Beiträge von Katia

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    Hochbetagt starb im Jahr 2002 Marion Gräfin Dönhoff - ein erfülltes und abwechslungsreiches Leben lag hinter ihr.
    Aufgewachsen ist sie im aristokratischen Milieu Ostpreußens, dort führte sie auch als promovierte Volkswirtin jahrelang eines der Güter der Familie. Im zweiten Weltkrieg waren einige ihrer Freunde und Bekannten Mitglieder der Widerstandsgruppe um Graf Stauffenberg: sie verlor nach dem 20. Juli einige ihr sehr nahe stehende Menschen. Nach dem Krieg und der Vertreibung begann ihr "bürgerliches'' zweites Leben bei der ZEIT, der Zeitung deren Gesicht sie jahrelang mitgeprägt hat, als Leiterin des Politikressorts, später auch als Chefredakteurin und schließlich als Herausgeberin.
    Ihr "drittes" Leben im Alter wird in Harrprechts Biographie nur auf wenigen Seiten umrissen, während die Zeit bis zu den 70er Jahren gut 500 Seiten umfasst. Nicht zuviel für eine solch ungewöhnliche Frau wie ''die Gräfin" (wie sie in der ZEIT-Redaktion genannt wurde) - welterfahren, weitgereist, belesen, politisch, moralisch. Harpprecht beschreibt die Menschen, die sie geprägt haben, ihre Umgebung, ihre (sich wandelnde) politische Einstellung, ihren Einsatz, damit ihre im Widerstand hingerichteten Weggefährten nicht in Vergessenheit geraten, für das deutsch-polnische Verhältnis, für Europa. Dabei bleibt der Autor doch stets kritisch, z.B. wenn es um die NS-Vergangenheit ihres Bruders Christoph geht und legt auch mal einen Finger auf einen wunden Punkt. Leider kenne ich die autobiographischen Gespräche, die Alice Schwarzer mit Marion Dönhoff führte nicht, so dass ich hier keinen Vergleich ziehen kann.


    Dreißig Fotos von Weggefährten und natürlich von Marion Dönhoff - vom Kinderbild bis zum sehr gelungenen Altersportrait - geben dem Leser auch einen visuellen Eindruck vom Leben der Gräfin zwischen Aristokratie und Zeitungsredaktion. Harpprecht hatte Zugang nicht nur zum ZEIT-Archiv, sondern auch zum Familienarchiv der Dönhoffs und konnte so viele Quellen erstmals einsehen. Leider enthält das Buch zwar Quellenangaben, aber da diese im Text nicht markiert sind, sondern lediglich nach Kapitel zusammengefasst aufgezählt werden, ist dem Leser die Zuordnung der Aussagen im Text zu den Quellen unnötig erschwert (und wenn man die Wikipedia schon zitieren will, sollte man das doch korrekt machen). Dafür erhält der Leser eine Biographie, die sich nicht nur angenehm flüssig lesen lässt, sondern aus der sich auch über das Leben der Dönhöff hinaus so manches interessante zeitgeschichtliche Detail ergibt. Der Leser, der Marion Dönhoffs autobiographische, politische und essayistische Schriften (schade übrigens, dass keine Bibliographie angefügt ist!) kennt, wird trotzdem in Harrprechts Buch viel Neues erfahren. Auch für Nicht-ZEIT-Leser eine Empfehlung das Leben dieser ganz besonderen Frau kennen zu lernen.


    4ratten


    Katia

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    Fünf Novellen von Daphne Du Maurier enthält dieser Band - titelgebend wurden zwei durch Verfilmungen bekannte: Die Vögel und Wenn die Gondeln Trauer tragen.


    Wer die beiden Filme kennt, hat schon einen guten Eindruck, welche Art von Horror Du Maurier schreibt: es sind Alltagsszenerien, die sich langsam zu albtraumhaften Szenarien aufschaukeln, mysteriös, häufig mit offenem Ende. Auch die drei anderen Geschichten machen da keine Ausnahme:
    Das Alibi handelt von einem gutsituierten Londoner, der sich bei einer ärmlichen alleinerziehenden Mutter einmietet mit dem Plan sie zu ermorden. Doch dann verfällt er einer Leidenschaft und schließlich steht die Polizei vor seiner Tür ...
    Die blauen Gläser werden Marda West nach einer OP eingesetzt, damit sie wieder sehen kann - doch sie sieht Dinge, die sie fast um den Verstand bringen.
    Die gespaltene Sekunde handelt von einer Frau, die ihr Haus nach einem kurzen Spaziergang völlig verändert vorfindet und nicht mal die Polizei glaubt ihr.
    Die Vögel hat außer dem Grundmotiv, den sinnlos angreifenden Vögeln, und einzelnen kleinen Szene wenig mit dem Hitchcock-Film gemeinsam. Beide auf ihre eigene Art bedrückend.
    Dagegen ist die Handlung von Wenn die Gondeln Trauer tragen in der Verfilmung fast beibehalten worden - lediglich die Story rund um die Kirchenrestauration und manche Anspielungen, kleinere Handlungselemente fehlen in der literarischen Vorlage.


    Daphne Du Mauriers Novellen haben mich in der Art wie Spannung geschaffen wird an die Raold Dahls erinnert - oft am Ende der Geschichte noch ein Dreh mit dem der Leser nicht gerechnet hat, Unheimliches ganz unterschwellig. Zwar konnte ich die Auflösung oft schon vorher ahnen, das tat dem Lesevergnügen aber wenig Abbruch. Nicht ganz ohne Grund sind die Verfilmungen bekannter, da sie teilweise vielschichtiger und anspielungsreicher sind - was die Novellen bei einer Länge von etwa 50 Seiten auch kaum sein können. Trotzdem empfehlenswert für Leser die sich auf eher unblutige Weise einen Schauer über den Rücken jagen wollen.


