Michel Houellebecq – Lanzarote

Es gibt 15 Antworten in diesem Thema, welches 713 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Alice.

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    Die Novelle ist so, wie ich mir ein Buch von Houellebecq vorgestellt habe. Vorurteilshaft spielt er mit den üblichen Themen eines mittelalten Mannes, der vorgefertigte Boulevardzeitungsmeinungen von sich gibt. Männer sind so, Frauen sind so. DIE Franzosen, DIE Deutschen, DIE Engländer, DER Islam, DER Tourismus, DIE Belgier, DIE Lesben. Alles und jeder wird in eine vorgefertigte Schublade geschoben.


    Der Ich-Erzähler, viel Ähnlichkeit mit dem Autor, bucht einen Urlaub nach Lanzarote. Er wählt das Land aus, weil der glaubt dort willige Sexpartnerinnen zu treffen. Allein wie er sich der Reisebüroangestellten beim Buchen des Urlaubs verhält, ist abstoßend.


    Die Insel wird als karg und mit wenig kulturellen Angebot beschrieben. So gut hat sich dann der Autor nicht informiert. Kulturell hat die Insel durch die Werke Cesar Manriques ziemlich viel zu bieten, der kommt aber mit keinem Wort vor.


    Er freundet sich mit einem Belgier, der eigentlich Luxemburger ist an, ähnlich alt wie er selbst, außerdem mit einem deutschen Lesbenpärchen.


    Der Belgier ist frustriert von seinem Leben als Polizist in Brüssel, außerdem hat sich seine marokkanische Frau von ihm getrennt und ist mit den beiden Töchtern zurück zum Islam gegangen (sic!). Sie wollte kein freizügiges Leben mehr in Swingerclubs.


    Mit den beiden Deutschen beginnt er eine Affäre, sie wollen ein Kind, dazu benötigen sie einen Mann.


    Der Belgier, Rudi, schließt sich einer Sekte an, den Azraeliten. Azrael ist der wahre Nachfolger Moses. Die Menschheit wurde von wissenschaftlich versierten Ausserirdischen namens Anakim erschaffen worden. Neue Sektenmitgliedern wird das ewige Leben versprochen, sie müssen Hautproben abgeben und arbeiten anscheinend mit einem Institut zusammen, die menschliches Klonen erforscht.



    Rudi reist früher ab und hinterlässt dem Protagonisten einen Brief, in dem er alles erklärt. Nach einigen Monat liest er von ihm und der Sekte in der Zeitung, sie propagieren nicht nur das Klonen, sondern auch freie Sexualität, unabhängig vom Alter oder verwandtschaftlichem Verhältnis. Viele der Mitglieder wurden wegen Pädophilie und Inzest verurteilt. Die Anführer blieben unbescholten.


    Viele Themen werden pauschal für diesen Pauschalurlaub angesprochen. Keines wird hinterleuchtet. Fetzenartig werden sie hingeworfen. Es wird auch keine Stellung bezogen. Der Leser wird direkt angeschrieben, was ich nicht so gerne mag. Er wird mit hineingezogen, aber dann im Regen stehen gelassen mit den Fetzen, die ihm serviert werden.



    Rassismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Inzest, Pädophilie sind Themen, die nicht einfach hingeworfen werden sollten. Es gibt Leser:innen, die es nicht als Provokation des Autors sehen. Ich erwarte mir da mehr Feingefühl und tiefgründigere Auseinandersetzungen zu brisanten Problematiken. Umso größer die Provokation, desto größer die Anzahl der verkauften Bücher. Es war wohl mein erster und letzter Houellebecq, den ich gelesen habe.


    Viele Leser;innen lieben Houellebecq und seine Provokationen, ich gehöre da nicht dazu. Am Ende ist es eine Frage von Erwartungshaltungen und des Geschmacks. Muss wohl jede/r für sich selbst entscheiden.

  • Ich kann mit Provokationen meistens eher wenig anfangen und finde ihn als Person auch ziemlich unsympathisch.


    Aber der Fairness halber: kannst Du irgendwas von ihm besonders empfehlen, thomas_b ?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich kann mit Provokationen meistens eher wenig anfangen und finde ihn als Person auch ziemlich unsympathisch.

    Nun, ein Autor muss ja nicht sympathisch sein. Diese Unfreundlichkeit gehört bei ihm dazu. Und doch kann man unter dieser Oberfläche den sehr empfindlichen Houllebecq entdecken, welchen Grund sollte er haben nach Osnabrück zu fahren und mit Studierenden seine Gedichte zu lesen, wenn nicht die Liebe zur Sprache und Literatur. Dieser Autor kämpft mit und verzweifelt an der Realität. Sein Frauenbild mag sexistisch sein und dennoch spricht er oftmals geheime Sehnsüchte von Männern aus. Kann ja nicht schaden, diese zu kennen und sich damit auseinanderzusetzen. Somit steigt er hinab in die Tiefen des Menschen und legt Dinge offen, die so manches besser erklärbar macht. Auch wenn wir dabei vor uns selbst erschrecken. Aber wenn Literatur das erreicht, was nicht gesagt ist, aber wenn sie das wirklich erreicht, dann hätte man mE ein literarisches Genie vor sich.

