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Ich habe „Emma“ gerade beendet und muss mir gleich einmal Luft machen.
Natürlich, es ist wieder wundervoll geschrieben (ist ja von Jane Austen), es strotzt wieder so vor feinen Beobachtungen (war ja nicht anders zu erwarten), die Romantik kommt nicht zu kurz, alles serviert mit Humor und Ironie, und gratis dazu gibt’s Mr. Knightley (*mitschmacht*) und einen Crashkurs im alltäglichen Leben der englischen High Society vor 200 Jahren. Eigentlich also eine lange Reihe von Pluspunkten.
ABER!
Lange (wohl das halbe Buch lang) habe ich mich gefragt, worauf Jane Austen überhaupt hinaus will – also, was eigentlich die Aussage des Ganzen sein soll, denn den Handlungsverlauf errät man doch recht schnell. Einerseits verliefen mir die Ereignisse zu zäh, andererseits musste ich mich maßlos über Emma ärgern – so eine extrem oberflächliche Person, da stellen sich einem ja die Haare auf!
Ich fand Emma auch sympathisch und irgendwie auch liebenswürdig. Eingebildet, ja. Sie hat sich maßlos überschätzt, aber hinter ihrem Handeln stand kein böser Wille, sondern ein guter. Sie wollte helfen und den Menschen ein möglichst glückliches Leben bescheren. Allerdings war sie zu übermütig und naiv, um einzusehen, dass sie es nicht konnte. Aber trotzdem wollte sie was Gutes tun.
Einspruch. Dass „Gutes zu tun“ Emmas Hauptmotivation ist, glaube ich überhaupt nicht, zumindest nicht in der ersten Hälfte. In erster Linie ist sie doch ein verwöhntes, gelangweiltes Töchterchen aus gutem Hause, das nichts zu tun hat (eine Tatsache, die mich übrigens an der ganzen porträtierten Gesellschaftsschicht aufregt, aber das steht auf einem anderen Blatt) und sich darum Beschäftigung sucht. Das Kuppeln ist für sie doch bloß ein Spiel in ihrem nutzlosen Dasein, ein Sport gegen die Fadesse, und die beteiligten Menschen (speziell Harriet) erfüllen nicht viel mehr als die Funktion von Spielfiguren. Bestenfalls betrachtet Emma sie noch mit der gleichen Zuneigung wie Haustiere.
Wobei ich das „nutzlos“ relativieren muss. Mit welcher Liebe und Fürsorglichkeit sich Emma um ihren (ziemlich anstrengenden) Vater kümmert, ist sehr rührend und zeigt, dass ihr Charakter so schlecht nicht sein kann. Teilweise hatte ich richtig Mitleid mit ihr, weil ihr alter Herr sie so in Anspruch nimmt und gar nicht daran zu denken scheint, dass ein junges Mädchen eigentlich nicht sein ganzes Leben darauf ausrichten sollte, dass ihr Vater möglichst vom Aufstehen bis zum Schlafengehen Gesellschaft hat. Emma organisiert ihm ja sogar Besuche, wenn sie nur mal für eine Stunde außer Haus gehen will, das fand ich schon krass.
Etwa bei der Hälfte kommt mit Mrs. Elton dann eine neue Figur ins Spiel, und zwar eine so unausstehliche, dass Emma neben ihr wie ein liebenswürdiges Englein wirkt. Zugleich scheint sie (Emma) aber tatsächlich eine gewisse Charakterentwicklung durchzumachen und sich in einem (langsamen ) Reifeprozess zu befinden.
Ab hier ging es mit meinem Lesegenuss steil bergauf. Die Geschichte nahm Fahrt auf, man kannte die Charaktere schon gut genug, um mitverfolgen zu können, wer sich wie veränderte – kurz, es war ein Riesenspaß und ich war schon so gut wie versöhnt!
Und dann, wenige Seiten vor Schluss, dieser eine Absatz über Harriets Schicksal, der für mich wieder alles zunichte machte. :sauer:
Ich bin ja innerlich schon ziemlich am Anfang des Buches in die Luft gegangen, als Harriet Emma von Robert Martin vorschwärmt und eines von Emmas Argumenten gegen ihn ist, dass sie und Harriet sich dann nicht mehr sehen könnten – weil Emma sich „natürlich“ niemals dazu herablassen könnte, sie in Abbey Mill zu besuchen! (Ich krieg jetzt schon wieder die Krätze, wenn ich mich an die Stelle erinnere.)
Im weiteren Verlauf des Buches schien sich Emma dann charakterlich sehr zu verbessern, und als sich in den letzten Kapiteln alle Paare finden, schien ein perfektes Happy End bevorzustehen.
Und dann – Zack! – heißt es plötzlich (sinngemäß): durch all ihre Verpflichtungen der Familie Martin gegenüber hatte Harriet in den letzten Wochen viel seltener Zeit, um nach Hartfield zu kommen – und das ist ja auch gut so, weil der Kontakt zwischen Emma und Harriet ja in Zukunft SELBSTVERSTÄNDLICH nicht mehr so innig sein könne wie bisher, und da sei es nur wünschenswert, dass jetzt schon alles schön langsam seinen natürlichen Gang gehe.
Ich habe die Stelle zwei Mal gelesen, weil ich gehofft hatte, sie bezieht sich auf irgendetwas anderes (z.B. darauf, dass Ehefrauen eben nicht mehr so zeitintensive Freundschaften pflegen können – auch keine tolle Aussage, aber immerhin noch besser). Aber nein – es kommt ziemlich deutlich heraus, dass tatsächlich der Standesunterschied gemeint ist: ein so vornehmes Paar wie Mr. Knightley und Emma könne unter keinen Umständen mit so einfachen Leute wie den Martins verkehren.
Das macht für mich wirklich die ganze Entwicklung zunichte, die ich Emma angedichtet hatte, und mindert sogar meine Meinung über Mr. Knightley ein bisschen.
Natürlich ist mir klar, dass das damals „halt so war“ – aber ich hätte mir so sehr gewünscht, dass Jane Austen ihren Zeitgenossen eben nicht nur einen blanken Spiegel vorhält, sondern ihnen vielleicht sogar ein bisschen die Augen öffnet. Oder kann es sein, dass sie es bei all ihrem Intellekt trotzdem selber nie in Frage gestellt hat, dass es unterschiedliche angeborene Menschenklassen gibt? *seufz*
So, jetzt geht’s mir besser und ich kann für all die anderen Vorzüge des Buches trotzdem meine dreieinhalb Ratten vergeben (ohne diesen schlechten Nachgeschmack wären es vier geworden).
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