    Große Unterhaltungsliteratur!


    4ratten


    Katia

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    "Das Buch Bayern" heißt des Schriftsteller Jacques Tüverlins Buch, das er nach über 800 Seiten von Lion Feuchtwangers Roman beginnt zu schreiben. "Das Buch Bayern" könnte auch der Titel des Romans "Erfolg" sein; und ist es in gewisser Weise auch - ist doch Tüverlin in diesem Schlüsselroman das Alter Ego Feuchtwangers.
    Also in Bayern, genauer in München, spielt das voluminöse Werk - in den 20er Jahren als statt "Laptop und Lederhosen" noch Landwirtschaft und Gemütlichkeit angesagt war. Ein böser Blick ist es, den Feuchtwanger da auf die Stadt, in der er lange gelebt hat und ihre Menschen wirft - er seziert die schwierige Zeit der Inflation, des Hitler-Putsches (im Roman: Kutzner). Und insbesondere beschäftigt er sich mit der Gerechtigkeit und der Justiz.
    Martin Krüger ist die tragische Hauptperson, der Museumsdirektor, der ein unliebsames Bild aufgehängt hat und schließlich wegen angeblichen Meineids im Gefängnis landet - ein Prozess, der nur geführt wird, um den unangepassten Krüger aus seiner Postion zu enthaben. Spielball wird er nicht nur des Gerichts, sondern der großen und kleinen Politik. Johanna Krain, die Frau an seiner Seite, kämpft um ihn, spricht mit all den großen, einflussreichen Männern - immer wieder keimt Hoffnung auf, immer wieder wird sie enttäuscht.


    Eine Vielzahl von Charakteren begleitet der Leser durch die Seiten, manchmal (auch weil ich extrem langsam gelesen habe) fiel es mir schwer im Kopf zu behalten, wer nun für was einstand. Aber so gibt es auch eine Fülle kleiner und großer Nebenschauplätze, die sich um die Geschichte Johannas und Martins gruppiert, Politisches, Menschlisches. Die interessanteste für mich die um Rupert Kutzner (Adolf Hitler) und seine Partei der "Wahrhaften Deutschen".
    Feuchtwanger schreibt in einer ungewöhnlichen Sprache, die dem bayrischen Dialekt angelehnt ist - imitiert den Satzbau, baut ab und an Dialektbegriffe ein. Seine distanzierte Erzähl-Position, die wirkt als würde er nicht über seine Zeit, sondern eine vergangene schreibt, ist ebenso ungewöhnlich und interessant.
    Das Nachwort schlüsselt viele Personen auf die ich (bis auf Hitler und Karl Valentin) so nicht erkannt hatte, darunter die Schriftsteller Bert Brecht, Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer, sowie eine gute Handvoll "Großkopfiger" (Politiker).
    Bedrückend wie hellsichtig der Autor in den Zwanziger Jahren den aufkommenden Nationalsozialismus darstellt - ein Thema das im zweiten Teil der Wartesaal-Trilogie "Die Geschwister Oppermann" weiterverfolgt wird.


    4ratten und eine halbe


    Katia


    EDIT: Betreff angepasst. LG, Saltanah

    Dass es auch ein Buch von Beck Weathers gibt, wusste ich gar nicht, seine Sicht würde mich sehr interessieren. Dank für diesen Hinweis. Hier meine Rezi:


    Jon Krakauer ist US-amerikanischer Autor und leidenschaftlicher Bergsteiger. Als ihm die Zeitschrift "Outside" 1996 die Chance bot bei einer Everest-Expedition dabei zu sein und über die Kommerzialisierung zu berichten, konnte er dieser Möglichkeit selbst einmal auf dem höchsten Gipfel der Erde zu stehen, nicht widerstehen.
    "Adventure Consultants" nannte sich das Unternehmen des Neuseeländers Rob Scott - erfahrener und umsichtig planender Höhenbergsteiger, der zwei weitere Bergführer und ein Schar Sherpas engagiert hatte, um seine 8 zahlenden Kunden auf den Gipfel zu führen. Mehrere andere kommerzielle und nicht-kommerzielle, professionelle und weniger professionelle Gruppen sind in diesem Frühjahr 1996 an der "Göttin Mutter der Erde" unterwegs.
    Krakauer berichtet und analysiert die tragischen Geschehnisse genau - 12 Bergsteiger sollten diese Saison am höchsten Berg der Welt nicht überleben, darunter Rob Scott, sein Bergführer Andy Harris und zwei ihrer Kunden, sowie der Leiter der "Mountain Madness" Expedition Scott Fisher.


    Die tragischen Ereignisse am Everest 1996 werden bei den Größen der Szene (Messner, Kammerlander,..) in ihren Bücher immer wieder erwähnt. Ich habe einige dieser Werke gelesen und in Krakauers Buch erlebt man eine ganz anderes Welt: statt der "sauberen Besteigung", Alleingängen, schwierigen Routen, die bei den Profis die zentrale Rolle spielen, geht es hier darum möglichst vielen bezahlenden Kunden (65.000 $) den Gipfelgang zu ermöglichen. Scharen von Sherpas, Hunderte Sauerstoffflaschen, ein Satellitentelefon, das für die Millionärin Sandy Pittman auf 7900 Meter ins letzte Lager getragen wird - ein ganz andere Welt.
    Die Fülle der Menschen am Berg, die zu zeitraubenden Staus am Gipfeltag führten, der viel zu spät begonnene Abstieg vieler Teilnehmer und Führer, ein heftiger Sturm, wie er am Everest häufig aufkommt, führen in die Katastrophe.


