Thomas Mann - Der Zauberberg

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    Die Monatsrunde hat mir den letzten notwendigen Schubs gegeben, um endlich den Zauberberg zu erklimmen. Klassikern stehe ich oft zwiegespalten gegenüber, da sie leider nicht immer zeitlos sind, und wenn sie dann noch so umfangreich sind wie dieses Werk, haben sie es noch schwerer bei mir. Mir ist klar, dass ich sicherlich über den Juni hinaus mit diesem Buch beschäftigt sein werde, aber Ausreden, um den Lesestart weiterhin aufzuschieben, darf ich nicht gelten lassen. :breitgrins:


    Der Anfang gestaltete sich ganz angenehm, nachdem ich mich eingelaufen, äh, eingelesen habe. Ich mag den Sprachrhythmus, der sich mit den ewig langen Sätzen einstellt. Und ich bekomme eine Ahnung, weshalb das Buch 1000 Seiten umfasst: Mann schwafelt. Bisher tut er das auf recht unterhaltsame Art, doch ich bleibe vorsichtig. :zwinker:


    Im ersten kurzen Kapitel werden die Anreise des jungen Hans Castorp und seine ersten Eindrücke des Sanatoriums geschildert, bevor er selbst im zweiten Kapitel genauer betrachtet wird. Er wird als "mittelmäßig, wenn auch in einem recht ehrenwerten Sinn" beschrieben. Ich würde sagen, er ist verwöhnt und faul. Offenbar investiert er nicht mehr Energie als notwendig in jedwede Tätigkeit und gibt sich lieber den schönen Seiten des Lebens hin, ohne über die Stränge zu schlagen. Dennoch ist er anmaßend genug, um auf andere hinabzusehen, etwa auf seinen Cousin Joachim Ziemßen, den er in Davos besucht.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Das umfangreichere dritte Kapitel gewährt einen Einblick in den Tagesablauf des Sanatoriums. Offenbar wird viel Zeit darauf verbracht zu essen oder zu liegen… Hans Castorp geht mir mit seiner selbstherrlichen Art schon ein wenig auf die Nerven. Und es zeigt sich immer deutlicher, dass


    Joachim Ziemßen will zwar durch Disziplin wieder gesund werden, um in sein vorheriges Leben zurückzukehren und die Offizierslaufbahn einzuschlagen, macht allerdings einen niedergeschlagenen Eindruck. Er scheint in gewisser Weise das Gegenstück zu Castorp zu sein.


    Wir lernen außerdem weitere Bewohner des Sanatoriums kennen, etwa den “Verein Halbe Lunge”, Herrn Albin oder die Tischnachbarn der Vettern.

    Und wir lernen Settembrini kennen, der eine etwas andere Sicht auf die Dinge hat und mit philosophischen und kulturellen Verweisen aufwartet, die an Castorp allerdings verschwendet sind. Besonders amüsiert hat mich sein Vergleich des Hofrats mit Rhadamantis, dem Totenrichter, der sein Urteil jedoch zugunsten der eigenen Brieftasche fällt. Unsympathisch finde ich seine Einstellung, dass Bosheit “die glänzendste Waffe der Vernunft gegen die Mächte der Finsternis und der Hässlichkeit” sei. Nicht verwunderlich, dass Castorp ihn aufgrund seiner Sticheleien sympathisch findet, und amüsant, dass er selbst nicht mitbekommt, welche bissigen Anmerkungen gegen ihn gerichtet sind.


    Interessant ist, wie Mann es schafft, das unterschiedliche Zeitempfinden darzustellen. Die Diskussion zwischen den beiden Cousins darüber ist fast zu plakativ, die Erwähnungen im Text verdeutlichen diese Wahrnehmung viel besser. Überhaupt gefallen mir kleine Beobachtungen, die Mann immer wieder einstreut, etwa wie die Wolken sich in den Berggipfeln verfangen.


    Ich verstehe, weshalb manch einer den Text akribisch analysieren kann, verzichte selbst allerdings darauf, jeder ausgelegten Fährte zu folgen. Viele sind so offensichtlich und wiederkehrend, dass man sie nicht übersehen kann (die Sieben!) und die meisten nehme ich immerhin zur Kenntnis. Wer weiß, was mir alles entgeht - egal. :zwinker:

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich habe den Zauberberg vor vielen, vielen Jahren gelesen und dann so vielleicht 120 (?) Seiten vor Schluss doch noch aufgegeben. 😅 Er hat mich aber über all die Jahre nie wirklich los gelassen und ich spüre genau, dass ich das Buch noch einmal lesen werde und dann bestimmt fertig.

