So, hier mal meine Meinung zum Buch:
Miss Temple, von ihrem Verlobten sitzengelassen, spioniert diesem hinterher, um den Grund für die Lösung ihrer Verlobung herauszufinden. Abenteuerlustig folgt sie ihm nach Harschmort Manor, ein Herrschaftshaus auf dem Lande.
Kardinal Chang, Auftragskiller, wird beauftragt, eine geheimnisvolle junge Frau ausfindig zu machen. Gleichzeitig macht ihm allerdings ein verpatzter Auftrag Sorgen. Sein Opfer starb zwar während eines Festes auf Harschmort Manor, jedoch nicht durch seine Hand.
Dr. Svenson, Stabsarzt einer mecklenburgischen Abordnung, ist auf der Suche nach seinem Prinzen. Dieser soll mit der Tochter eines einflussreichen Industriellen verheiratet werden. Bereits während eines Festes anlässlich der Verlobung auf Harschmort Manor bemerkte Dr. Svenson ein verändertes Verhalten seines Prinzen und kurz darauf verschwindet dieser sogar.
Alle drei Personen stoßen separat auf die Machenschaften einer geheimnisvollen Clique um die attraktive Contessa di Lavquer-Sforza, den Vizeminister Crabbé sowie den Industriellen Henry Xonck. Von diesen verfolgt und gejagt treffen sie zufällig aufeinander und verbünden sich, um den Geschehnissen auf den Grund zu gehen. Immer tiefer werden sie in die Geheimnisse des blauen Glases hineingezogen und drohen darin zu ertrinken.
Gordon Dahlquists „Glasbücher der Traumfresser“ entpuppt sich als eine faszinierende Mischung aus modernem Thriller und fantastischem Krimi im viktorianischen England am Ende des 19. / zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Der Aufteilung des Buches folgt auch die äußere Gestaltung: in einem ansprechenden, bläulichen Schuber sind „zehn komfortabel zu lesende Bände für die schlanke Damenhand und für den Herrn auf Reisen“ untergebracht. Jedes dieser Bände enthält ein Kapitel, in dem der Leser aus Sicht eines der drei Widersache der Clique mehr über das geheimnisvolle blaue Glas und seine Anwendungsmöglichkeiten erfährt. So können in kleineren Glaskarten und in größeren und ungleich machtvolleren Glasbüchern Erlebnisse von Personen aufgenommen und damit anderen zugänglich gemacht werden. Häufig drehen sich diese gespeicherten Erinnerungen um erotische Erinnerungen, mit deren Anziehungskraft sich die Clique einflussreiche Persönlichkeiten gefügig machen will.
Die Schilderung derartiger Erlebnisse rutscht dabei niemals ins klischeehafte ab, sondern wirkt dadurch besonders intensiv, dass der Leser diese zumeist aus Sicht von Miss Temple wahrnimmt und so zusätzlich ihre eigenen Gedanken während des Durchlebens solcher fremden Erinnerungen erfährt. Positiv gefällt hier die Schilderung des Zwiespalts, den Miss Temple durchlebt. Einerseits ist sie von dererlei Aktivitäten angewidert, insbesondere durch den voyeuristischen Aspekt solcher fremder Erinnerungen, andererseits üben die Eindrücke eine besonders starke Anziehungskraft auf die bisher unberührte Landpomeranze aus.
Negativ anzumerken ist der z.T. verwirrende Wechsel zwischen den verschiedenen POVs der Charaktere. Unproblematisch werden in den ersten drei Kapiteln Miss Temple, Kardinal Chang und Dr. Svenson eingeführt und ihre getrennte Verwicklung in die Aktivitäten der Clique geschildert. Nachfolgend kommt es aber teilweise dazu, dass ihre gemeinsamen Erlebnisse aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt werden und daher im Verlaufe der Erzählung auch zeitlichen Überschneidungen und Vermischungen auftreten.
Zudem erschwert die Vielzahl der Namen und die unterschiedlichen Motive aller Handelnden das Lesen. An dieser Stelle wäre ein Personenregister eine äußerst hilfreiche Beigabe gewesen.
Ab einem gewissen Punkt etabliert sich zudem ein gewisser Unglaube angesichts der Vielzahl von Zufällen und den Widrigkeiten, die die Hauptpersonen überwinden müssen, nur um kurze Zeit später vor dem nächsten Hindernis zu verzweifeln. Dennoch fiebert man so sehr mit den Protagonisten mit, dass man bereit ist, solcherlei Auffälligkeiten zu ignorieren, nur um noch tiefer in die unheilvollen Machenschaften der Clique vorzudringen und ihre Verschwörung aufzudecken.
Insgesamt gesehen ist dieses Buch keinesfalls als leichte Lektüre zu empfehlen. Wer jedoch bereit ist, sich auf aktives Lesen einzulassen und sich von der Vielzahl der Handelnden nicht abschrecken lässt, findet einen spannenden Thriller in viktorianischer Atmosphäre vor, der mit seinen zahlreichen Wendungen keine Langeweile aufkommen lässt.
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