Beiträge von stefanie_j_h

    Zwei junge bulgarische Männer haben in Österreich ihr Glück gesucht, aber nicht gefunden. Ihre letzte Rettung ist ein Wunder und der Serbe Miro, der auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben liegt. An seinem Grab treffen sich Svetljo und Iskren zum ersten Mal, obwohl sich ihre Schicksale schon zuvor mehrmals gekreuzt haben.


    Dimitré Dinev hat in seinem Roman "Engelszungen" den Bogen gespannt über drei Generationen zweier Familien und fast ein ganzes Jahrhundert bulgarischer Geschichte. Angefangen bei den Großeltern von Svetljo und Iskren erzählt er die Geschichte ihrer Familien, die einerseits kaum unterschiedlicher sein könnten, in vielen Dingen aber sehr ähnlich verlaufen. Den besonderen Reiz machen die kleinen Parallelen und Überschneidungen aus, die es zwischen den beiden Erzählsträngen gibt. So erlebt man manche Szene aus zwei Perspektiven und trifft manche Figuren in beiden Geschichten. Um dies zu bemerken ist aber manchmal hohe Konzentration beim Leser gefragt, die Kapitel sind sehr lang und bevor man wieder zurück bei Svetljo landet, hat man sich oft so in Iskrens Geschichte vertieft, dass man Nebenschauplätze oder unwichtige Personen aus Svetljos Umfeld schon wieder vergessen hat.


    Damit komme ich auch schon zu meinem Hauptkritikpunkt: Die Geschichte ist sehr komplex, es gibt viele Personen, viele Schauplätze und lange Kapitel, die man beim Lesen schlecht unterbrechen kann. Die Familienstammbäume hinten im Buch helfen ein bisschen, aber Figuren außerhalb der Familien muss man sich trotzdem selbst merken. Außerdem hatte das Buch für mich einige Längen, erst als die Erzählung bei den beiden Hauptcharakteren ankam, hat es mich wirklich gefesselt. Schade fand ich, dass das Leben als Einwanderer in Österreich relativ kurz abgehandelt wurde, da ich davon ausgegangen bin, dass das der Schwerpunkt des Buches wäre.


    Stilistisch fand ich "Engelszungen" sehr angenehm zu lesen, die Sprache ist wunderbar poetisch. Bemerkenswert dabei ist, dass das Buch vom gebürtigen Bulgaren Dinev in deutscher Sprache verfasst wurde. Einige österreichische Begriffe haben sich eingeschlichen, was sehr gut zur Geschichte passt und ihr einen besonderen Charme verleiht.


    Insgesamt ist “Engelszungen” ein Familienroman, wie man ihn sicher in ähnlicher Form schon gelesen hat, durch den Schauplatz Bulgarien und die Verknüpfung zweier Schicksale wird das Buch zu etwas Besonderem. 4ratten

    "Alles Licht, das wir nicht sehen" steht zwar seit einiger Zeit auf meiner Wunschliste, gelesen habe ich von Anthony Doerr bisher allerdings noch nichts. Diese kurze Erzählung kam mir also gerade recht, den Autor und seine Erzählweise kennenzulernen. Ich hatte mich im Vorfeld nicht über den Inhalt informiert, so bin ich ganz unvoreingenommen an das Buch herangegangen. Aufgrund der Kürze des Textes gibt es keine lange Einführung und man ist sofort mitten in der Geschichte, lernt Alma kennen, die vor einiger Zeit ihren Mann verloren hat und an Gedächtnisverlust leidet. Eine neuartige Behandlungsmethode macht es allerdings möglich, manche Erinnerungen auf Kassetten aufzuzeichnen und diese damit immer wieder zu erleben. Diese Methode bietet allerdings nicht nur Vorteile, sondern eröffnet auch ungeahnte Möglichkeiten: Alma erhält mehr als einmal Besuch von Einbrechern, die hinter ihren Erinnerungen her sind, da ihr Mann vor seinem Tod noch eine wichtige Entdeckung gemacht hat.


    Anthony Doerr schafft es, auf wenigen Seiten eine fesselnde Geschichte zu erzählen und den Leser gleich in seinen Bann zu ziehen. Er baut sehr geschickt Spannung auf, indem er Fragen beim Leser aufwirft, die er erst nach und nach beantwortet. Die Idee mit dem Aufzeichnen der Erinnerungen fügt sich dabei glaubhaft in die Geschichte ein und wird nur so weit erklärt, wie sie auch für die Handlung notwendig ist.


    Ohne zu viel verraten zu wollen fügt sich am Ende für mich alles ein bisschen zu leicht, auch wenn es nicht für alle ein Happy End gibt. Vermutlich ist das der Kürze des Textes geschuldet, da keine Zeit für Verstrickungen oder "Abweichungen vom geradlinigen Pfad" ist. Auch wenn ich grundsätzlich kein Fan von überfrachteten langen Romanen bin, war mir "Memory Wall" fast ein bisschen zu kurz. Man hat als Leser sehr wenig Zeit, die Figuren, ihre Geschichten, ihre Beweggründe wirklich kennenzulernen, die Geschichte kann an keiner Stelle wirklich in die Tiefe gehen. An dieser Stelle muss ich auch erwähnen, dass es sich im Original um eine Sammlung von mehreren Geschichten handelt, die deutsche Ausgabe aber nur diese eine Geschichte enthält. Das finde ich sehr schade, denn als Teil einer Sammlung hätte "Memory Wall" vielleicht nochmal anders gewirkt.


    Am Ende hat "Memory Wall" mich etwas zwiegespalten zurückgelassen. Die Geschichte war gut erzählt und Anthony Doerr hat mich sprachlich überzeugt, aber vermutlich wird mir diese Novelle nicht lange im Gedächtnis bleiben, weil sie mich einfach nicht besonders berührt oder beschäftigt hat. 3ratten

    Ich denke auch, dass es immer Mittel und Wege gibt, ein Buch kostenlos zu lesen, wenn man es darauf anlegt. Einen illegalen Download zu finden würde vermutlich weniger Aufwand kosten, als jeden Tag in einer Buchhandlung vorbeizuschauen und eine Buchseite zu scannen. Außerdem könnte man ein Buch ja auch einfach in der Buchhandlung vor Ort lesen, das kann ja auch niemand verhindern.


    Ich finde das eine tolle Sache, ich habe mir schon oft bei dickeren Büchern gewünscht, unterwegs digital weiterlesen zu können. Wenn es diesen Service für ein Buch gibt, das mich interessiert, werde ich es sicher mal ausprobieren.

    Ich hatte eigentlich schon Roger und Luvo als mögliche Opfer gesehen, aber eher damit gerechnet, dass sie keinen Gebrauch von der Waffe machen würde, weil der lichte Moment nicht lange genug dafür andauert.

    Mich interessiert das Buch auch sehr und ich wäre gerne dabei. Ich würde mich auch gerne um ein Freiexemplar bewerben.


    Ich habe mit der Anmeldung etwas gezögert, da ich ab 24. April eine Woche auf Dienstreise bin und vermutlich wenig Zeit für das Forum haben werde. Nachdem das Buch allerdings nur knapp 200 Seiten hat, sollte das schon klappen.

    Du bist mit deinen Regeln strenger, als ich es selbst für meine literarische Weltreise bin, aber ich bin überzeugt, dass sich trotzdem was auf meinem SuB findet.


    Guy Helminger für Luxemburg, Domnica Radulescu für Rumänien und David Bezmozgis für Lettland würdest du vermutlich dann nicht genehmigen, wenn ich das richtig verstanden habe?


    Wären diese ok:
    Alessia Gazzola - Die Spur der Principessa (Italien)
    Nikos Kazantzakis - Alexis Sorbas (Griechenland)
    Ivo Andric - Die Brücke über die Drina (Bosnien und Herzegovina)
    Renata Šerelytė – Sterne der Eiszeit (Litauen)


    Welche davon ich anmelde, muss ich mir aber noch überlegen :winken:


    Ich hatte zum Beispiel ganz schön Angst, dass Alma nicht Roger, sondern Pheko und/oder Tembo erschießt. Das war, denke ich, auch so angelegt.


    Ich finde das sehr interessant, dass du und noch andere diesen Gedanken hatten, daran habe ich beim Lesen gar nicht gedacht.


    Noch etwas zur Textsorte: Eine Novelle ist das im deutschen Literaturverständnis nicht, da die Erzählung weder einsträngig ist noch ein echtes Dingsymbol besitzt, an dem sich ein Konflikt / eine dramatische Handlung entfaltet. Die beste Novelle, die ich je gelesen habe, ist "Bahnwärter Thiel" von Gerhart Hauptmann. Auch dort finden sich unglaublich schöne Naturbeschreibungen plus ebenso eindrückliche Figurenbeschreibungen!


    Danke dass du das hier nochmal erwähnst. Ich wollte die ganze Zeit schon nachschauen, wie eine Novelle genau definiert ist, weil ich das aus der Schule auch noch anders in Erinnerung hatte.

    Habt ihr euch eigentlich auch gefragt, was "Die Schatzinsel" im Buch uns sagen soll/will? Das Buch wird ja mehrfach erwähnt und scheint eine ganz besondere Bedeutung für Alma zu haben. Soll es eine Analogie sein zu Rogers und Luvos Schatzsuche?


    In "Die Schatzinsel" wird am Ende ja niemand glücklich, trotz dem Schatz und dem Reichtum, deshalb hätte ich hier eigentlich auch damit gerechnet, dass niemand durch den Fund des Gorgonops ein besseres Leben bekommt. Luvo blickt dem sicheren Tod ins Auge, kann sich aber noch einen schönen Lebensabend machen und Pheko und sein Sohn haben es ja auch ganz gut getroffen.


    Vielleicht habe ich da aber auch ein bisschen zu viel erwartet und Parallelen gesucht, weil ich "Die Schatzinsel" erst vor kurzem gelesen habe.


    Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Almas Versinken in Bedeutungs- und Erinnerungslosigkeit als gerechte Strafe dargestellt wurde, ich habe es einfach als Tatsachenschilderung hingenommen und als resigniertes Eingeständnis, dass man gegen Demenz leider machtlos ist.


    Genau so sehe ich es auch. Almas Schicksal steht ja schon zu Beginn des Buches fest. Dass die ganze teure Behandlung nicht wirklich helfen kann und ihre Krankheit immer weiter von ihr Besitz ergreift, sind der logische Lauf der Dinge. Eine Bestrafung habe ich darin auch nicht gesehen und würde ich auch nicht sehen wollen. Jeder von uns macht Fehler, hat gute und schlechte Seiten, eine Krankheit oder ein Schicksalsschlag sind aber doch nie eine Strafe dafür.


    Andererseits ist es mir einfach etwas zu knapp. Doerr vermag zwar, mit wenigen Worten viel auszusagen, aber mir wäre es lieber, wenn die Handlung noch ein bisschen mehr ausgeschmückt wäre. Aber gut, es ist eben eine Novelle und kein Roman. Dann kann ich das dem Autor nicht ankreiden ;)


    So ging es mir auch, mir ging vieles einfach zu schnell. Ich bin wirklich kein Fan von richtig dicken Büchern, aber diese 135 Seiten waren mir für die Geschichte einfach zu knapp.


    Ich frage mich dann aber, wie ein Autor entscheidet, ob er aus einer Idee jetzt einen Roman oder eine Novelle/Kurzgeschichte macht. Weil er nicht mehr zu erzählen hat oder weil er mehrere gute Ideen in einem Buch mit kürzeren Geschichten unterbringen will?