Ich habe das Buch gleich nach Erscheinen der deutschen Ausgabe gelesen, und ich war sehr enttäuscht davon.
Nach den vielen Lobliedern (z.B. "das wichtigste Buch des Bücherherbstes" FAZ) hatte ich einen Roman mit mehr Tiefgang erwartet, und auch mit ausgereiften Protagonisten. Das Thema hat durchaus Potenzial, ausgeschöpft wurde es aber meiner Meinung nach nicht ansatzweise.
Wie Aeria sehe auch ich den größten Schwachpunkt in der Hauptperson.
Mae denkt und handelt ungefähr so selbstbestimmt wie ein Lemming, sie nimmt alles, was ihr innerhalb des Circle aufgetragen wird, ohne zu hinterfragen hin und führt es aus. Außerdem verfügt über unnatürlich wenig Empathie (Eltern, ehemaliger Freund).
Auf mich wirkte Mae als Person vollständig unglaubwürdig. Sie zweifelt nicht, sie reflektiert nicht, sie ist einfach nur linear und eindimensional dargestellt.
Ich hätte erwartet, daß aufgezeigt wird, wie es dazu kommt, daß sich ein Mensch oder auch die Mehrheit der Menschen im Netz gläsern machen und ihr Innerstes für jeden zugänglich machen. Das hat der Autor nicht geschafft, er hat es sogar meiner Meinung nach nicht einmal versucht.
In der Geschichte werden die Menschen gläsern, weil der Circle es vorschreibt bzw. die Möglichkeit dazu gibt und mehr oder weniger sanften Druck ausübt.
Mae folgt den Vorgaben wie ein Lämmchen der Herde.
Wo wird hinterfragt, wo werden Vor- und Nachteile abgewogen, wo herrschen Zweifel? Und was bringt letztendlich den Anstoß, sich doch gläsern zu machen?
Das alles fehlt mir in der Geschichte.
Mae macht keine Entwicklung durch, sie steht der Idee des gläsernen Menschen schon von Beginn an positiv gegenüber.
Die wenigen Antagonisten, die angeführt werden, setzen dieser positiven Darstellung nach meinem Empfinden auch nichts entgegen, weil die Geschehnisse um sie nach meinem Empfinden sehr übertrieben dargestellt sind.
Da wären der ehemalige Freund, der vor der bösen digitalen Welt in die Einsamkeit der Wälder flüchtet und am Ende bei einer spektakulären Drohnenjagd ums Leben kommt. Und die Eltern, die ausgerechnet beim Sex gefilmt werden.
Zwei Extremfälle. Ein realitätsnäheres Aufzeigen der Gefahren und eine umfassendere Darlegung der Einstellung und der Argumente der Menschen, die sich dieses digitalen Wahnsinns nicht fügen möchten, wäre überzeugender gewesen.
Abgesehen von der Hauptperson hatte ich noch mehr Kritikpunkte:
die anderen flachen Figuren, eine Sprache ohne Tiefe, es wird ein Klischee nach dem anderen bedient....
Manche Geschehnisse werden auch gut dargestellt, aber die kann man an einer Hand abzählen. Zum Beispiel wie Maes Eltern und ihr ehemaliger Freund genervt sind, als sie beim Essen permanent ihr Handy bedient.
Insgesamt sehe ich nicht, daß der Roman die wichtige und aufklärerische Rolle einnimmt, die ihm durch die Presse zugeschrieben wird.
Ich habe für das Buch nichts bezahlt. Hätte ich den hohen Preis für HC oder eBook gezahlt, hätte ich mich dieses mal unheimlich geärgert.
Sonst hake ich das unter "Pech gehabt" ab, aber in diesem Fall wäre ich mir ein bisschen veralbert vorgekommen.
Von mir leider nur
Gutes, aktuelles und brisantes Thema, leider mies umgesetzt.
Heutzutage teilen wir fast alles mit völlig Fremden: Urlaubsbilder, Bilder unserer Kinder, Gefühle wie Wut, Trauer oder Schmerz. Wir laden Nacktbilder in die Cloud [...] Wir facebooken und twittern, wir sind süchtig nach Likes und machen uns immer transparenter und transparenter. Sobald man auf eine Nachricht länger als 30 Minuten nicht antwortet, machen sich "Freunde" Sorgen um einen.
Machen "wir" das?
Ich nicht, nicht eine einzige der genannten Aktivitäten.
(Und ungelogen ALLE meiner engsten Freunde auch nicht)
Weil ich keinen Sinn darin sehe.
Deshalb hätte ich mir eine schlüssige Argumentationskette oder zumindest eine halbwegs glaubwürdige Wandlung der Hauptperson gewünscht, die mir aufzeigt, welchen Mehrwert mir solche Aktivitäten bringen.