Thomas Mann - Buddenbrooks

Es gibt 37 Antworten in diesem Thema, welches 870 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Alice.

  • Über Tony hab ich auf jeden Fall am meisten nachgedacht, man versucht bei ihr am häufigsten zu ergründen was echt ist und was Fassade.


    Ich fand, wie z.B. auch Gosch, einige Charaktere in dem Buch arg überzeichnet (der Bankier Kesselmeyer etwa ). Einerseits wirkt das unterhaltend, teilweise sogar amüsant, im Laufe des Buchs hat es mich manchmal aber auch sehr unangenehm berührt.


    Ja und daß Thomas direkt gegenüber Anna seinen Wohnsitz für seine Familie errichtet hat, ist wohl auch so eins der vielen Zeichen und Andeutung die der Autor recht deutlich über den Roman verstreut hat um die tieferen Gefühle und Gedanken der Protagonisten unter der Fassade anzudeuten. Wie auch die ständige Wiederholung der Sätze die Tony von Morten übernommen hat (die Sache mit dem Scheibenhonig z.B. ) . Letztlich hat auch Thomas seine Jugendliebe wohl nie ganz vergessen und ist im Inneren vielleicht immer noch der Mann, der er ihr gegenüber war, den er aber weggeschlossen hat, als er den vorgegebene Weg zum Familienoberhaupt und Kaufmann eingeschlagen hat.


    Bzgl. Thomas:

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Ich lese ja jetzt hinter Euch her und bin jetzt iwo im 4. Abschnitt. Ich stimme den Vorschreiberinnen zu: Die Buddenbrooks lesen sich flüssiger und interessanter als gedacht. Glücklicherweise liegt der Fokus bisher nicht wie von mir befürchtet auf dem "Geschäftlichen" mit diversen Intrigen, sondern befindet sich doch bei den Personen.

    Die Beschreibungen der Umgebungen und Stimmungen fand ich oft überraschend sensibel, die der Personen etwas... überbordend. Mir fiel auf, dass außer Tony lediglich ZWEI Personen aller bisher auftretender (und das sind tatsächlich viele!!) als körperlich halbwegs attraktiv beschrieben sind, nämlich Morten und Anna. Alle anderen erscheinen fast als... Karikaturen. (SO hässlich kann der durchschnittliche Norddeutsche doch eigentlich auch zu dieser Zeit gar nicht gewesen sein? ^^) Die exzessive Verwendung von Adjektiven gilt in der heutigen Literatur ja nicht mehr als Qualitätsmerkmal - ich werde mal darauf achten, ob sich das "durchzieht": (Bsp.

    " ... ein wildes, schönes und teuflisches Intrigantenhaupt zur Schau stellen, eine böse, hämische, interessante und furchtgebietende Charakterfigur..." (Sehr farbig, ja.)


    Überhaupt, die Sprache: Natürlich ihrer Zeit geschuldet, aber bei den wohl absolut zeitüblichen Dativ-End-e-s (Bette, Hause...) merke ich, wie ich jedes Mal quasi zusammenzucke - bis mir irgendwann aufging, dass mich das einfach jedes Mal an das "Altertümelnde" von Thea Dorns "Die Unglückseligen" erinnert (das war wohl eine Art von traumatischer Erfahrung :evil:).

    Den Gegensatz von französisch geprägten und latinisierten (inkommodieren, inflammiert, Ingestion...) Begriffen und Sätzen im norddeutschen "Platt" (?) finde ich dagegen sehr charmant. Ebenfalls die immer wieder die kurzen eingestreuten "ironisch-humorvollen" Seitenhiebe ("Er bedauerte aufrichtig, nicht bucklig zu sein.")


    4 Mal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Ich mag ja so wunderbar altmodische Ausdrücke.


    Und Thea Dorn solltest Du ganz schnell aus Deinem Gedächtnis ausräuchern und Dir von ihr nicht den Thomas verderben lassen, als Autorin finde ich sie ganz ganz furchtbar.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Das End -"e" ist ja für die Zeit der Buddenbrooks völlig normal (vielleicht hat jemand parat, bis wann eigentlich?) - darum hatte ich mich eben zunächst gewundert, warum es mich so schauderte... :breitgrins:

    (in diesem Zusammenhange...)