  • Ich unterstelle ihm nicht irgendetwas zu sein. Dann würde ich es machen wie er in seinen Büchern mit seinen Figuren.


    Der Autor als Person kann sein wie er will, mich hat dieses Buch von ihm nicht "abgeholt". Wobei ich seine Heimatinsel sehr mag, La Réunion, auch eine Vulkaninsel, wie Lanzarote nur grün. Solle er darüber mal schreiben, vielleicht geb ich ihm/seinen Büchern noch eine Chance.


    Ich mag auch die Sprache nicht, die er im Buch verwendet (zugegeben ich habe das Buch nur auf dt. gelesen). Für mich klang vieles abwertend, so wie er es geschrieben hat. Auch wenn er es als Stilmittel bewusst einsetzt, entspricht es nicht meinem Lesegeschmack.

  • Nun, ein Autor muss ja nicht sympathisch sein.

    Da hast Du grundsätzlich natürlich recht, auch die Figuren in Büchern müssen nicht sympathisch sein und auch nicht immer Dinge tun, die ich gut finde oder verstehe, solange nachvollziehbar dargestellt wird, warum sie so handeln oder denken.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Wenn ein unbekannter Autor in platten Klischees schreibt, ist es genau DAS - wenn ein renommierter das selbe tut, ist es automatisch nur "Provokation"? :/

    Und "sexistisch sein" ist eine eventuell akzeptable Variante?? Nur, weil jemand als "hochempfindsam" gilt, "an der Welt verzweifelt" und Literaturkritiker (Oooh!) ihn loben??


    Sorry - ich bild' mir doch lieber meine eigene Meinung und bin hiermit raus aus der Diskussion, thomas_b .

  • thomas_b ich stimme dir zu, dass sich jeder selbst einen Eindruck schaffen sollte, sich mit dem Buch auseinandersetzen, es lesen und dann darüber für sich urteilen sollte.


    Was ich mir nicht anmaße ist eine/n Autor:in zu beurteilen, immer nur ihr oder sein Werk.

  • Himmel - was für ein schreckliches Buch! ^^ (Ich weigere mich, es als "Werk" zu bezeichnen..)

    Auf dem Rückumschlag meiner Ausgabe steht übrigens als Kritik der SZ: "Die traurigste Reisegeschichte der neueren Literatur"

    Ja, das trifft es.

    Das arme Lanzarote (das ich abseits nennenswerter Touristenströme als ziemlich faszinierend erlebt habe..) - hätte er sich nicht einen anderen Tatort für seine schnöselig-arrogante Verachtung aussuchen können? :D   (Und JA - ich habe tatsächlich aufgrund des Namens des Autors 2 ziemlich überflüssige Minuten darauf verwendet, über mögliche wahnsinnig tiefsinnige zweite Ebenen nachzudenken.. *g*)


    Ich habe übrigens inzwischen Michel Houellebecqs Erstlingswerk Gegen die Welt, gegen das Leben gelesen - eine Art "Langessay" über H.P. Lovecraft - und den Autor darin von einer ganz anderen Seite erlebt : analytisch, intelligent, durchaus kritisch, aber nie ver-urteilend - das fand ich sehr gewinnbringend zu lesen.


    Mir stellt sich jetzt die Frage, welchen dieser beiden Autoren ich wohl in seinen anderen Büchern wiederfinden würde..?! :/

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Alice ich habe befürchtet, dass es dir so "gut" gefällt wie mir. Ich will es gar nicht rausfinden wie er wirklich ist. Ich befürchte durch Provokation verdient man mehr und daher werden wohl viele Bücher grausam sein.

    Ist eine Vermutung, die ich gar nicht falsifizieren möchte.

  • (Ich tendiere auch dazu, diese Bücher (von vertrauenswürdigen Personen.. :breitgrins: ) lesen zu lassen - und dann zu lesen, was man so meint..)

    Mit dem literaturanalytischen Buch(-lein) über Lovecraft hat er mich aber tatsächlich dazu gebracht, diese Texte (denen ich bei der früheren Lektüre eigentlich nur.. ratlos gegenüberstand) nicht nur einordnen, sondern tatsächlich auch weit mehr verstehen (?!suche noch nach einem passenderen Verb..) zu können.

  • Da würd ich jederzeit Ricardo Piglia - Der letzte Leser lesen und mich über das Lesen, Lektüre usw. inspirieren lassen.


    H.P Lovecraft ist auch nicht meine Welt.

  • Ich bin jedenfalls sehr, sehr froh, dass ich das andere Buch vorher gelesen habe - nach Lanzarote würde ich keinerlei Lust mehr dazu verspüren. ;)