mitschwingt, sehen zu können.


    Ich habe den Roman ausgerechnet in der Monatsrunde gelesen, in der Bücher, die eine Ein-Sterne-Bewertung erhalten haben, nochmal unter die Lupe genommen werden sollten. Und ich kann nur sagen, dass sich das total gelohnt hat - von mir bekommt der Roman die volle Punktzahl.


    5ratten :tipp:

  • Das wäre mit Sicherheit was für mich - nach dem Urteil von euch zu schließen ;)

    (Roman ist auf einer Suchliste gelandet; ist mir ja schon einmal ins Auge gesprungen ^^ )

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Vom Scheitern und Weitermachen


    Gewinner des Österreichischen Buchpreises 2022 und sicher eines der erstaunlichsten Bücher seit langem, denn Verena Roßbacher versteht es ausgezeichnet, Humor und ernste Themen miteinander zu verbinden.


    Dieser Roman ist voller liebenswerter und origineller Charaktere: die Protagonisten sind Charly, die eine Postöffnungsphobie hat und Herr Schabowski, der im Premiumabo ihre Post und auch ihre Ängste sortiert. Die Treffen der beiden – immer mit viel Süßkram (nicht nur die titelgebende Piemontkirsche), starkem Kaffee und Mowhak-Zigaretten – sind eher Therapiestunden, denn Charly glaubt, dass der Mängelkatalog ihres Lebens fast unendlich groß ist. Auch wenn sie zu Beginn zu leicht depressivem Lamentieren neigt, so zeigt sie im Laufe der Geschichte doch, was in ihr steckt.


    Eine systemische Familienaufstellung, eine Schwangerschaft, eine Diagnose, drei potentielle Väter, ein toter Vater und ein Brief aus einer Anwaltskanzlei sorgen für arge Turbulenzen in Charlys und Hr. Schabowskis Leben. Sie meistern sie – mit Freundschaft, Loyalität und so manchen schrägen und tröstlichen Ideen!


    Ich habe selten ein derart lustiges Buch, das gleichzeitig so viel Tiefgang hat, gelesen.

    Außerdem ist es ein herrlich nostalgisches Buch: zahlreiche Werbesprüche, Marken- und Produktnamen (wir kennen sie alle!) und viele Hinweise auf Musik versetzten mich in die 1980iger und 1990iger Jahre und somit in meine Jugendzeit. In Charlys Erzählungen von Modetrends, denen sie nachgelaufen ist, fand ich mich auch selber wieder (Auch wenn ich – Ehrenwort! – dabei nie, wirklich nie so konsequent war wie Charly)


    Ein besonderer Genuss waren für mich natürlich diverse Wortkreationen wie „versingelte Jahre“ oder „Raumspray im Kopf“. Ein spielerischer Umgang mit Sprache, der mich oft schmunzeln lies und mehrmals auch laut auflachen. Die Autorin schreibt mitreißend, humorvoll und voller Sprachgewalt und das alles auch noch mit einer großen Portion Witz, Satire und klugen Ideen!


    Einfach ein Buch mit Plüschfaktor und viel, viel mehr! Es garantiert lustige und nachdenkliche Lesestunden! Wundervoll!

    Merci ;)


    5ratten


    PS. Es ist mittlerweile schon ein paar Monate her, seit ich dieses Buch gelesen habe und ich muss immer noch lächeln, wenn ich daran zurückdenke oder daran erinnert werde.

    Nicht umsonst hat es seinen Fixplatz in meinem Bücherregal bekommen!

    Vernunft, Vernunft...