Hallo!
Wir hatten so schönes Wetter in Südbaden, dass ich doch erst spät dazu komme, über Hildegard zu schreiben. Ich bitte um Euer Verständnis.
Hildegard konnte wohl tatsächlich recht "scharf" werden, wie man ihren eigenen Briefwechseln entnehmen kann.
Ihre Verhaltensweise Seyfried gegenüber wurde ja zum Teil kritisch von Euch gesehen. Ich habe versucht, ihre vielen Sorgen und Mühen zu dieser Zeit mit zu berücksichtigen. Der Bau des Klosters fand unter vielen Spannungen statt, die eigenen Mitschwestern sollen wegen des schlechten Essens und der Armut geklagt haben und ständig kommen Menschen, die ihre Hilfe erbeten - und sie hat nicht die Mittel dazu. Von allen politischen - und kirchenpolitischen Sorgen zu schweigen. In späteren Jahren wird das alles anders aussehen.
Für mich ausschlaggebend, Hildegard so zu zeichnen, war die Tatsache, dass sie gerade ihre beste Freundin verloren hatte, Richardis von Stade. Als Leser bekommt man die Geschichte im zweiten Auftrag von Corinna, der verbliebenen Nonne auf dem Disibodenberg, erzählt. Dass Richardis Hildegard verlassen hat, hat Hildegard ins Mark getroffen. Wenn man bedenkt, wie es sich anfühlt, den liebsten Menschen im Streit zu verlieren, kann man ihre Verhaltensweise zur Romanhandlungszeit wohl besser nachvollziehen.
Mir war es natürlich sehr wichtig, Hildegard nicht nur hart zu zeichnen, sondern auch ihre Güte zu zeigen. Die zeigt sich oft zwischen den Zeilen, manchmal auch direkt, wenn sie etwa der jungen Mutter hilft, die ihr Kind nicht stillen kann. Und ich finde, dass man in den Dialogen zwischen ihr und Seyfried immer mehr herauslesen kann, dass sie seine Art schätzt. Es war mir wichtig, dass man sie mag. Oder besser ausgedrückt, es war mir wichtig, dass man sie im Laufe des Buches immer besser versteht und schließlich trotz der vorherigern Gefühle sympathisch findet.
Ich habe eine knappe Woche in der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim verbracht, dort alle Stundengebete mitgemacht und den klösterlichen Lebensrhythmus miterlebt. Ein Teil des Buches ist dort entstanden, in meiner Zelle mit dem Blick auf den im Tal dahinströmenden Rhein. Ich hatte mehrere Gespräche mit Nonnen über Hildegard und ihre Zeit. Ich habe Biografien gelesen, bin mit einer Spezialistin auf dem Disibodenberg ins Gespräch gekommen und habe mit die Reste der Kaiserpfalz angeschaut.
Es ist mir wichtig, dass die historischen Fakten stimmig sind. Darum habe ich Hildegard so gezeichnet, wie sie sich in ihren eigenen Briefen darstellt (wobei man bedenken muss, dass sie diese im Alter nach ihren Vorstellungen editieren ließ). Bis auf den allerletzten Brief an Seyfried sind alle Briefstücke, die im Buch vorkommen, belegt. Auch die Rezepte stammen von Hildegard. Die Forschung auch und selbst die Lieder, die im letzten Abschnitt eine Rolle spielen, gibt es wirklich. Ob Hildegard aber so war, wie ich sie beschreibe, oder ganz anders, kann ich natürlich nicht beurteilen. Letztlich ist sie eine Figur im Roman.
Barbarossa hatte übrigens wirklich zu der Zeit das Problem, dass seine Frau nicht schwanger wurde. Es war für ihn ein großes Problem, denn als König musste er "liefern". Ein Treffen Friedrichs mit Hildegard ist belegt (auch wenn viele denken, dass es eventuell später stattgefunden hat). Friedrich trennte sich übrigens später von seiner Frau. Beide bekamen mit ihren neuen Partnern Kinder. Mir gefiel es, dass Barbarossa mit Hildegard sprechen will, um in einer so delikaten Angelegenheit Rat zu bekommen. Man muss bedenken, dass man damals nicht einfach im Internet schauen könnte, welche Krankheit verantwortlich sein könnte, sondern dass man bei Sorgen und Schwierigkeiten Experten befragen musste. Als König sucht man den Rat des oder der Besten. Und das war eben Hildegard.
Herzliche Grüße,
Ralf