  • Super, dass du jetzt auch dabei bist, Alice! :klatschen:

    Lustig, welchen Effekt die alte Sprache auf dich hat, ich werde ja eher nostalgisch im positiven Sinn. 😄


    Selber bin ich zuletzt wenig zum Lesen gekommen, hoffe dass es ab heute besser wird. Habe erst Teil 8 beendet.


    Mit Hanno liegt der Fokus hier auf einem liebenswerten Charakter im Alter meines Fortpflanzes, deswegen habe ich ganz besonders mit ihm mitgefühlt. :redface:


    Eine, denke ich, zukunftsweisende Szene fand ich sehr eindrücklich. Ich weiß ja noch nicht, wie die Geschichte endet, da ich bisher weder das Buch noch eine Verfilmung kenne, aber...


  • Buddenbrooks - Teil 9 (von 11)


    Ich habe ja schon früher den starken Eindruck erwähnt, denn in gewissen Szenen die Atmosphären auf mich machen, die Th. Mann schafft. Dieser Teil startet gleich mit einer solchen - die Beschreibung des Todeskampfs einer wichtigen Person hat mich sehr getroffen und hängt mir noch immer etwas nach. Sowas wünscht man keinem Angehörigen.


    Außerdem hat mich etwas in Sachen Tony betrübt:


  • ... und Tony geb. Buddenbrook spielt auch im achten Teil noch "mit ihrer Zunge an der Oberlippe herum" - allmählich wird's ein bisschen eklig...

    Wo er sich dieses Detail wohl abgeguckt hat, der Herr Mann?!

  • Buddenbrooks - Teil 9 (von 11)


    Ich habe ja schon früher den starken Eindruck erwähnt, denn in gewissen Szenen die Atmosphären auf mich machen, die Th. Mann schafft. Dieser Teil startet gleich mit einer solchen - die Beschreibung des Todeskampfs einer wichtigen Person hat mich sehr getroffen und hängt mir noch immer etwas nach. Sowas wünscht man keinem Angehörigen.



    An der Stelle ging es mir genauso wie Dir. Als es dann endlich vorüber war hab ich wirklich eine Pause gebraucht, hat mich ziemlich mitgenommen. Ich hab auch nicht verstanden warum der Doktor ihr nicht ein wenig geholfen hat, hab mich wirklich geärgert; wenigstens etwas zum Schlafen oder Beruhigen hätt er ihr doch geben können, sie hatte ja darum gebeten. Auch damals gab es schon entsprechende Mittel.

    Auch deine Anmerkungen zu Tony sind mir ähnlich durch den Kopf gegangen, aber es wurde ihr wohl wirklich aberzogen um ihre Bedürfnisse zu kämpfen oder diese zumindest mehr zu verteidigen. Ob es finanziell möglich gewesen wäre, steht natürlich auf einem anderen Blatt.



    Alice

    Es haben ja mehrere Personen so auffällige und recht körperliche Angewohnheiten, die immer und immer wiederholt werden (z.B. auch bein Hanno und seine Zähnen), ist wohl ein gewolltes Stilmittel, war mir stellenweise aber auch echt zuviel.


    Alice , Valentine

    Ha! Ich weiß jetzt welches Buch ich nicht kenne und definitiv auch nicht lesen werde. ^^


    Das mit dem Werte und dem Hause und dem Fuße usw. stört mich bei älteren Bücher zwar nicht, aber Frau Dorn(e) muß ja wohl nach einhelliger Aussage echt nicht sein.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



  • Das mit dem Werte und dem Hause und dem Fuße usw. stört mich bei älteren Bücher zwar nicht, aber Frau Dorn(e) muß ja wohl nach einhelliger Aussage echt nicht sein.

    Seit ich gemerkt hatte, woran es lag, stört es mich auch nicht mehr. 8)

  • Alice , Valentine

    Ha! Ich weiß jetzt welches Buch ich nicht kenne und definitiv auch nicht lesen werde. ^^

    ... aber Frau Dorn(e) muß ja wohl nach einhelliger Aussage echt nicht sein.

    Vielleicht solltet Ihr mir nicht zu sehr trauen, was "wertvolle Literatur" angeht. Gerade habe ich den Clip eines ZEIT-online-Literaturkritikers gesehen über

    "die besten 5 Bücher des 21. Jahrhunderts"

    (er hat das nachher allerdings ein wenig relativiert..).

