Alexandra Przyrembel - Im Bann des Bösen: Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970

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    Titel: Im Bann des Bösen: Ilse Koch – ein Kapitel deutscher Gesellschaftsgeschichte 1933 bis 1970

    Autorin: Alexandra Przyrembel


    Allgemein:

    432 S.; S. Fischer , 2023

    Zitat von Amazon

    Inhalt:

    Ilse Koch war die Ehefrau des SS-Kommandanten von Buchenwald und eine der wenigen verurteilten NS-Täterinnen. Die Historikerin Alexandra Przyrembel skizziert in einer fundierten Spurensuche ihren Lebensweg, beschreibt den Prozess und die internationale Berichterstattung sowie die Zeit im Frauengefängnis in Aichach und die Unterstützung durch das Netzwerk der »Stillen Hilfe«.

    Bereits 1932 wurde Ilse Koch (1906–1967) Mitglied der NSDAP, 1936 heiratete sie den späteren Kommandanten von Buchenwald. 1947 stand sie in Deutschland vor einem US-Gericht, 1950/51 vor einem deutschen Gericht, das sie zu lebenslanger Haft verurteilte. Ausgiebig berichtete die internationale Presse über die als besonders grausam geltende »Hexe von Buchenwald«. Von der Zeit des Nationalsozialismus über den Prozess bis zum Suizid 1967 in der Haft rekonstruiert Alexandra Przyrembel die unterschiedlichen Erzählungen über Ilse Koch. Dabei zeigt sie, welche Vorstellungen von Gewalt, Geschlecht und Schuld sich darin kristallisieren und warum.[...]


    Meine Meinung:

    Thematisch hat es mich total angesprochen und ich finde den Ansatz der Autorin auch ziemlich gut.


    Es geht um die Konstruktion einer "Hexe von Buchenwald" dabei spielt auch das damalige Frauenbild eine Rolle. Es bleibt unbestritten, das Ilse Koch eine Täterin ist, es geht der Autorin aber darum, zu zeigen, wie dieses Täterbild nach 1945 in der frühen Nachkriegsgesellschaft und übrigens auch von der amerikanischen Presse gezeichnet wird und sie zu einem "Monster" hochstilisiert. Sie also entmenschlicht. Persönlich sehe ich darin auch einen Mechanismus, in dem ich etwas so dämonisiere, muss ich mich nicht damit beschäftigen das Ilse Koch ein Mensch war und mich auch nicht mit eigener Schuld auseinandersetzen, weil sie als Dämon ja viel schlimmer ist. Dabei spielt neben der Schuldfrage auch das Bild von Frauen und Müttern eine große Rolle, bei der Bewertung ihrer Person. Das geht soweit, das auch die Argumentation des Gerichts, diesen Vorstellungen folgt.


    Besonders interessant ist der "Fall Koch" auch deshalb, weil Ilse Koch einmal in der BRD zu einer weit höheren Strafe verurteilt wurde, als viele andere Täter, deren Schuld aus heutiger Sicht schwerer wiegt. Aber auch, weil hier DDR und BRD Geschichte aufeinander prallen. Das KZ Buchenwald lag in der Sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR. Beide Länder habe unterschiedliche Motive, denn Fall zu verhandeln.


    Klar ist, Przyrembel hat eine fundierte und wissenschaftliche Herangehensweise und ich finde ihre Argumentation auch schlüssig. Einzig... das Buch hat das typische Problem, das oft bei deutschsprachiger wissenschaftlicher Literatur eintritt: Es liest sich sehr langatmig und stellenweise dadurch ziemlich langweilig. Auch weil die Autorin oft Fremdwörter verwendet, wo es nicht notwendig wäre. Das finde ich sehr schade, da das Buch so ehrlicherweise wenig zugänglich für ein eher Sachbuchorientiertes, allgemeines Publikum ist. Wen das nicht stört, dem sei das Buch dennoch empfohlen, da ich finde, das die Autorin wichtige Aspekte in der Geschichte der frühen deutschen Nachkriegszeit aufgreift.

  • Ich habe das Buch aufgrund der obigen Rezension gelesen und kann mich dieser nur anschließen. Die Analyse und die Schlussfolgerungen der Autorin zu der Frage, inwiefern gesellschaftliche Rahmenbedingungen die Erwartungen an den Umgang der Justiz mit NS-Verbrechen geprägt und beeinflusst haben, sind nachvollziehbar und aufschlussreich. Darüber hinaus wird darauf eingegangen, dass gerade das künstlich stilisierte Frauenbild der Nationalsozialisten, dem Ilse Koch eben gerade nicht entsprach, auch wenn sie das selbst immer wieder behauptet hat, bis in die Nachkriegszeit hinein wirkmächtig war - gerade das Abweichen hiervon ermöglichte den BeobachterInnen die Einordnung Ilse Kochs als unnormal. Und diese Einordnung wiederum konnte zur Entlastung vieler "normaler" Menschen instrumentalisiert werden, da für diese ganz klar war, dass man selbst eben nicht so war und damit ganz sicher nicht zu den TäterInnen des NS-Staats gehört haben konnte.



    Die Autorin erläutert diese Mechanismen nachvollziehbar, aber eben auch etwas trocken. Sie setzte bei ihrem Lesepublikum mehr als nur historische Grundkenntnisse voraus, was beispielsweise auch daran deutlich wird, dass sie immer wieder Bezug darauf nimmt, dass eigene Erinnerungskonstruktionen bei ZeitzeugInnen typisch sind und nicht unbedingt zur belastbaren Aussagen führen, die dahinter stehenden Entwicklungen aber gar nicht anspricht. Wer sich mit der Konstruktion von Geschichtsbewusstsein und dem Einfluss traumatischer Erfahrungen hierauf noch nicht auseinandergesetzt hat wird dies nur im Ansatz nachvollziehen können. Insofern kann ich der Vorrezensentin vor allem hinsichtlich der Adressatenorientierung dieses anspruchsvollen Sachbuches unbedingt zustimmen.


    Für mich war es interessant und ich bin froh, darauf aufmerksam gemacht worden zu sein.


    4ratten