    Deine Eindrücke hier werde ich auf jeden Fall mitverfolgen.

  • Chapeau, Bluebell , du hast also viele hundert Seiten geschafft! Schade, dass der "Endspurt" nicht mehr drin war. Falls du spontan einsteigen möchtest, bist du herzlich eingeladen. :heybaby:


    Ich habe mir das Buch eingeteilt und hoffe, pro Woche circa 120 Seiten zu schaffen (hoffentlich ist das realistisch). Das Vorgehen hat mir schon beim Ulysses geholfen, dann wird es hier wohl auch klappen. Also: alle 120 Höhenmeter gibt es einen Belohnungssnack. :breitgrins:

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Zitat von Settembrini, S. 137

    Ich bin, wie Sie mich da sehen, ein wenig unduldsam in geistigen Dingen und lasse mich lieber einen Pedanten schelten, als daß ich Ansichten unbekämpft ließe, die mir so bekämpfenswert scheinen wie die von Ihnen entwickelten...

    Ach, ich mag es, wenn Settembrini dem guten Hans Paroli bietet.

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  • Chapeau, Bluebell , du hast also viele hundert Seiten geschafft! Schade, dass der "Endspurt" nicht mehr drin war. Falls du spontan einsteigen möchtest, bist du herzlich eingeladen. :heybaby:


    Ich habe mir das Buch eingeteilt und hoffe, pro Woche circa 120 Seiten zu schaffen (hoffentlich ist das realistisch). Das Vorgehen hat mir schon beim Ulysses geholfen, dann wird es hier wohl auch klappen. Also: alle 120 Höhenmeter gibt es einen Belohnungssnack. :breitgrins:

    Gerade, wo auf den letzten Seiten ein gewisser Naphta nicht mehr dabei ist und der Leserin auf die Nerven gehen könnte...

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Das Lesemuster von Bluebell spricht jedenfalls nicht unbedingt für einen wirklich spannenden Plot :breitgrins: ... ich erinere mich auch eher an etliche recht interessante "Kleinbetrachtungen" und viele gewundene Sätze.

  • ein gewisser Naphta

    Oje. Da darf ich mich wohl auf jemanden freuen... :rollen:


    Und Alice : Für Spannung greife ich parallel zu anderer Lektüre. :lachen:

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  • Im vierten Kapitel zeigt sich, dass der Aufstieg zum Gipfel des Zauberbergs nicht ohne ist. Auch wenn das Gipfelkreuz noch weit entfernt ist, hielt der Weg nun ein paar anspruchsvolle Passagen bereit, steil und felsig und ich musste aufpassen, wohin ich meine Schritte setzte. Unaufmerksam darf man hier nicht sein. ;)


    Unzusammenhängende Gedanken zum vierten Kapitel:

    Insgesamt wird das Alter des Romans immer wieder deutlich und mein Problem mit den lieben Klassikern kommt zum Tragen. Zum Glück werde ich jedoch auch mit ausreichend vielen Passagen belohnt, die alleine durch ihre sprachliche Schönheit zum Weiterlesen animieren. Und ich freue mich über jede kleine Perle, die ich zwischen den (für mich) zweifelhaften Aussprüchen finde.

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  • Es war bei mir tatsächlich so, dass ich bei der Lektüre von Manns Romanen oft gedacht habe, dass er bei aller verbaler Kunstfertigkeit eigentlich ein totaler Unsympath gewesen sein muss.

    Erst Colm Toíbíns Romanbiographie hat mir teilweise einen etwas anderen versöhnlicheren Blickwinkel auf ihn verschafft...

  • Meist versuche ich schon, Werk und Autor zu trennen und mein Augenrollen auf Castorp zu beziehen statt auf Mann. Solange eine Person ihre Ansichten nicht öffentlich kundtut oder man nachträglich durch eine Biografie, Briefe etc. Einblicke erhält, hat man schließlich keine Chance, die persönliche Meinung von denen der Kunstfiguren zu trennen. Und da ich keine Biografie gelesen habe, sollte ich neutral bleiben - wobei Mann seine eher konservative Einstellung vermutlich nicht verstecken konnte oder wollte.


    So manches Mal gibt der Erzähler sich auch zu erkennen, um sich (teils vehement) von Castorp zu distanzieren - doch auch das kann ein Kunstgriff sein. ;)


    Ob ich nach dem Zauberberg nicht erst mal genug habe von Mann, also seinem Werk und seiner Person, wird sich zeigen. Dennoch danke für deinen Hinweis auf die Romanbiografie, Alice !

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  • Das fünfte Kapitel hält ein paar zu überquerende Geröllfelder bereit, die den Aufstieg erschweren und langwierig erscheinen lassen. Noch habe ich es nicht komplett geschafft, ich gönne mir nach circa 400 Höhenmetern, äh, Seiten eine Pause, obwohl mich noch achtzig vom Kapitelende trennen. Das ist nahezu Halbzeit, ich komme besser voran als erwartet. :)


    Die Röntgenszene ist recht amüsant, allerdings kürzer als ich erwartet habe, schade. ;) Dafür wird es in diesem Kapitel immer wieder sehr medizinisch, vor allem in den beiden letzten gelesenen Abschnitten Humaniora und Forschungen. Ermüdend.


    Ansonsten bekommt Castorp viele Möglichkeiten, um zu leiden. In der Hierarchie der Erkrankten steht er weit unten - zu kurz ist sein Aufenthalt und zu leicht seine Krankheit - doch er tut alles, um dies zu steigern. Diese Fixierung auf die erhöhte Temperatur, herrje. Und dieses Genöle. Der gute Hans scheint viel zum Mythos der Männergrippe beigetragen zu haben.


    Wir erfahren außerdem viel über seine Verliebtheit, und ich finde sie oberflächlich und konstruiert. Er benimmt sich wie ein mindestens zehn Jahre jüngerer Bengel. Und diese zunehmend thematisierte Verbindung von Erkrankung und Verliebtheit, die sich als Thema bisher durch das ganze Buch zieht, nimmt für meinen Geschmack zu viel Raum ein.


    Und sowieso, das ist zwischendurch ein ordentliches “wer mit wem”, das mich leider gar nicht interessiert.

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  • Meinem Gefühl nach ist Hans Castorp ein träger Hypochonder, dem rein gar nichts fehlt. Der gute Professor unterstützt Castorps eingebildete Krankheit, weil er eine verlässliche Melkkuh ist, mit der sich gutes Geld verdienen lässt.


    Castorp weiß einfach nichts mit sich selbst und seinem Leben anzufangen. Sein Vermögen reicht nicht aus, um in der Gesellschaft ein Leben als Müßiggänger rechtfertigen zu können. Da ihm sein Ansehen aber wichtig ist, ist seine angebliche Tuberkulose eine willkommene Ausrede, um nicht ins Erwerbsleben eintreten zu müssen.

  • .. bei der Lektüre von Manns Romanen ..

    War ziemlich "verkürzt" formuliert - ich hab T. M. nicht mit Castorp gleichgesetzt, sondern es war so eine "gefühlte" Summe aus der Lektüre mehrerer Romane und deren Darstellungsweisen plus Inhalt mehrerer Dokumentationen und Artikel über die Mann-Familie. Es gab eine Zeit, wo das Thema in den Medien recht populär war.

    Würde mich tatsächlich interessieren, ob Dein Eindruck von Toíbíns Buch auch so wäre wie meiner Breña - ich hatte den Eindruck guter Recherche plus "fairer" Darstellung.


    Da gibt's einen Thread - Kirsten (Beitrag darüber..) fand's auch gut.

  • Da ihm sein Ansehen aber wichtig ist, ist seine angebliche Tuberkulose eine willkommene Ausrede, um nicht ins Erwerbsleben eintreten zu müssen.

    Dass die "Kur" eine Ausrede für den faulen Castorp darstellt, unterschreibe ich sofort. Ebenso die Tatsache, dass er wie einige andere ebenfalls eine willkommene "Melkkuh" ist.

    Ob seine Erkrankung komplett eingebildet ist, möchte ich (zumindest für mich zu diesem Zeitpunkt im Buch) infrage stellen. Ich bin mir jedoch sicher, dass er mit (heimlicher) Unterstützung durch Behrens mehr daraus macht, aus vielfältigen Gründen.

    Würde mich tatsächlich interessieren, ob Dein Eindruck von Toíbíns Buch auch so wäre wie meiner

    Ich habe es auf meinen Merkzettel geschrieben. Dank deiner Erinnerung habe ich mir deinen (und Kirstens) Beitrag nochmal durchgelesen und bin dank des Bezugs durch den Zauberberg nun eindeutig neugierig. Ob und wann ich es tatsächlich lesen werde, möchte ich dennoch offen lassen. ;)

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ob seine Erkrankung komplett eingebildet ist, möchte ich (zumindest für mich zu diesem Zeitpunkt im Buch) infrage stellen.

    Es kann natürlich sein, dass mich meine Erinnerung trügt. Irgendwie hat sich bei mir der Eindruck festgesetzt, dass er krank sein wollte und ihm das Sanatorium den Willen gelassen hat.