    Zu sagen, dass ich das Buch gerne gelesen habe, wäre bei all der Tragik unangebracht. Dass es spannend ist, was dazu führte, dass ich es im Wesentlichen in einem Tag gelesen habe, ist bei der Thematik nahe liegend. Was es von anderer Bergsteigerliteratur unterscheidet ist, dass hier statt Kameradschaft (die auch stattfindet!), Egoismus, Kommerz, menschliche Schwächen dominieren. Krakauer versucht die auch für ihn sehr schwierig zu verarbeitenden Ereignisse detailgetreu darzustellen. Dass die nicht immer gelingen kann, Rätsel bleiben, liegt in der Natur der Sache: über 8000 Höhenmeter ist klares Denken nicht mehr möglich. Kontroversen begleiteten das Erscheinen des Buch, Bukrejew (Führer bei "Mountain Madness") schrieb eine Gegendarstellung. Trotzdem hatte ich beim Lesen den Eindruck, dass Krakauer versucht neutral zu bleiben, auch wenn er das Fehlverhalten mancher Teilnehmer heftig anprangert. Auch seine eigene Rolle als Journalist betrachtet er durchaus kritisch. Das er
    Eine menschliche Tragödie, deren Beurteilung uns, die wir uns nie in diesen extremen Höhen waren, wohl nicht zusteht. Ein bedrückendes Buch, ein spannendes, tragisches, das leider an den Verhältnissen an den Achttausendern dieser Welt wenig geändert hat.


    5ratten


    Katia

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    Archimedes, der in der Badewanne "Heureka" ruft, Newton, dem beim Fall eines Apfels die Gravitation klar wird, Schrödingers Katze, Einsteins E=mc^2, der Urknall und Schwarze Löcher - die beiden Autoren gehen Mythen und Legenden, die aus der Wissenschaft ins kollektive Bewusstsein gerückt sind auf den Grund. War Leonardo wirklich so außergewöhnlich genial, gibt es keinen Nobelpreis für Mathematik, weil Nobels Frau ein Verhältnis mit einem Mathematiker hatte? 22 solcher Fragestellungen werden auf leider immer nur etwa 10 Seiten abgehandelt, oder besser angerissen.
    Dass die beiden Autoren Franzosen sind, zeigt sich nicht nur in der Erwähnung mancher Wissenschafter, sondern mehr noch in der Art wie Kultur und Wissenschaft verstanden und beurteilt wird, gerade in Kapiteln wie "Fortschritt", die sich nicht mit einem einzelnen Mythos beschäftigen.


    Ich fand das Buch überraschend inhaltsleer - zwar werde in manchen Fällen tatsächlich Legenden beleuchtet, doch oft geht es mehr um andere Themen: es wird in knappester Form etwas Wissenschaftsgeschichte und -rezeption erzählt, es wird beleuchtet, was von der großen Wissenschaft bei den wissenschaftlichen Laien noch ankommt. Dass die Abschnitte so kurz und unzusammenhängend sind, lässt wenig Lesefluss aufkommen. Die Autoren verlieren sich in Philosophierereien, die vom eigentlichen Thema wegführen.
    Schade, denn die Idee des Buches als solche fand ich interessant, leider bliebt es so auf halben Weg zwischen den knappen Erklärungen der Kolumne "Stimmt's" aus der ZEIT und ausführlicheren populärwissenschaftlichen Werken hängen.


    2ratten


    Katia

    Ich fand ja auch América gut, so verwundert es nicht, dass ich mich auch für "Riven Rock" erwärmen kann.
    Hier meine Rezi:


    Riven Rock - ein Herrenhaus in Kalifornien, schick und modern ausgestatten, mit einem großen Park und .. Gittern an Fenstern. Es gehört Stanley McCormick, dem Erben eines steinreichen Mähmachinenfabrikanten, es ist sein Haus und sein Gefängnis.
    Boyles Roman hat drei große Teile, benannt nach den Ärzten, die Stanley behandeln: vom Erforscher der Sexualität der Affen Hamilton bis zum Freudianer Kempf. Stanley hat ein Problem mit Frauen, ein großes Problem, das erst richtig hervorbricht als er die schöne Katherine Dexter heiratet und ihn schließlich hinter die Mauern Riven Rocks befördert.
    Boyle hat in seinen Roman eine ganze Reihe an Protagonisten gepackt: natürlich das "Ehepaar" McCormick, Stanley mit seinem Bündel an Traumen, die Sufragette, Frauenrechtlerin und Wissenschaftlerin Katherine. Was macht eine solch starke früh emanzipierte Frau (der Roman spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts), wenn sie merkt, dass ihr großer, starker Märchenprinz seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommt, wenn sie ihn schließlich Jahre und Jahrzehnte nicht sehen darf?
    Unter den Pflegern hervorgehoben wird die Gestalt Eddie O'Kanes- er hat und kann all das, was Stanley so immense Probleme bereitet: er heiratet (zweimal), hat Liebschaften, lebt seine Triebe aus. Und träumt vom großen Geld, das ihm Stanley bei seiner Heilung geben wird, das er mit Orangenhainen in Kalifornien spielend vermehren wird. Unerfüllte Begierden, die ihn dem Alkohol auch in Zeiten der Prohibition immer mehr in die Arme treiben.
    Auch Eddie hat eine weibliche Gegenspielerin: die temperamentvolle Italienerin Giovanella, eine Frau, die weiß was sie will und wie sie es bekommt.


