Regina Scheer - Bittere Brunnen

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    Regina Scheers Biographie "Bittere Brunnen: Hertha Gordon-Walcher und der Traum von der Revolution" wurde 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet - meiner Ansicht nach völlig zu Recht, denn es handelt sich um ein außergewöhnliches geschichtliches Sachbuch.


    Hertha Gordon wird 1894 in eine jüdische Familie aus Königsberg hineingeboren und schafft es (dank einer unternehmungslustigen älteren Schwester, die ihr vorangeht), als Jugendliche zur Ausbildung im Maschineschreiben nach London zu gehen. Dort lernt sie nicht nur Englisch, sondern kommt auch mit Frauenrechtlerinnen in Kontakt und beginnt, sich für Politik zu interessieren. Dieses Interesse wird weiter geschürt, als sie 1915 Clara Zetkin begegnet, und an ihrer Seite die bedeutenden Entwicklungen der sozialistischen Ideen und Parteien bis weit in die 1920er Jahre hinein miterlebt, darunter die Gründung der KPD, aber auch die Rivalitäten unterschiedlicher politisch links gerichteter Gruppen, die durch die Entwicklungen in der Sowjetunion, die Gordon im Laufe der Jahre mehrmals besucht, beeinflusst werden. Durch ihre politische Arbeit lernt sie ihren späteren Mann Jacob Walcher, einen einflussreichen Gewerkschafter kennen, beide werden sich ihr Leben lang für die Idee einer sozialistischen Gesellschaft einsetzen, die sich aber am Ende als nicht umsetzbar erweist: nach verschiedenen Stationen im Exil während der NS-Diktatur und der Rückkehr nach Deutschland müssen die Walchers in der DDR erleben, dass sich ihr Traum von der Revolution auch dort nicht erfüllen wird.


    Vor der Lektüre dieser Biographie hatte ich noch nie von Hertha Gordon-Walcher gehört, umso beeindruckender ist es zu lesen, dass sie viele wichtige Wendepunkte der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts miterlebte und dabei auch vielen prominenten Persönlichkeiten begegnete, ohne ihre Person und ihre Arbeit in den Fokus zu stellen - Gordon-Walcher bedauerte in ihren späten Jahren selbst, sich so sehr in den Dienst einer Partei und eines Mannes gestellt zu haben. Es passt absolut zu dieser Haltung, dass die Autorin Regina Scheer viele Informationen über Hertha Gordon-Walchers Leben nur erhielt, weil die beiden Frauen eine persönliche Beziehung hatten und über Jahre immer wieder Gespräche geführt haben, in denen nach und nach kleine Erinnerungen von Gordon-Walcher preisgegeben wurden, die dann die Grundlage des vorliegenden Buches bildeten. Dieser sehr persönliche Schreibanlass spiegelt sich auch im Text wieder: obwohl die vielen Sachinformationen für eine sorgfältige Recherche sprechen, hat der Text selbst oft einen eher erzählenden Charakter und ist dadurch, trotz der Informationsflut, gut lesbar.


    Ich habe in diesem Buch vieles über die Geschichte der sozialistischen Bewegungen in Deutschland erfahren, das ich noch nicht wusste, sehr betont wird das Bedauern darüber, dass es Ende der 1920er Jahre nicht gelang, die politisch links stehenden Parteien und Gruppierungen zu vereinigen, um dadurch den Nationalsozialismus aufzuhalten. Dieses Bedauern begleitet auch die Protagonistin Hertha Gordon-Walcher, die eine interessante Zeitzeugin dieser Entwicklungen war. Für Geschichtsinteressierte ist dieses Buch auf jeden Fall empfehlenswert, man sollte sich auch vom Umfang nicht abschrecken lassen, diese faszinierende Lebensgeschichte kann nicht kürzer erzählt werden.


    5ratten

  • Das Buch ist mir bereits in einem newsletter (oder sonstwo) aufgefallen und als interessant bewertet worden. Nun hab' ich gerade entdeckt, dass meine Biblio es im Bestand hat :thumbup:

    Danke für die sehr aufschlussreiche, interessante Rezi dazu, Juva!

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Ich hab Regina Scheer von Machandel her in recht guter Erinnerung.

    Aktuell hab ich weder "Kopf" noch Lesezeit für dieses Buch, aber hab es mal auf meine Merkliste gesetzt. Danke Juva !