    Alle 5 Autoren hatten mich schon mal nachhaltig genervt - bei dreien war es auch noch genau das erwähnte Buch. :D

    (Mein Urteil ist wohl nicht sehr professionell, sondern sehr subjektiv und zuweilen dann auch noch extrem böse. )

  • Buddenbrooks - Teil 10 (von 11)


    Herrschaftszeiten, das geht ja so deprimierend weiter! Wobei mich das Ende dieser Figur dann doch etwas überrascht hat. Zu Beginn dieses Teils wird ja erwähnt, wie Herr Maiboom aus dem Leben schied, und in Verbindung mit der immer stärker zutage tretenden Todessehnsucht ...



    Den Handlungsstrang mit Gerda und dem musizierenden Leutnant fand ich gut erzählt - in einer gelungenen Balance aus kryptisch und sprechend.


    Es mehren sich (abseits der Seitenzahl natürlich 😄 ) die Anzeichen, dass das Ende des Buches bevorsteht. Travemünde erscheint noch einmal auf der Bildfläche, inklusive Tonys Remineszenzen an jenen gewissen Sommer - wobei sie wieder nicht konkret auf ihre damalige Romanze zu sprechen kommt. Ich frage mich, ob sie die Fassade nur nach außen hin wahrt oder vielleicht tatsächlich auch sich selbst mehr oder weniger erfolgreich vorspielt, dass es in Bezug auf Morten nichts zu berichten gäbe, das heute noch Relevanz hätte.


    Auch das Blumenmädchen bekommt noch einmal einen Auftritt. Und auch sie scheint ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen zu wollen.


    Morgen werde ich das Buch wohl beenden. Der letzte Teil scheint kürzer zu sein als die meisten vorangegangenen, mal sehen, was mich bzw. den verbliebenen Rest der Familie Buddenbrook da noch erwartet.

    Einmal editiert, zuletzt von Bluebell ()

  • Ich beginne gerade das von Dir zuletzt beschriebene 10. Kapitel Bluebell und bin sofort ziemlich beeindruckt von der (6 Seiten langen!) minutiösen sensiblen Beschreibung von Thomas' innerem und äußerem Zustand.

    (Und immerhin hab ich gerade schon wieder ein neues altes Wort gelernt: biderb [wir würden heute wohl spießig sagen].


    Es lohnt sich wirklich, sich die Zeit für dieses Buch zu nehmen - noch mal vielen Dank an alle "Anschubslinge"! :blume:

  • An "biderb" kann ich mich jetzt gar nicht erinnern, habe ich darüber hinweggelesen? 🤔

    Allerdings fällt mir wieder einmal auf, wie stark sich die Sprache gewandelt hat. Da ist mehrmals von "grausam" und "rücksichtlos" als positiven, erstrebenswerten Eigenschaften die Rede. Die Bedeutung muss damals eine gänzlich andere gewesen sein, aber obwohl ich normalerweise nicht so schlecht im Herleiten solcher Dinge bin, gelingt es mir hier nicht wirklich.


    Beispiel (Gedanken Thomas Buddenbrooks über einen fiktiven Sohn, weil ihm sein eigener zu musisch, zu zart und verträumt ist):


    Zitat

    Irgendwo in der Welt wächst ein Knabe auf, gut ausgerüstet und wohlgelungen, begabt, seine Fähigkeiten zu entwickeln, gerade gewachsen und ungetrübt, rein, grausam und munter [...] Das ist mein Sohn. Das bin ich.


    An anderer Stelle zählt er lauter durchaus nachvollziehbare Erziehungsziele auf, und inmitten lauter positiver Eigenschaften steht plötzlich "rücksichtslos"... in einer Weise, dass klar ist, dass nicht das gemeint sein kann, was wir heutzutage darunter verstehen...


    Beide Worte tauchen auch andernorts noch in seltsamen Zusammenhängen auf.

  • Die letzten Kapitel sind tatsächlich ziemlich unerfreulich - hier bewahrheitet sich dann der Untertitel des Buches. (Ich hab eine Art Lesemarathon eingelegt, um nicht in einer besonders deprimierenden Szene verharren zu müssen.)

    Die verbleibenden Gestalten verhalten sich erwartungsgemäß, wurden also vorher wohl passend charakterisiert.


    Insgesamt bin ich froh, jetzt auch diesen Erstling von Thomas Mann gelesen zu haben - ich wurde positiv überrascht.

    Einige Dinge bei den Personenbeschreibungen, deren zentrale Details dann bei jedem Auftreten der betreffenden Person wiederholt wurden, haben auf die Dauer mehr (Gerda..) oder weniger (Frl. Weichbrodt - da fand ich's ganz originell..) an meinen Nerven gesägt. Auch sind viele arg karikaturmäßig geraten.

    Die Beschreibungen der einzelnen Seelenzustände sind oft ausufernd, erscheinen aber teilweise auch ziemlich scharfsichtig. Am gelungendsten erschienen mir jedoch viele Beschreibungen des Ambientes und der Stimmungen - Letztere empfand ich teilweise als geradezu grandios, so plastisch sind sie.

  • Das stimmt, die charakteristischen Details wurden zum Teil wirklich überstrapaziert. Da ich die Idee grundsätzlich aber gut fand, habe ich beschlossen, die (teils allzu) häufigen Wiederholungen als Stilmittel zu akzeptieren. 😉

    Die karikaturhaften Überzeichnungen (inkl. Tiervergleichen - Elster, Seehund ...) haben mir wiederum sehr Spaß gemacht.

    Weiter vorne wurde ja schon das mit den "hässlichen" Personen erwähnt - das fand ich zum Ende hin tatsächlich schon anstrengend, dass speziell bei den Männern die allermeisten Figuren nicht nur unattraktiv, sondern durch gewisse Details regelrecht abstoßend beschrieben wurden. Sogar bei im letzten Kapitel neu eingeführten Charakteren machte sich der Autor noch die Mühe, ihnen irgendetwas richtig schön Widerliches mitzugeben, sodass beim Lesen ja kein übertriebenes Wohlgefühl aufkommen kann. 😉

    Die Beschreibungen der einzelnen Seelenzustände sind oft ausufernd, erscheinen aber teilweise auch ziemlich scharfsichtig.

    Mir ist es tatsächlich ein Rätsel, wie man in so jungen Jahren Derartiges vollbringen kann. Thomas Mann muss wahrhaftig eine geniale Beobachtungsgabe gepaart mit ausgeprägter Empathie besessen haben.

  • Letzte Nacht habe ich das Buch beendet und weiß nun gar nicht so recht, was ich noch dazu schreiben soll, weil ich mich ja nach jedem Teil schon mehr oder weniger ausführlich ausgelassen habe. 😄

    Der Schluss kam dann auch nicht wirklich überraschend, sondern aufbauend auf die ganze Geschichte (leider) recht logisch und stimmig daher.


    Mir hat dieses Buch auf so vielen Ebenen gefallen. Die Schilderung der Charaktere und ihrer Seelenzustände, die Entwicklung der Familie von Generation zu Generation, parallel dazu die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen im Hintergrund, widergespiegelt von den familiären Vorgängen im Kleinen... die Frage nach dem eigenen Handlungsspielraum beim Treffen von Entscheidungen im Rahmen seiner ganz individuellen Situation... und natürlich die virtuose Sprache...


    Interessant fand ich auch den Kontrast zwischen oft ausufernden, detailverliebten Beschreibungen einerseits und bewussten Auslassungen andererseits, die der Leser mit seiner Phantasie (was geschah in den stillen Musizierpausen zwischen Gerda und dem Leutnant?) oder Schlussfolgerungen (was passierte nach dem missglückten Pöppenrader Getreidegeschäft firmen- und familienintern?) füllen muss.


    Insgesamt ein sehr lohnendes Leseerlebnis, das ich dem Monatsthema zu verdanken habe. :klatschen:

  • Das mit dem Getreidegeschäft fand ich auch auffällig - vorher wurde nur kurz erwähnt, dass es hagelte - dann Thomas' bleiches Gesicht bei der telefonischen Nachricht.

    (Ich fand's ganz angenehm - genau über solche Sachen wollte ich eben nichts lesen... ;) )


    Dank an die Mitleserinnen für aufschlussreiche Kommentare! :)