    Boyle ist ein witziger, nachdenklich stimmender, schön-trauriger Roman mit facettenreichen und vielschichtigen Charakteren gelungen. Er zeichnet gleichzeitig ein Bild Amerikas um die Jahrhundertwende bis in die Zwanziger-, Dreissigerjahre - die Entwicklung und Kontroverse um die Psychoanalyse spielt da eine große Rolle. Es ist kein ereignisreicher Roman, er wird getragen von vielen Rückblenden, die Stanleys und Katherines Leben bis zum endgültigen Zusammenbruch des Gatten erzählen. Geplatzte Träume ziehen sich durch die Seiten.
    Wie genau Boyle das Psychogramm eines geistig Kranken gelungen ist, kann ich aus fachlicher Sicht nicht beurteilen, es las sich für mich stimmig und ohne in Klischees abzurutschen. Boyletypisch gibt es ein paar skurrile "Schocksituationen" - ich denke da an die letzte Szene im ersten Teil: Stanley und der Affe.
    Wunderschöne sprachliche Bilder machen das Buch zu einem flott zu lesenden Vergnügen!


    4ratten (und eine halbe)


    Katia

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    Der argentinischen Essayisten, bibliophilen Globetrotter, Lektor und Literaturdozenten Alberto Manguel schreibt gerne über seine Leidenschaft. "Eine Geschichte des Lesens" erschien im Jahr 1998, noch vor seinem "Tagebuch eines Lesers" und "Bibliothek bei Nacht". Gerade wer letzteres Buch gelesen und geschätzt hat, wird auch mit diesem keinen Fehlkauf tätigen.
    Was uns zum ersten Minuspunkt bringt: das Buch ist im Moment vergriffen und daher nicht sehr preiswert zu erhalten. Die gute Nachricht: es wird im Herbst eine (ebenfalls nicht billige) Neuauflage geben, die als "große illustrierte Ausgabe" beworben wird, was in mir die Hoffnung weckt, die reichlichen Bilder könnten in dieser Ausgabe dann farbig sein - was den Genuss des Buchs sicher erhöht.
    Viel mehr Minuspunkte habe ich im Folgenden nicht mehr anzubringen - ich schätze den Autor, ich schätze diese Buch.


    Manguel hat nicht den Versuch unternommen eine chronologische Geschichte des Lesens zu schreiben. Zwar hält er in manchen der thematisch gegliederten Kapitel eine zeitliche Abfolge ein, meistens orientiert er sich aber an inhaltlichen Strukturen. Da gibt es Kapitel, die sich mit "Vorlesen" beschäftigen (naheliegend für den ehemaligen Vorleser Jorge Borges'), mit der äußerer Erscheinungsform des Buchs, wie sich Autoren und Übersetzer als Leser verhalten. Wie aus dieser zufälligen Auswahl ersichtlich: er bleibt nicht allzu eng an seinem Kerngegenstand, dem Lesen, sondern schweift gerne auch ins nahe Umfeld ab. So füllt er über 400 Seiten, die genaue Quellenangaben mit persönlichen Eindrücken verbinden. Seine Betonung liegt so weit möglich auf einzelnen Menschen statt auf Verallgemeinerungen - ein anekdotenreiches Buch, das an manchen Stellen etwas unstrukturiert wirken mag, dafür aber umso lebendiger ist. Bilder, Portraits, Bücher, Gegenstände, die im Text erwähnt sind, werden auch abgebildet und ergeben so ein abgerundetes Buch, dessen breiter Rand einlädt eigene Beobachtung einzutragen.
    Ein Buch zum Durchlesen, zum Nachschlagen (leider nur ein Personenregister), zum Wiederlesen. Ein Buch eines leidenschaftlichen Leser für leidenschaftliche Leser.

    5ratten


    Katia

    [size=16pt]John Allen Paulos: Das einzig Gewisse ist das Ungewisse : Streifzüge durch die unberechenbare Welt der Mathematik[/size]
    OT: A Mathematician plays the stock market

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    Was passiert, wenn ein Mathematiker sich in eine Aktie verliebt? In eine Aktie wie worldcom, die erst einen Hype auslöst und dann kontinuierlich im Kurs fällt und nach etlichen aufgedeckten Skandalen von der Börse verschwindet? Erstmal dasselbe wie jedem anderen: Er verliert jede Menge Geld. Doch dann kommt er auf eine geniale Idee. Warum nicht ein Buch über seine Erlebnisse schreiben und darüber, warum alle Mathematik der Welt keinen Gewinn an der Börse garantiert?
    Paulos, Mathematikprofessor und Autor mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher, erklärt die Welt der Aktienanalysten und Kursprognosen, der Portfoliomanager und der Kleinanleger. Ohne viele Formel, auf elementarem und wenig tiefschürfendem Niveau erläutert er wahrscheinlichkeitstheoretische Grundlagen, reißt die verschiedenen Theorien an. Eine erschöpfendere Behandlung hätte den Rahmen des Buch sicher gesprengt. Stattdessen baut er an vielen Stellen bekannte und weniger bekannte mathematische Spielereien wie das Gefangendilemma ein.
    Neben der Mathematik legt er einen zweiten Schwerpunkt: die Psychologie und der Zusammenprall der Theorie mit der börsianischen Praxis.
    So kommt das Buch zu der eher ernüchternden Erkenntnis, dass alle Theorie grau ist und die Kurse von morgen uns fast genauso verborgen bleiben, wie die Lottozahlen vom nächsten Samstag.


    Ich hatte das Buch im Internet bestellt und war mir nicht darüber klar, dass es ausschließlich um Aktien geht (danke an die Übersetzung des Titels an dieser Stelle :rollen:) Die erste Enttäuschung (die Börse interessiert mich wenig) legte sich aber schnell, da Paulos ein flott zu lesendes, persönliches und kritisches Buch gelungen ist. Zwar könnte der Aufbau durchdachter sein, aber die selbstironische Note macht vieles wieder wett. Die üblichen Vorwürfe an populärwissenschaftliche mathematische Literatur treffen auch hier zu: Übersetzungsfehler und schlechter Formelsatz (wann lernen Verlage eigentlich mal, dass ein Kreuz kein Malzeichen ist?!?), davon lasse ich mir die Lektüre schon lange nicht mehr verderben. Mich hat das Buch nicht angeregt, mich mit der Materie näher zu beschäftigen, obwohl die Themen im Buch oft nur angerissen werden. Das liegt zum Teil daran, dass mich wie gesagt Aktiengeschäften nicht interessieren (wofür der Autor nichts kann), zum anderen daran, dass mich Paulos in meiner Meinung bestätigt hat, dass die meisten Theorien und Methoden mit denen Kurse prognostiziert und Optionspreise berechnet werden, zwar auf teils netten Ideen beruhen - im täglichen Leben aber hart mit der Realität kollidieren, die sehr stark von psychologischen Faktoren beeinflusst wird.


    Reich wird nach der Lektüre dieses Buchs niemand werden, zumindest nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit als vorher :zwinker: Wahrscheinlich aber wird er sich beim Lesen amüsieren und Interessantes erfahren.


    3ratten:marypipeshalbeprivatmaus:


    Katia

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    Noch einmal lässt Begley Schmidtie Held eines Romans sein. Wir treffen ihn mit der jungen Carrie und seinen alten Problemen an seiner Seite wieder.
    Mit dem reichen, jüdischen, undurchsichtigen Ägypter Michael Mansour führt Begley nur eine neue Person in den zweiten Band der Geschichte um den ehemaligen New Yorker Anwalt Albert Schmidt ein. Mansour scheint sich in jeden Belang von Schmidts Leben zu mischen und beginnt Carrie zu umgarnen.
    Schmidt verwöhnt die junge Frau und unterstützt sie nach Kräften, so dass aus der Kellnerin eine Collegestudentin mit flottem Cabrio geworden ist. Schmidt und der Leser hegen schon früh Zweifel, ob diese Liebe mit einem Altersunterschied von 40 Jahren von Dauer sein kann.
    Auch Tochter Charlotte spielt wieder eine zentrale Rolle - nachdem Jon sie betrogen hat aus der Kanzlei geflogen ist, hat sie sich getrennt und will sich mit ihrem neuen Partner selbstständig machen. Das Geld dafür soll natürlich mal wieder von Papa kommen.


    Begley erzählt vom Altwerden und Jungsein, von der Schwierigkeit zwischenmenschlicher Kommunikation. Schmidt selbst kämpft um sein neues weniger einsames Leben, um die Liebe zu seiner Tochter und zu Carrie. Unmerklich wird die Sympathie des Lesers immer mehr auf Schmidts Seite gezogen, vielleicht auch, weil wieder konsequent aus Schmidts Perspektive erzählt wird. Gutmütig-brummelig rückt er seine Millionen raus, lässt sich von Carrie auf der Nase herumtanzen, urteilt im Kopf scharf über seine Umgebung, ohne dies laut zu äußern. Läd in Mansour zum Essen ein, steht er brav auf der Platte.
    Zwar spielt der Roman im selben Milieu wie schon "Schmidt", doch diesmal spielt die New Yorker Society eine weniger bedeutende Rolle, es geht noch mehr um zwischenmenschliches, auch wenn dabei öfter Geld zum Streitfall wird. Zentral ist der Vater-Tochter-Konflikt, der in Schmidts Verhältnis zu Carrie karikiert und reflektiert wird.


    Wie so häufig bei einem zweiten Band erübrigt sich auch hier fast eine Empfehlung: ohne den ersten Band fehlt die Grundlage, wer ihn gelesen hat, weiß was auf ihn zukommt.


    Glauben wir Begley, dass Schmidt sich mit Kätzchen und Stiftung zur Ruhe setzt oder hoffen wir auf einen dritten Band? Eine Käuferin hätte Mr. Begley jedenfalls schon :smile:


    4ratten


    Katia

    Vladimir Nabokov: Durchsichtige Dinge (Transparent Things)

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    Nabokovs kleiner Roman "Durchsichtige Dinge" erschien 1972, der Autor war weltberühmt, schon über 70 und lebte seit über 10 Jahren in Montreux in einem Hotelappartement. Vieles dieses Lebensumfelds spiegelt sich in diesem Werk wieder:


    Hauptperson ist Hugh Person, eine farblose Gestalt, die von ihrer Umwelt so wenig wahrgenommen wird, wie sein Nachname befürchten lässt. Unsportlich, fast impotent, begabt, aber nicht erfolgreich: statt Dichter zu sein, arbeitet er als Lektor und korrigiert die Romane des (in der Schweiz lebenden) Schriftstellers R. Aus einer ungewöhnlichen Perspektive erzählt werden die vier Schweizreisen von Person, die er im Alter zwischen 22 und 40 machte: die erste, auf der sein Vater stirbt, die zweite, auf der er die kaltherzige Armande kennenlernt und sich verliebt, die dritte mit ihr zusammen, die vierte auf ihren Spuren. Doch die Suche nach der Vergangenheit schlägt ebenso fehl wie die Ehe mit Armande.


    Etliche Motive ziehen sich durch die Kapitel, alle haben mit dem Tod zu tun: Hotelbrände, Stürze aus dem Fenster und die "durchsichtigen Dinge". Vielerlei Anspielungen auf die weitere Handlung erschließen sich teilweise wohl erst beim zweiten Lesen - bei mir wird dieser Reread auf Englisch stattfinden, auch um all die Wortspiele mit "Person" noch besser genießen zu können. (Im Deutschen unterscheidet sich "unsere Person" von "unser Person", während im Englischen beides "our person" ist).


    Der Tod ist, wie bereits angedeutet, eines der Hauptmotive (tatsächlich überleben kaum welche der Figuren die letzte Seite), es geht um Vorbestimmung und Schicksal, auch um Träume und Sehnsüchte - Nabokov erweist sich hier einmal mehr als Verächter der Freudschen Theorien.


    Es ist ein grauer, trauriger Roman, dabei aber doch voll sprachlicher Perlen - ich habe ihn wirklich gerne gelesen. Aufmerksamkeit ist notwenig, um die Ebenen, Anspielungen etc. zu erfassen und wie immer verpasse ich davon wahrscheinlich 90% und hole ein bisschen durch das Nachwort und die Beschreibung des Buchs in Boyd's wunderbarer Nabokov-Biographie nach.


    Wer nach dem heiteren "Pnin" eine andere Seite Nabokovs kennenlernen will, dem sei dieser Roman ans Herz gelegt. Allen anderen natürlich auch!


    5ratten


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    Katia


    Das mit der E-Mail könnte ich mir durchaus vorstellen.
    Innerhalb der Wissenschaftlergemeinde könnte das durchaus schon etabliert gewesen sein.
    -> Link


    Ja, die Wikipedia habe ich auch nachgeblättert: die erste Mail in Deutschland wurde gerade in diesem Jahr empfangen. Natürlich waren die Unis unter den ersten, die Mails benutzt haben. Algebraiker sind aber nicht wirklich die technisch-affinsten Menschen die an Unis so rumlaufen und ich kenne etliche reine Mathematiker, die noch in den 2000er Jahren ihre Emails von den Sekretärinnen ausgedruckt auf den Schreibtisch gelegt bekommen haben, weil sie nicht mal einen Rechner auf selbigem stehen haben/hatten. Von einem weltumspannenden WWW war man noch Meilen entfernt. Wie gesagt: ich habe meine schweren Zweifel.


    Aber egal: an so Kleinigkeiten habe ich mich nicht wirklich ernsthaft gestört, dazu liest sich das Buch viel zu vergnüglich.


    Katia

    Link repariert. ISBN habe ich absichtlich nicht eingebaut, weil ich zwei Cover in einer Rezi unübersichtlich fand. Wobei ich den fast störendsten fand, dass Singh schreibt, nach Freys Vortrag 1984 hätte alle auf die entscheidende EMAIL gewartet. 1984? E-Mails? Reine Mathematiker? Das kann ich mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen.


    Das Poincare-Buch (stand in einer amazon-Rezension) ist wohl schlecht übersetzt, daher werde ich es auf englisch lesen.

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    Singh, Physiker und Wissenschaftsjournalist, versucht, was schon viele vor und nach ihm versucht haben: eine populärwissenschaftliche Darstellung über Mathematik. Ein schwieriges Unterfangen, das er - im Gegensatz zu den meisten anderen - überaus erfolgreich meistert, unter anderem auch wenn man die Verkaufszahlen als Maßstab nimmt.


    Die Fermatsche Vermutung aus dem 17 Jahrhundert und ihr Beweis Anfang der 90er Jahre durch Andrew Wiles ist sein Thema. So einfach das Problem zu verstehen ist, so schwierig und lang ist sein Beweis - Singh unternimmt keinen ernsthaften Versuch ihn zu erklären. Gut so, denn ein solches Unterfangen wäre sicher zum Scheitern verurteilt. Stattdessen erzählt er Geschichten: Fermats und Wiles natürlich, aber auch die vieler Mathematiker der dazwischen liegenden drei Jahrhunderte, die zum Beweis beitrugen und/oder an ihm scheiterten. Menschlich Tragisches, Heiteres, Skurriles, von einem echten Duell und einem fiktiven Triell. Da dürfen natürlich auch Pythagoras, ein kleiner Ausflug zu Cantor, Hilbert, Gödel und Gauß nicht fehlen.
    Das Ganze erzählt im Plauderton, spannend zu lesen, praktisch ohne Formeln, die wenigen Beweise dezent in den Anhang gepackt, um auch ja niemanden zu erschrecken.


    Singh hat einen guten, bei Erscheinen hoch aktuellen Stoff gewählt - geheimnisvoll beginnend mit Fermats berühmter Randbemerkung, endend mit Wiles, der sich sieben Jahre lang auf den Dachboden begibt, um dort an diesem einen Beweis zu arbeiten - und ein weiteres Jahr, um die gefundene Lücke zu schließen. Der Autor hat aber auch den Anspruch, dem Leser zu erklären, wie moderne Mathematik funktioniert.
    Über die für solche Art Sachbuch üblichen kleineren mathematischen Unsauberkeiten kann ich locker hinwegsehen, denn Singh erzählt eine spannende Geschichte, unterhält gut. Dass er dabei die Bedeutung des Satzes, auch seiner Teile (Taniyama-Shimura-Vermutung) für die Mathematik als Ganzes übertreibt, auch die Entwicklungen der Mathematik des 20. Jahrhunderts zu sehr aus diesem Blickwinkel schildert, ist schade, aber nicht wirklich störend.
    Aber genug der Kritik: das Buch hat mir wirklich Spaß gemacht und ich denke und hoffe, dass es auch Nicht-Mathematikern Spaß machen wird. Über weite Strecken liest es sich eher romanhaft, mathematisches Vorwissen ist nicht nötig. Ein ansprechendes Literaturverzeichnis rundet den Band ab und bietet vertiefte Lektürehinweise sowohl im populären als auch im wissenschaftlichen Bereich.


    4ratten und ein halbes Zusatzrättchen


    Katia


    P.S. Und wer noch nicht genug hat, kann mit der erst 2003 bewiesenen Poincare-Vermutung gleich weiter machen. Die englische Ausgabe steht schon auf meinem Wunschzettel.

    Ich hab' das Buch auch geschenkt bekommen, von meinem leicht biblioman veranlagten Vater (mit Kuriositätenkabinett "alte Reiseführer über Italien") - eine Leidenschaft, die sich bei mir mindestens verdoppelt hat und wenn das in der Erbfolge so weitergeht, sehe ich für meine eventuellen Kinder mal schwarz :zwinker:
    Hier meine Eindrücke:


    Anne Fadiman entstammt einer bibliomanen, belesenen, schriftstellernden, in Speisekarten Rechtschreibfehler findenden Familie und hat mit ihrem Mann eine eben solche gegründet. Mit "Ex Libris" legt sie eine Essaysammlung vor, die all diesen Leidenschaften Rechnung trägt.
    In knapp 20 Kapiteln schildert sie verschiedene, meist sehr persönliche Aspekte der Bibliomanie. Da geht es unter anderem um die Vereinigung ihrer Bücher mit denen ihres Mannes - erst 5 Jahre nach der Eheschließung vollzogen. Oder um den Umgang mit Büchern - im Hause Fadiman/Colt werden Bücher "fleischlich geliebt", d.h. sie sind eselsohrige Gebrauchsgegenstände und Oktavbände dienen schon mal als Bauklötze. Platonische Liebhaber, d.h. Bibliophile, die das Buch als Gegenstand schätzen und für seine Unversehrtheit sorgen, finden von ihr wenig Verständnis: " Womit behelfen Sie sich, wenn sie Keile, Türstopper, Gewichte beim Kleben und Beschwerer für Läuferzipfel benötigen?" Ihr kommt es auf den Inhalt, das Leseerlebnis an, so beschreibt sie auch ausführlich die Wollust des Lesens am Ort der Handlung und des lauten Vorlesens.
    Der kleine Band schließt mit Lektüreempfehlungen, die aber leider fast unkommentiert und somit weniger hilfreich sind als sie sein könnten.


    Fadimans Buch ist ein sehr persönliches: sie, ihre Eltern, ihr Mann, ihre Kinder spielen eine zentrale Rolle. Liebenswert, skurril, aber auch ein bisschen überheblich. Die Essays sind ursprünglich in einer Zeitschrift erschienen ("Civilization" der Library of Congress) und wurden für die Buchausgabe überarbeitet. Naturgemäß haben mich nicht alle gleichermaßen angesprochen - aber ich habe es an jeder Stelle gerne gelesen, besonders weil der Umgang der Familie Fadiman mit Büchern sich von meinem doch stark unterscheidet. Und doch findet man sich als Leser oft und gerne in ihren Worten wieder.
    Leider ist die Übersetzung nicht an jeder Stelle gelungen (Polarbär!), auch im zugegeben fast nicht zu übersetzenden Kapitel über die Anrede "Ms." und andere "feministische Sprachänderungen".


    Für Buchliebhaber, sei es körperliche oder platonische, eine vergnügliche Lektüre und ein weiterer Band in einem meiner im Aufbau befindlichen "Kuriositätensammlungen" (wie Fadiman sie nennt): den Büchern über Bücher, Bibliotheken und das Lesen.


    4ratten


    Katia


    Alejo Carpentier: Explosion in der Kathedrale


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    Er sei "Bäcker, Kaufmann, Freimaurer, Antifreimaurer, Jakobiner, militärischer Held, Rebell, Gefangener, Losgesprochener von Gnaden derer, die den töteten, der mich groß machte, Agent des Direktoriums, Agent des Konsulats ...." gewesen, sagt Victor Hugues auf den letzten Seiten von Carpentiers Roman und umreißt damit seine reichhaltige Handlung.
    Hugues ist eine historische Person, ein Teil der Geschichte der französischen Revolution, der meist nicht beachtet wird, weil er so weit von Europa spielt: Die Revolution in der Karibik und den französischen Übersee-Departements Guadeloupe und Guyana.
    Carpentier verflicht Hugues Lebensgeschichte mit dem Schicksal von drei Kubanern: den im jugendlichen Alter verwaisten Geschwistern Sofia und Carlos und deren Cousin Esteban.
    Eine Abends klopft es an die Tür und Victor betritt das Haus in dem die drei ein freies, unkonventionelles und unsicheres Leben geführt haben und wird es für immer verändern.
    Esteban - geheilt vom Asthma der Kindheit - folgt Victor ins revolutionäre Frankreich und kehrt als Übersetzer mit ihm und einer Guillotine in die Karibik zurück, um die französische Revolution und die Sklavenbefreiung nach Guadeloupe zu bringen.
    Doch wie auch die Geschichte in Frankreich, so wendet sich in der Karibik das Blatt zwischen Revolutionären und Reaktionären hin und her, Victor immer mittendrin.


    Carpentier erzählt in metaphernreicher und farbenfroher Sprache. alleine die erste Szene - die auf dem Schiff fast als Galionsfigur reisende Guillotine - ist furios und beeindruckend in ihrer Wort- und Symbolgewalt.
    Leider habe ich unter dieser fast überbordenden Sprache manchmal den Handlungsfaden verloren - die politischen Verhältnisse kippen hin und her, die geographischen Verhältnisse sind mir wenig vertraut, das machte es mir manchmal etwas schwer. Andrerseits entspricht dies auch dem Gefühl der Personen (gerade Esteban), die oft auch nicht mehr wissen, woran sie nun glauben (Titel!) und für was und ob sie kämpfen sollen.
    Mit den Geschwistern und Esteban baut Carpentier eine "menschliche" Komponente gegen den Emissär Hugues, der unter der Einsamkeit des politischen Führers, der Entscheiders über Leben und Tod leidet. Bedrückend ist immer wieder, wie die Menschen ihr "Fähnlein nach dem Wind" hängen, mal für, mal gegen die Sklaverei sind, Menschen verfolgen, verachten, die gerade eben noch bewunderte Vordenker waren. So gesehen ist die Revolution in der Karibik nicht viel anders als in Paris verlaufen, nur mit zeitlicher Verzögerung.


    Carpentier ist Kubaner, so dass sich sein Roman auch als Kritik am Sozialismus lesen lässt, allerdings habe ich diesem Aspekt nicht viel Beachtung geschenkt. Zu sehr hat mich die damalige Situation, das Schicksal Sofias, Estebans, Carlos und Victors interessiert.
    Ich habe Vieles gefunden, was mich fesselte: eine reiche Sprache, karibisches Lebensgefühl, geschichtliche Hintergründe, Persönlichkeiten, über die sich nachzudenken lohnt.
    In diesem Sinne geben ich dem Roman
    4ratten:marypipeshalbeprivatmaus:
    und gebe zu, dass die fehlende halbe Ratte eher meiner Konzentrationsfähigkeit als Carpentiers Erzählkunst geschuldet ist.


    Katia

    [size=16pt]Saul K. Padover - Lügendetektor : Vernehmungen im besiegten Deutschland 1944/45[/size]

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    Saul Padover gehörte in den letzten Kriegsmonaten zur Abteilung für "Psychologische Kriegsführung" der US-Army. Seine Aufgabe war es in den bereits besetzten Gebieten, Ende 1944 zunächst in den linksrheinischen Gebieten, Deutsche zu befragen - vom Bauer, Arbeiter zum Bürgermeister und Bischof. Er will herauszufinden, was sie denken und fühlen, über den Krieg, seinen Beginn, sein Ende, über Hitler, warum oder warum nicht sie in der NSDAP waren, warum sie keinen Widerstand geleistet, keine Sabotageakte durchgeführt hätten.


    Er trifft dabei auf einige fanatische Nazis oder Deutschnationale, auf mehr Mitläufer und Nutznießer (oft im wirtschaftlichen Sinne), er sucht gezielt nach Kommunisten und Sozialdemokraten. Immer wieder stellt er die Frage, was die Deutschen selbst glauben, was die Siegermächte aus dem Nachkriegsdeutschland machen sollen und erhält erschreckend pessimistische Antworten. An die Errichtung einer funktionierenden Demokartie konnte zu diesem Zeitpunkt wohl noch niemand glauben.


    Über die KZs und den Holocaust haben die meisten ansatzweise bescheid gewusst, leugnen aber jede Mitverantwortung, da sie selbst nicht daran beteiligt gewesen seien und es ja Befehle von oben gewesen wären. Diese Autoritätshörigkeit wird von Padover zu recht immer wieder angeprangert - er bemerkt aber nicht, dass solche Wesenszüge auch in der Army durchaus verbreitet sind und nicht unbedingt nur typisch deutsch zu nennen sind.
    Einen Höhepunkt im traurigen Sinne stellt sein Besuch im gerade befreiten KZ Buchenwald dar - ein Besuch, der ihn so tief schockiert, dass er kurz darauf Deutschland verlässt.


    Ein weiterer bereits angedeuteter Schwerpunkt ist die politische Zukunft Deutschlands, dabei eruiert er nicht nur die großen Fragen (welche Staatsform, Teilung, linksrheinische Gebiete abspalten?), sondern begibt sich auf die Suche nach geeigneten Bürgermeistern und anderen Personen, die das öffentliche Leben steuern können.


    Padovers Bericht geht auf die einzelnen Personen, die er befragt oft nur in wenigen Zeilen bis zu wenigen Seiten ein. Diese kleinteilige Art macht es dem Leser nicht immer leicht, hilft aber ein umfassendes Bild zu bekommen. Vorurteilsfrei ist der Autor natürlich nicht, gerade am Anfang tritt er mit einer moralisch überlegenen Befreiermentalität auf, neigt zu unfairen Pauschalisierungen. Im Laufe des Buchs geht das zurück.


    Wer sich für die Menschen im Naziregime, für den Krieg und sein Ende interessiert, wird in diesem Buch eine Sichtweise finden, die zumindest ich so noch nicht gelesen habe. In diesem Sinne von mir eine Empfehlung für dieses wichtige Buch.


    Anzumerken bleibt vielleicht, dass ein "Lügendetektor" keinen Einsatz bei den Vernehmungen findet.


    Ich möchte keine Ratten vergeben, es erscheint mir bei diesem Buch irgendwie unpassend.


    Katia

    Mir ging es mit "Sly" ähnlich wie Euch und ich würde ihm 3ratten geben. Um ehrlich zu sein: ich habe fast keine Erinnerungen an das Buch, nur dass ich es von allen Yoshimotos, die ich gelesen habe, am wenigsten mochte. "Amrita", "Kitchen" und "Dornröschenschlaf" haben mich damals sehr begeistert, mit "Sly" kam ein Einbruch von dem ich mich noch nicht erholt habe und ich lese Yoshimoto nur mehr selten - irgendwie geben mir die Bücher nicht mehr so viel wie anfangs.
    Ob das daran liegt, dass sich Bananas Art zu schreiben oder ihre Themen abnutzen, oder einfach nur an mir, kann ich nicht beurteilen.


    Katia