Elinor Cleghorn - Unwell Women/Die kranke Frau

Es gibt 7 Antworten in diesem Thema, welches 775 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von JaneEyre.

  • Untertitel: A Journey Through Medicine and Myth in a Man-Made World / Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen


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    Frauen galten und gelten leider immer noch als das schwache Geschlecht. Deshalb wurden wir nicht ernst genommen, wenn sie über Unwohlsein oder leichte Beschwerden geklagt haben. Echte Krankheiten wurden uns abgesprochen, denn die waren für das starke Geschlecht reserviert. Elionor Cleghorn nimmt uns in ihrem Buch mit auf eine Reise durch die Medizin der Jahrhunderte, die hauptsächlich durch eine einseitige, bestenfalls ungerechte und oft diskriminierende Sicht auf Frauen und ihren Körper geprägt waren.


    Der wichtigste Satz steht am Ende des Buchs:

    Zitat

    "Wenn eine Frau dir sagt, dass sie Schmerzen hat, glaube ihr gleich beim ersten Mal"


    Damit spielt die Autorin auch auf ihre eigene Leidensgeschichte an. Sie ist an Lupus erkrankt und es dauerte lange, bis sie nicht nur das Gefühl hatte, wirklich ernst genommen zu werden. Noch länger dauerte es, bis die Diagnose gestellt wurde und die Behandlung beginnen konnte. Auch deshalb stellt sie die Frage, inwieweit ein Arzt die Beschwerden seiner Patientin verstehen kann, wenn er körperlich nicht in der Lage dazu ist?


    Die weibliche Anatomie war für die frühen Mediziner ein Rätsel, denn sie konnten nicht in die Frauen hineinsehen. Deshalb waren Diagnosen oft bestenfalls schwammig, die Hauptdiagnose war über lange Zeit schlicht und einfach Hysterie. Dieser Begriff sagt vieles aus, was den Stellenwert und das ernst nehmen der Beschwerden anging. Leider scheint sich in manchen Köpfen auch heute noch nicht viel geändert zu haben. Die Frage "hat die etwa ihre Tage" wird immer noch zu oft gestellt, wenn eine Frau sich nicht wie gewohnt verhält. Das ist eben die einfacher, als wirklich der Sache auf den Grund zu gehen.


    Ohnehin musste der weibliche Zyklus lange für alle möglichen herhalten: als Bestrafung für die Erbsünde, Zeichen der Unreinheit und auch heute noch als etwas, über das wir besser nicht sprechen sollten, weil es irgendwie ja doch unangenehm ist und auch als Ausrede, wenn Menstruationsbeschwerden uns ausbremsen.


    Aber darüber schreibt die Autorin nur am Rande. Vielmehr zeigt sie eindringlich, wie unterschiedlich mit kranken Männern und Frauen umgegangen wurde. Kranke Männer wurden behandelt, kranke Frauen mussten dagegen um eine Behandlung regelrecht kämpfen. Oftmals wurde gesagt, dass es uns besser gehen würde, wenn wir uns wieder auf unsere wahre Rolle besinnen würden. Eine wunderbare Ausrede, um jeden Versuch, etwas mehr aus sich oder dem Leben zu machen, zu unterdrücken.


    Die Lektüre hat mich gleichzeitig betroffen und wütend gemacht. Betroffen darüber, was kranke Frauen erdulden mussten. Wütend darüber, weil ich viele Denkweisen aus eigentlich längst vergangenen Zeiten in Aussagen und Verhaltensweisen unserer Zeit wiedererkannt habe. Ein wichtiges Buch, dessen Lektüre ich nur empfehlen kann.

    5ratten


    Liebe Grüße

    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Vielen Dank für die schöne Rezi. Ich freue mich auch schon sehr auf das Buch.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Dass die Beschwerden von Frauen häufig vom medizinischen Personal nicht ernst genommen werden, Frauenkrankheiten schlechter erforscht sind und nicht nur Medikamente oft nur an Männern getestet werden, haben vermutlich die meisten schon einmal in irgendeinem Zusammenhang mitbekommen. Was das bedeuten kann, hat Elinor Cleghorn am eigenen Leib erfahren. Sie lief jahrelang mit unklaren Symptomen von Arzt zu Arzt und durchlitt sogar lebensbedrohliche Situationen, bis endlich festgestellt wurde, dass sie Lupus hat.


    Ihre eigene Geschichte nimmt sie als Aufhänger für dieses so interessante wie erschreckende Buch, das ganz weit ausholt und den Umgang mit Frauen in der Medizin vom alten Griechenland bis heute betrachtet. Zwar haben sich im Laufe der Zeiten Einstellungen und Erkenntnisse verändert, doch bis heute ist es leider Fakt, dass Frauen viel zu oft durchs Raster fallen.


    Die Gründe dafür sind vielfältig, es geschieht aus Unwissenheit, aus Desinteresse, aufgrund falscher Annahmen oder wegen kultureller Tabus. Frauen galten (oder leider, gelten mancherorts immer noch) als unrein oder sündig und werden auch heute noch gerne als launenhaft und übermäßig emotional abgetan, ja das Wort "hysterisch" selbst leitet sich vom griechischen Begriff für die Gebärmutter ab. Intellektuelle Leistungen hat man Frauen lange Zeit entweder gar nicht zugetraut oder nur zu Lasten ihrer "eigentlichen" Aufgabe, der Fürsorge, dem Muttersein, dem Versorgen und Pflegen. Auf die Idee, dass Frauen auch andere Ambitionen haben könnten und dass das völlig in Ordnung ist, kam man jahrhundertelang gar nicht erst und selbstbewusste, berufstätige Frauen waren schnell als Hexen, Huren oder sonstige Abweichlerinnen verschrien.


    Die weibliche Anatomie war sehr lange ein Rätsel, bis ins 19. Jahrhundert hinein wussten selbst viele Ärzte wenig bis gar nichts über deren Funktionsweise, Besonderheiten und Erkrankungen, und es kursierten die seltsamsten Auffassungen über Frauenkrankheiten und deren Behandlung. Ein ganz übles Beispiel sind etwa die Liegekuren der viktorianischen Zeit, bei denen Frauen zu völligem Nichtstun ohne jegliche Reize von außen verurteilt wurden und körperlich wie geistig erst recht abbauten. Und auch heute dauert es oft viel zu lange, bis Frauen bei bestimmten Leiden wie Endometriose eine belastbare Diagnose und Behandlung bekommen.


    Elinor Cleghorn ist ein flammendes Plädoyer für eine bessere Behandlung von Frauen (im doppelten Wortsinne) gelungen. Ihren mit zahlreichen anschaulichen und aufschlussreichen Beispielen unterfütterten Aufruf, Frauen und ihre Beschwerden endlich ernst zu nehmen, kann ich mich nur anschließen.


    Der einzige kleine Kritikpunkt, den ich habe, ist die etwas lapidare Abhandlung des Themas Menstruation. Es ist ganz sicher etwas dran an ihrer These, dass die jahrtausendealte Tabuisierung die Regelblutung dazu geführt hat, dass Frauen unnötigerweise zu zeitweiligen Invaliden oder gar Unberührbaren stilisiert wurden, und es stimmt, dass die Periode etwas ganz Natürliches ist. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass Regelbeschwerden in erster Linie ein kulturelles Phänomen sind, finde ich doch sehr gewagt angesichts der vielen Frauen, die jeden Monat unter Krämpfen, Übelkeit und anderen Problemen leiden. Da führt die Autorin ihre Aufforderung, Frauen mit ihren Beschwerden doch bitte endlich ernst zu nehmen, ein wenig ad absurdum.


    Das soll den insgesamt sehr guten Eindruck von dem Buch aber nicht über Gebühr schmälern, denn es ist ein so lesenswertes wie wichtiges Buch, das ich allen ans Herz legen möchte, die sich auch nur ein bisschen für die Thematik interessieren.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Hat sie zufällig erzählt das sie keine Regelbeschwerden hat? Ich habe nämlich schon öfter den Eindruck gewonnen, das Frauen die selbst keine Probleme mit Schmerzen haben, diese dadurch eher wenig bis gar nicht nachvollziehen oder ernst nehmen (bis hin Du musst Sport machen dann geht das schon weg...).

  • So was in der Art vermute ich auch, sie hat zumindest nicht von eigenen Beschwerden erzählt und auch so ein bisschen in die Richtung argumentiert, dass man das mit Bewegung und so weiter in den Griff kriegen könnte. Äh ... nein.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • HoldenCaulfield das fällt mir generell immer mehr auf. Schmerzen oder Probleme, die man selbst nicht hat, können andere immer schwerer nachvollziehen, weil man sich nicht in den anderen hineinversetzen kann oder will. Aber gerade darum geht es ja in diesem Buch: Frauen wurden in vielem nicht ernst genommen, weil man(n) sich nicht in ihre Lage hineinversetzen konnte. Beim Thema Menstruation übernimmt die Autorin jetzt deren Part.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Ja - und gerade deshalb finde ich es so schade an dieser Stelle :(


    Dabei ist das Buch ansonsten so ein toller Augenöffner in der Hinsicht.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Kirsten und Valentine danke für eure Rezis. Das Buch klingt sehr spannend und wichtig finde ich. Kommt gleich auf meine Liste.

    Vieles von dem Gesagten existiert ja heute noch - das Ernstnehmen von Beschwerden bei Frauen - alle Medikamente sind auf Männer abgestimmt etc.


    Das mit dem Nachvollziehen können von Beschwerden bei anderen die man selbst nicht hat kenne ich zur Genüge, fängt schon bei den Hitzewallungen an - da heißt es oftmals - mir ist auch mal heiß... :rolleyes: was allerdings überhaupt nicht zu vergleichen ist.

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane