Catherine Poulain - Die Seefahrerin/Le grand marin

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    Lili will frei sein. Sie hat ihr altes Leben in Frankreich hinter sich gelassen und heuert nun in Alaska auf einem Fischkutter an. Die Fischer beäugen die eher zart gebaute junge Frau misstrauisch, man traut ihr kaum zu, den Knochenjob unter oft widrigen Wetterbedingungen durchzustehen, zumal das Meer vor Alaska nicht zu den einfachsten Fanggründen zählt, aber Lilis Wille ist eisern und sie beißt sich durch, trotzt der Kälte, den wunden Händen, Verletzungen, Krankheiten, blöden Sprüchen, Konflikten. Zum Teil entsteht der Eindruck, dass Lili einige ihrer Tätigkeiten richtig ekelhaft findet, dann wiederum ist sie härter und unempfindlicher als die Männer an Bord.


    Festanstellungen sind rar in der Branche, die Arbeit ist immer nur für ein paar Wochen oder Monate gesichert, dann folgt Leerlauf oder ein ungeliebter Job an Land und der Versuch, irgendwie die Zeit zu füllen, bis sie wieder auf See sein kann. Zwischen ihr und einem Kollegen entspinnt sich eine Beziehung, doch auch diese geht keine konventionellen Wege, ist rauh, schwierig und für Außenstehende nur schwer verständlich.


    Genau so liest sich auch dieser ungewöhnliche Roman. Man kann Catherine Poulain ganz sicher nicht vorwerfen, das Leben des Fischers zu romantisieren. Ihre ungeschminkten Schilderungen, die sich bestimmt auch aus ihren eigenen Erfahrungen auf See und in der Fischindustrie speisen, sparen keine Härte und keine Hässlichkeit aus, und man kann es den Leser:innen nicht verdenken, wenn ihnen beim Lesen der Appetit auf Fisch erst einmal vergeht.


    Und auch Lili selbst ist spröde, heimatlos, desillusioniert und hart. Sicher steckt irgendwo in ihr auch ein weicher Kern, zu sehen bekommen wir ihn allerdings nur sehr selten. Ihre Lebensweise wirkt sehr fremd, ziellos, rastlos, eine feste Wohnung ist ihr genauso unwichtig wie Bequemlichkeit und die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens. Sie ist eine Getriebene, scheint auf der Flucht zu sein vor etwas, das sie manchmal noch in bruchstückhaften Träumen heimsucht, aber nie explizit ausgesprochen wird. Es bleibt bei groben Andeutungen von etwas Unschönem, das in Frankreich geschehen sein muss. Was genau, bleibt der Phantasie überlassen.


    Kein einfaches Buch, dieser Einblick in ein gänzlich "anderes" Leben zwischen Fischerbooten, Hafenkneipen und behelfsmäßigen Unterkünften mit einer desillusionierten Protagonistin, die genau weiß, was sie will oder nicht will und trotzdem oft vom Zufall abhängig ist. Gelegentlich war ich sogar kurz davor, es wegzulegen, doch dann hat mich wieder eine Passage gefesselt und neugierig gemacht, wie es weitergeht. Auch sprachlich ist das Buch sehr auf das Wesentliche reduziert, gänzlich unsentimental, mit knappen, realistische Beschreibungen, wenig Füllstoff und lakonischen Dialogen, die zwischenmenschlichen Beziehungen sind nicht von starken Emotionen geprägt und das Handeln der Figuren manchmal schwer nachvollziehbar.


    Ein Wohlfühlbuch ist "Die Seefahrerin" wirklich nicht und hat vieles, was ich in Romanen eigentlich nicht sonderlich mag, machte aber trotzdem Eindruck auf mich. Vielleicht gerade deswegen.


    3ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen