Also, ich kann mir nicht helfen, aber mir ist die Hildegard total unsympathisch.
Ja, die Hildegard... Ich hatte ziemlich großen Respekt davor, über sie zu schreiben. Ich habe mehrere Tage in der heutigen Abtei St. Hildegard in Rüdesheim verbracht, sozusagen bei Hildegards Nachfahrinnen und mich auch mit Nonnen über Hildegards Wesen unterhalten. Natürlich ist vieles Spekulation, aber es gibt auch Spuren. Zum einen in Hildegards Briefen. Darin tritt sie sehr bestimmt auf. Der Brief an Friedrich zum Besispiel, den sie im Prolog diktiert, ist belegt (wie alle Briefe, die im Buch vorkommen - oder besser wie fast alle). In ihren Briefen ist sie oft sehr direkt und nicht immer um Deeskalation bemüht. Allerdings, das möchte ich gleich dazusagen: Hildegard sammelte ihre Briefwechsel, ließ diese aber im Alter neu abschreiben und dabei editieren. Offenbar wollte sie auch ein bestimmtes Bild von sich der Nachwelt überliefern.
Ansonsten hat man bei Hildegard leicht die "Heilige" im Kopf und dabei das Bild einer fast sphärischen Frau voller Güte und Selbstaufgabe. Aber ich bin überzeugt, dass es etwas anderes braucht, um all das zu erreichen, was Hildegard geschafft hat. Eigentlich braucht man dafür drei Leben... Sie muss schon nach der Zeit in der Klause auf dem Disibodenberg sehr klar vor Augen gehabt haben, in welche Richtung sie gehen will. Ob ihr das Gott in einer Schau gezeigt hat oder nicht, sei dem Glauben eines jeden selbst überlassen.
Auf jeden Fall ist es ein für die Zeit fast unmögliches Unterfangen für eine Frau, ein Kloster zu verlassen (Disibodenberg) und ein neues aufzubauen. Vor allem hat sie ja die anderen Frauen mitgenommen. Dafür mussten sie Abt Kuno große - ich nenne es mal Ablösesummen - lassen. Schlechtes Essen und Ärger im Kloster sind die Folge, wenn man ständig Gelder akquiriert und die für Materialien und Arbeiter der Klosterbaustelle draufgehen. Die Gelder kommen zu einem großen Teil wiederum von den Familien ihrer Mitschwestern, so dass die Frauen aus den reichsten Häusern sicherlich auch Ansprüche stellen... Ihr seht, es wird auch in diesem kleinen Rahmen schnell politisch.
Ich bin gespannt, ob Euch Hildegard im Laufe des Buchs vielleicht doch noch etwas sypathischer wird. Vielleicht passiert aber auch das Gegenteil. Mal sehen...