Sarah Winman - Das Fenster zur Welt

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    Ganz kurz begegnen sich die Kunsthistorikerin Evelyn und der junge Soldat Ulysses während des 2. Weltkriegs in Italien, zufällig sind sie aufeinandergetroffen und waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um ganz kurz einen Blick auf ein vor den Kriegswirren in Sicherheit gebrachtes Renaissance-Gemälde zu werfen - einer dieser Momente, die man sein Leben lang nicht vergisst.


    Nach Kriegsende arbeitet Evelyn als Unidozentin, Ulysses kehrt in seine Heimat London zurück und muss feststellen, dass seine lebenslustige Frau ein Kind von einem anderen bekommen hat, einem amerikanischen GI, den sie jedoch nie wiedergesehen hat. Die Ehe ist kaputt und trotzdem können Peg und Ulysses einander nie so ganz loslassen. Eng verbunden fühlt sich Ulysses auch vielen Menschen aus dem Umfeld der Kneipe, in der Peg arbeitet und er oft zu Gast ist: dem aufbrausenden Wirt etwa und Cress, einem älteren Herrn, der einen besonderen philosophischen Blick auf die Welt hat.


    Ulysses' Leben plätschert so dahin, bis sich irgendwann dank eines unverhofften Geldsegens ganz neue Möglichkeiten eröffnen und er beschließt, in Italien ein neues Kapitel aufzuschlagen. Mit dabei ist Pegs Tochter Alys, die sich mit ihrem Stiefvater viel besser versteht als mit ihrer Mutter, und zwei weitere überraschende Begleiter, die zunächst gar nicht auf dem Plan standen. In Florenz leben sich die Neuankömmlinge schnell ein, Ulysses ist begeistert von der Stadt, den Menschen, den vielen Kunstwerken und traditionsreichen Bauten und beginnt das Handwerk seines Vaters, die Herstellung von Globen, wieder aufzunehmen.


    Evelyn, die aus einer Künstlerfamilie stammt, ist selbst oft in Florenz, meist in Begleitung einer Freundin, die wie Evelyn dem eigenen Geschlecht zugetan ist - etwas, das Evelyn dank ihrer liberalen Eltern schon früh im Rahmen der Möglichkeiten ausleben durfte. Ulysses ist bei ihren Reisen des öfteren in ihren Gedanken und sie fragt sich häufig, was aus ihm geworden ist und ob sie ihn womöglich irgendwann wiedersehen wird.


    Es ist schwierig zusammenzufassen, um was es in diesem Roman eigentlich geht. Die Liebe zur Kunst und zu besonderen Handwerksberufen spielt eine große Rolle, es gibt viel italienisches bzw. florentinisches Flair und bevölkert wird das Buch von einem bunten, großen Panoptikum von Charakterköpfen, sowohl rund um den Pub in London als auch in Ulysses' italienischem Umfeld und Evelyns Künstlerkreisen. Diese begleiten wir über Jahrzehnte hinweg und werden Zeugen zahlreicher persönlicher Entwicklungen.


    Zu Beginn kam ich gar nicht so gut rein in das Buch, weil ich die Figuren ein wenig schablonenhaft gezeichnet fand und mich der etwas seltsame Humor der Pub-Stammbesetzung nicht so recht überzeugen konnte. Aber sobald Ulysses, Alys und ihre Mitreisenden mit ihrem alten Gefährt auf dem Weg nach Italien unterwegs waren, fing die Geschichte an, einen gewissen Sog zu entwickeln. Die Charaktere bleiben gewissermaßen "Typen", die sich manchmal eher wie Märchenfiguren als wie Menschen im echten Leben verhalten, und einiges klappt für meine Begriffe im Zuge von Ulysses' Auswanderung ein bisschen zu gut.


    Aber ich mochte die Warmherzigkeit und das Wohlwollen, das dem Umgang miteinander meist zugrunde liegt, die humorvollen Szenen (gerade auch diejenigen, in denen Touristen gewisser Couleur ihr Fett weg kriegen) und auch die berührenden Momente. Meine besonderen Lieblinge waren Cress, der einfach immer unbeirrbar er selbst ist, und natürlich Claude, der eloquente Papagei. Und E. M. Forster hat einen netten Gastauftritt (sogar zusammen mit dem Baedeker, dessen Erwähnung in "Zimmer mit Aussicht" mich köstlich amüsiert hatte).


    Abstriche gibt es leider für die deutsche Übersetzung, die ich gar nicht gelungen fand, oft viel zu wörtlich, zu modern oder im Deutschen einfach falsch (der Maler schreibt sich im Deutschen Tizian und nicht Titian, die "Guelphs" müssten richtigerweise im Deutschen Welfen sein und so weiter). Im Original hätte mir das Buch sicher noch mehr Freude gemacht.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen