Ann-Helén Laestadius​ - Das Leuchten der Rentiere

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 738 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

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    Trifft meinen Lesegeschmack leider nicht


    Die Samen sind ein alteingesessenes Volk, dessen Lebensgebiet sich heute im Norden Schwedens, Finnlands und Norwegens erstreckt.

    Die Sámin Elsa ist gerade mal 9 Jahre als, als sie beobachtet, wie ihr Rentier abgeschlachtet wird. Zwar hat sie den Täter erkannt, bestreitet dies aber bei der Polizei, weil der Täter ihr gedroht hat.

    Wie dieses Erlebnis auch Jahre später das Leben von Elsa beeinflusst, beschreibt Ann-Helen Laestadius in ihrem Buch „Das Leuchten der Rentiere“.

    Obwohl mich der Rassismus, die Ablehnung, die Unterdrückung und der Kampf um Gleichberechtigung stark mitgenommen hat, habe ich leider zu Elsa, ihrer Familie und dem Zusammenleben mit den Rentieren keinen Zugang gefunden. Vielleicht liegt es auch an dem einfachen, nüchternen Sprachstil, dass sich bei mir kein Leseerlebnis eingestellt hat.

    Ein, wie ich finde, deprimierendes Buch, das mir keinen Lesegenuss gebracht hat.

    3ratten

  • Oh, ich wusste nicht, dass es eine deutsche Übersetzung gibt!


    Ich habe das Buch letztes Jahr im schwedischen Original unter dem Titel "Stöld" (="Diebstahl") gelesen. Mir hatte dieses desillusionierende* Buch ausnehmend gut gefallen. Gerade der nüchterne, nicht auf die Tränendrüsen drückende Stil hatte eine grosse Wirkung auf mich und liess mich die Handlung noch glaubwürdiger und bedrückender empfinden. Meine Bewertung damals:

    4ratten


    *"Desillusionierend" war das Buch für mich, da mir nicht bewusst war, wie gross sowohl der alltägliche wie auch der strukturelle Rassismus, dem die SamInnen täglich begegnen, auch heute noch ist. Ich dachte, die Fortschritte der letzten Jahrzehnte (die es durchaus gibt) wären grösser gewesen. Das zeigt auch, wie wenig die Lebenssituation der SamInnen hier im Rentierlosen Süd- und Mittelschweden Thema ist. "Man" interessiert sich mehr für die Lebensbedingungen der us-amerikanischen indigenen Bevölkerung als denen der eigenen, die als solche nicht einmal unbedingt wahrgenommen wird.

    Zugegebenermassen ändert sich das im Moment etwas - in den letzten paar Jahren sind einige Bücher zum Thema erschienen, haben Aufsehen erregt und nicht nur mir als Augenöffner gedient. Hoffentlich schlägt sich das demnächst auch in mehr Verständnis für die SamInnen und einem besseren Verhältnis zwischen den Bevölkerungsgruppen in Nordschweden nieder,

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Ich hatte die Leseprobe gelesen - und lieber die Finger vom Buch gelassen (fürchtete, es würde auch mich deprimieren). Aber Rentiere und die Geschichte der Samen interessieren mich schon sehr: Vielleicht lese ich es im Verlauf des Winters (um Rentiere kann man sich aktuell durch den Klimawandel sorgen:

    Es gibt Vereisungen unter dem Schnee mittlerweile, der es den Tieren im Winter mitunter unmöglich macht, an Futter zu kommen; sie drohen zu verhungern - oder müssen von Menschen gefüttert werden.....


    Das scheint sich mehr und mehr zu einem Problem zu entwickeln, durch die veränderte Temperaturlage.

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

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    Titel: Das Leuchten der Rentiere
    Autorin: Ann-Helén Laestadius


    Allgemein:

    448 S.; Hoffmann und Campe Verlag, 2022


    Zitat von Amazon

    Inhalt:

    Die Sámi Elsa ist neun Jahre alt, als sie allein Zeugin des Mordes an ihrem Rentierkalb wird. Der Täter zwingt sie, zu schweigen. Sie kann nichts tun und fühlt sich doch schuldig, gegenüber ihrer Familie und allen, die ihr nah sind, denn wieder einmal sieht die Polizei keinerlei Anlass, in einem Verbrechen zu ermitteln. Elsas Rentier gilt schlicht als „gestohlen“. Als die Bedrohung der Sámi und ihrer Herden dramatisch zunehmen und auch Elsa selbst ins Visier des Haupttäters gerät, findet sie endlich die Kraft, sich ihrer lange unterdrückten Schuld, Angst und Wut zu stellen. Aber wird sie etwas ausrichten können gegen die Gleichgültigkeit der Behörden und die Brutalität der Täter?


    Meine Meinung:

    Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden die Sami in Schweden noch in Umerziehungsschulen geschickt, und dort waren die Kinder von Gewalt und schlechter Ernährung sowie dem Versuch ihre Kultur zu zerrstören bedroht. Diese Erfahrungen spielen auch in ihrem heutigen Alltag immer noch eine Rolle. Die Diskriminierungen haben sich verändert, aber sie sind nach wie vor da.

    Das Misstrauen gegenüber der Polizei kommt nicht von ungefähr - und wird oft genug bestätigt. Auch hier im Roman, werden die Menschen von ihr immer wieder im Stich gelassen. Die Anzeigen, die über Jahre hinweg erfolgen, werden im Grunde ignoriert und nicht ernsthaft verfolgt. Die Enge Verbindung der Rentierhalter und ihrer Tiere zu einander, die Verzahnung mit ihrem kulturellen Erbe nicht respektiert. Schon die Gesetzgebung diskriminiert diese Tatsache, aber auch die Berichterstattung und auch die Reaktionen der Polizei vor Ort, schüren vor allem Resignation und gegenseitiges Unverständnis.


    Elsa erlebt als Kind, wie diese Resignation den Alltag bestimmt. Sie scheint instinktiv zu spüren, das sie ihre Famile vor weiteren Erlebnissen dieser Art beschützen muss, gleichzeitig hat sie Angst, dem Täter hilflos ausgeliefert zu sein. Ihre Familie ist geprägt vom Leben mit den Tieren, aber was eigentlich ein Zusammenhalten erfordern würde, sorgt eher dafür, das kein echtes Miteinander mehr möglich ist.

    Die Psychischen Probleme einiger Figuren sind sichtbar, werden aber zum Großen Teil ignoriert - dafür ist keine Zeit. Gleichzeitig werden auch die psychischen Probleme von nicht-Sami nicht verstanden. Es herrscht auch hier eine Hilflosigkeit und kein Verstehen.

    Die Autorin versucht aber auch, andere Blickwinkel ein zu nehmen, der Täter der von Anfang klar ist, erschien mir aber ehrlicherweise zu plakativ. Zu sehr als Bösewicht gezeichnet. Das ist meiner Meinung nach eine der Schwachpunkte des Romans, der mir auch deshalb auffiel, weil auf samischer Seite vielschichtiger erzählt wird. Dort haben die Figuren meiner Meinung nach die nötige Tiefe um sie lebendig werden zu lassen. Robert dagegen ist eher ein Stereotyp und da hilft es wenig, das er auch psychische Probleme haben "darf".

    Die Vorgänge von denen Das Leuchten der Rentier erzählt, sind seit Jahren "normal", die Probleme werden aus samischer Sicht ignoriert und sie fühlen sich im Stich gelassen. Aus ihrer Sicht wird in Schweden nach wie vor zu wenig dafür getan, das ihre Rechte gestärkt werden.


    Elsas Geschichte, wird über 10 Jahre erzählt. Zunächst ist sie ein Neunjähriges Mädchen, das die Ereignisse zum Teil nicht überblicken und zur Gänze verstehen kann. Als fast 20 Jährige begegnet man ihr dann später im Roman wieder. Die Vergangenheit, der Mord an ihrem Rentierkalb haben sie einerseits nachhaltig traumatisiert, sie aber gleichzeitig zu einer Frau werden lassen, die sich für ihre Rechte einsetzt. Dabei kritisiert die Autorin auch die patriarchalen Strukturen innerhalb der samischen Gemeinschaft, die es Frauen schwer macht, eine andere Rolle als die einer Ehefrau und Mutter ein zu nehmen. Elsa möchte mehr, sie möchte eine Rolle in der Rentierhaltung spielen, die ihr als Frau nicht zugestanden wird. Doch sie gehört auch einer Generation von Frauen an, die eine Veränderung in Gang setzen könnte. Sie wird als mutig beschrieben, gleichzeitig zeigt sich, das sich die Gräben in der Familie zum Teil sogar noch vertieft haben.


    Hier fehlte mir zum Teil ein richtiger Höhepunkt in der Handlung. An entscheidender Stelle traut sich die Autorin meiner Meinung nach nicht, ihre Figuren negativ handeln zu lassen. Sie "müssen" die moralisch guten und richtig handelnden bleiben. Die Wut darf sich nicht richtig entladen. - Was auch dazu passt, das von ihnen auch erwartet wird, nicht laut zu werden, nicht wütend sein zu dürfen.


    Es ging wohl eher darum, diese Geschichte überhaupt zu erzählen - was auch absolut legitim ist. Persönlich hat mir aber dadurch etwas gefehlt, der dafür gesorgt hätte, das ich das Buch als Highlight einstufen kann. Was nicht heißt, das es ein schlechtes Buch ist. Der Autorin gelingt es meiner Meinung nach sehr gut, vieles zwischen den Zeilen mit zu erzählen - auch wenn man dafür zumindest mal grob wissen sollte, wie samische Geschichte und ihre Unterdrückung in etwa aussah - und ich fand, das gerade auch die kulturelle Bedeutung der Rentiere gut herausgearbeitet wurde (nicht alle Sami sind übrigens Rentierzüchter). Es geht nicht um den Diebstahl einer Sache, den Schutz der Rentierzucht durch Sami in Frage zu stellen, bedeutet auch ein Angriff auf die Sami als Volk. Das ist vielen auch definitiv bewusst, die sich mit illegalem Abschuss und Handel Geld dazu verdienen und das als Akt des Widerstandes gegenüber den bestehenden Gesetzen verstehen. "Gestohlen" heißt der Roman im Original, was meiner Meinung nach sehr gut auf den Punkt bringt. "Das Leuchten der Rentiere" klingt für mich ehrlicherweise verklärend und irgendwie exotisierend, was dem Inhalt einfach nicht gerecht wird.


    4ratten

  • Eine schöne Rezension, HoldenCaulfield !


    Ich möchte nur noch anmerken, dass der Originaltitel Stöld nicht "Gestohlen" sondern "Diebstahl" bedeutet. Der Titel der englischen Übersetzung, "Stolen", ist aber trotzdem viel besser als der deutsche, den auch ich als unnötig exotisierend empfinde.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Danke für die Rezension. Der Titel ist mir schon ein paar Mal begegnet, hat mich aber nie angesprochen. Jetzt habe ich ihn notiert. Aus Zeitmangel lese ich oft keine Rezensionen, bei denen das so ist. Das sollte ich dringend ändern um nicht noch mehr schöne Bücher verpassen, die sich hinter für mich nicht so schönen Titeln verbergen.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Kirsten

    Versteh ich total, geht mir oft ähnlich. Ich hätte das Buch vermutlich auch verpasst, wenn es nicht jemand auf Booktube in einem Lesemonat vorgestellt hätte.

    Hier bin ich Aufgrund des Themas aufmerksam geworden.


    (Und warum hat die Suche das Buch nicht ausgespuckt, obwohl ich eine passende Eingrenzung gemacht hatte? :/ Danke fürs zusammenführen!)

  • Viel von dem, was Du schreibst HoldenCaulfield , erinnert mich thematisch und in Details gerade an die beiden Bücher über RAVNA von Elisabeth Herrmann (ich sehe gerade, dass da ein 3. Band herauskommen wird!) - sie sind zwar als Jugendbücher konzipiert, aber dennoch mMn recht vielschichtig und ich hab sie sehr gerne gelesen. (Auch eine Empfehlung aus dem Forum, wenn ich mich recht erinnere..)

  • Alice

    Rate mal wer sie zuerst gelesen hat ;)

    Ich interessiere mich sehr für samische Geschichte und lese schon seit einigen Jahren gerne Romane, die sich damit beschäftigen. Ich versuche darauf zu achten, das auch samische Autor:innen darunter sind. (Soweit eben möglich). Auch deshalb empfehle ich diesen Roman, denn die Autorin ist selbst Samin und erzählt dadurch natürlich aus einem ganz anderen Blickwinkel, als jemand der einfach "nur" gut recherchiert hat (auch wenn ich z.B. Ravna total mag^^).

  • Der Titel der englischen Übersetzung, "Stolen", ist aber trotzdem viel besser als der deutsche, den auch ich als unnötig exotisierend empfinde.

    Mal wieder ein wunderbares Beispiel dafür, dass deutsche Verlage oft gar kein Gefühl für gute Titel haben. Immer diese Kitschmonster.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ann-Helén Laestadius hat mich in eine Welt entführt, von der ich so gut wie nichts wusste. Bevor ich das Buch gelesen hatte, wusste ich so gut wie nichts von den Samen. Mir war nicht bewusst, dass es so viele Vorurteile und Rassismus ihnen gegenüber gibt. Vor allem die Tatsache, dass der Rassismus so offengelebt wird, ist erschreckend.


    Aber auch innerhalb der Gemeinschaft gibt es vieles, was im Argen liegt. Die Tradition stellt die Frauen immer noch an den Rand. Bei der Arbeit mit den Rentieren sind nur Männer gewünscht, den Frauen wird immer noch die alte Rolle als Ehefrau und Mutter zugewiesen.


    In dieser Welt steht Elsa zwischen allen Stühlen. Als Kind muss sie zusehen, wie immer wieder Rentiere getötet werden, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Als Lehrerin in ihrer alten Grundschule muss sie erkennen, dass sich für ihren Neffen nichts geändert hat und er das Gleiche durchmachen muss, wie sie als Kind.


    Die Autorin erzählt ihre Geschichte ohne Höhen und Tiefen. Für mich hat der Ton gut gepasst, denn das Leben der Samen hat sich nicht geändert. Sie müssen immer noch gegen die gleichen Dinge angehen, wie sie es seit Generationen tun. Aber der ruhige Ton führt auch dazu, dass die Geschichte für mich nicht vollkommend rund ist, ohne dass ich den Finger darauf legen kann, was fehlt.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.