"Durchaus möglich, ich könnte ihn vielleicht schon fünfzigmal gesehen haben, ohne zu wissen, wer er ist. Ein junger Farmer, ob zu Pferd oder zu Fuß, wäre der letzte Mensch, der meine Neugier erregt. Die kleinen Grundbesitzer gehören einer Menschenklasse an, die mich schon rein gefühlsmäßig nichts angeht. Jemand, der eine oder zwei Stufen tiefer steht und ein achtbares Aussehen hat, könnte mich interessieren, da ich dann mit Recht annehmen dürfte, ihren Familien irgendwie nützlich sein zu können. Aber da ein Farmer meine Hilfe bestimmt nicht braucht, nehme ich aus diesem Grunde keine Notiz von ihm, andererseits beachte ich ihn deshalb nicht, weil er gesellschaftlich unter mir steht."
***Klappentext***
„Emma“, das feingezeichnete Charakterbild einer energischen jungen Frau, eine Komödie der Irrungen um Liebe und Ehe.
***Inhalt***
Emma Woodhouse, eine junge Frau aus gutem Hause, lebt mit ihrem Vater, einem ziemlich komischen Kauz, in Highbury in der Nähe von London. Kurz zuvor hat Anne Taylor, ihre ehemalige Gouvernante und beste Freundin Mr. Weston geheiratet und ist ausgezogen, so dass Emma nun fast vor Langeweile eingeht, obwohl nur wenige Minuten die beiden trennen.
Emma ist klug, gebildet und ein wenig verwöhnt und sie gibt viel auf gesellschaftliche Unterschiede. In ihrer Langweile versucht sie in Highbury nun Schicksal zu spielen und Menschen miteinander zu verkuppeln, so wie sie es auch bei Mrs. Weston geschafft hat.
Ihr nächstes Opfer ist Harriet Smith, eine junge Waise, die in einem Internat lebt und keine großen Aussichten auf einen reichen Gentleman hat. Dies versucht Emma zu ändern und beginnt Harriet zu „formen“ und sucht nach geeigneten Männern. Zuerst konzentriert sie sich auf Mr. Elton, den Pastor von Highbury, in den sich Harriet schließlich auch Hals über Kopf verliebt. Doch dieser hat es nicht auf Harriet abgesehen, und so kommt es zu allerlei Verwicklungen.
Nachdem Emma kläglich scheitert und von Mr. Knightley, einem ehrlichen, direkten und liebenswürdigem Mann im besten Alter und ein Freund der Familie, ermahnt wird, erkennt sie, wie viel Unglück sie über ihre neue Freundin und sich selbst gebracht hat. Doch dies hält ihre Phantasie nicht ganz in Schach, so dass sie beim Auftauchen Frank Churchills zwar nicht direkt interveniert, aber doch nicht ganz die Finger vom Kuppeln lassen kann.
Doch Harriet hat ganz andere Vorstellungen von ihrem zukünftigen Ehemann und darüber könnte Emma sich freuen, wäre es nicht genau der Mann, in den sie sich verliebt hat...
***Leseprobe***
„Harriet war bestimmt nicht klug, aber von Natur aus sanft, gefügig und dankbar: gänzlich frei von Einbildung und nur von dem Wunsch beseelt, von einem Menschen angeleitet zu werden, zu dem sie aufschauen konnte. Emma fand es sehr liebenswert, dass sie sich so schnell an sie angeschlossen hatte und ihre Neigung zu guter Gesellschaft sowie die Fähigkeit zu erkennen, was elegant und hübsch sei, zeigte, dass sie auch Geschmack besaß, obwohl man keinen hohen Intelligenzgrad bei ihr erwarten konnte. Emma war völlig davon überzeugt, dass Harriet Smith genau die junge Freundin sei, die sie brauchte und die ihr zu Hause fehlte. Solch eine Freundin wie Mrs. Weston gab es nicht noch einmal. Das Schicksal würde einem nie zwei von dieser Art zubilligen, was sie sich auch gar nicht wünschte. Es war etwas völlig anderes –ein ausgeprägtes und ganz anders geartetes Gefühl. Die Zuneigung zu Mrs. Weston beruhte auf Dankbarkeit und Achtung. Harriet sollte wie eine Freundin geliebt werden, der man nützlich sein kann. Für Mrs. Weston konnte man nichts mehr tun; für Harriet alles.“
(Seite 31/32)
***Die besten Sätze***
„Er ist zweifellos bemerkenswert unansehnlich, aber das fällt gegenüber seinem völligen Mangel an Vornehmheit nicht ins Gewicht. Ich durfte nicht allzu viel erwarten und tat es auch nicht, aber ich hatte nicht gedacht, dass er derart bäurisch und ohne Stil sein würde. Ich gestehe, ich hatte ihn mir um etliche Grade vornehmer vorgestellt.“
„Aber dass er die Stirn hatte, von Ermutigung zu reden und anzunehmen, sie sei mit seinen Absichten einverstanden, kurzum, sie würde ihn heiraten –wie konnte er sich im Hinblick auf gesellschaftliche Verbindungen und Geist für ohresgleichen halten? Und dann auf ihre Freundin herabsehen, also die Rangstufe unter ihm zwar richtig einschätzen, aber für die über ihm stehenden blind zu sein und sich dann noch einzubilden, es sei keine Anmaßung sich um sie zu bemühen. Was für eine provozierende Einstellung. Vielleicht war es zuviel verlangt, von ihm zu erwarten, daß er bemerke, wie sehr er ihr an Talent und geistiger Gepflegtheit unterlegen war.“
***Meine Meinung***
„Emma Woodhouse, hübsch, klug und reich, im Besitz eines gemütlichen Heims sowie einer glücklichen Veranlagung, vereinigte sichtlich einige der besten Gaben des Lebens auf sich. Sie war schon fast einundzwanzig Jahre auf der Welt, ohne je wirklich Schweres oder Beunruhigendes erlebt zu haben.“
Sichtlich könnte man auch mit offenbar übersetzen und dies würde den Kern der Sache wohl besser treffen, denn Emma Woodhouse ist kein sonderlich sympathischer Charakter: Sie glaubt von sich selbst, sie sei vollkommen, da sie eben hübsch und klug ist, und nebenbei auch eine hohe gesellschaftliche Stellung innehat. Doch sie hat einen Fehler: Ihre Selbstüberschätzung. Im Grunde ist Emma ein liebenswertes Geschöpf, fast altruistisch, denn sie möchte allen Menschen helfen. Aber die Selbstüberschätzung, die ihr weder der hypochondrische, mürrische und vor lauter Liebe zu ihr blinde Vater, noch die nachgiebige Gouvernante austreiben konnte, lässt sie glauben, sie und ihr Handeln seien perfekt und eine Bereicherung für jeden Menschen.
Sie ist nicht böse, aber achtlos und das führt zu allerlei Komplikationen. Aus Langeweile versucht sie sich als Schicksal und überschätzt ihre Menschenkenntnis dabei maßlos, wie sie später feststellen muss. Für Kritik ist sie nicht zugänglich, denn sie glaubt sich selbst darüber erhaben, da sie vollkommen die Gefühle aller anderen Menschen zu kennen meint. Nur Mr. Knightley wagt es, sie zu kritisieren und versucht sie, zum Nachdenken anzuregen. Dies gelingt aber erst, nachdem sie alle ins Unglück gestürzt hat, allen voran, sich selbst.
„Emma“ ist ein Roman über die Entwicklung einer jungen Frau, die im Laufe der Zeit erwachsen und reif wird, und die Liebe als ein schützenswertes Gut kennen lernt, das man nicht manipulieren sollte. Jane Austen hat keinen reinen Liebesroman geschrieben, auch wenn die Liebe wie immer im Mittelpunkt der Handlung steht. „Emma“ zeigt eine junge Frau der oberen Gesellschaftsschicht, die erwachsen werden muss, um ihr Glück zu finden. Viel Wert wird auf deutliche Charakterstudien gelegt, Ironie und Witz sowie karikierte Figuren des alltäglichen Lebens machen den Roman zu einem wunderbaren Lesevergnügen.
Emma, die manipulativ in das Leben anderer eingreift, sich schamlos selbst überschätzt und teilweise widerlich eingebildet ist, aber andererseits, vor allem im Verlauf der weiteren Handlung, sehr liebenswürdig, zu sich selbst ehrlich ist, und kluge Betrachtungen über die sie umgebenden Menschen anstellt. Sie ist der Mittelpunkt der Geschichte, auch wenn sie nicht sonderlich sympathisch wirkt, liest man sie gerne und freut sich über ihre teilweise gehässigen Gedanken zu den Mitglieder der englischen Oberschicht.
Mr. Knightley, ein Traum von einem Mann: Liebenswürdig, ehrlich, direkt. Er hat eine eigene Meinung und vertritt diese, im Gegensatz zur übrigen Gesellschaft, fest und entschlossen. Hilfsbereit und gut aussehend, mit vornehmen Manieren, hat er einfach Stil und ist das Sinnbild eines Gentlemans. Man freut sich auf jeden seiner Auftritte, in denen er Emma meist gnadenlos die Wahrheit sagt.
Besonders die unangenehmen Zeitgenossen wie Mrs. Elton, eine widerlich selbstverliebte Zicke und Miss Bates, eine ständig redende Nervensäge, erhöhen den Witz der Darstellung.
Mit ihrer schönen Sprache schafft es Jane Austen, dass man sich völlig in die Handlung und die damalige Zeit hinfallen lassen kann und mühselig aus dem 19. Jahrhundert auftauchen muss, wenn es jemand wagt, die Lektüre zu unterbrechen.
Kurzweilig erlebt man die dörfliche Gesellschaft mit ihren liebenswerten und schrulligen Charakteren, die durch viele interessante Details und alltägliche Handlungen realistisch und lebendig erscheinen. Ob man sich nun beim Erdbeerpflücken vergnügt oder einen Pflichtbesuch bei einer Nachbarin absolviert, man wird direkt in die Geschichte hineingezogen.
Aus einem sehr trivialen Thema hat Jane Austen ein Meisterwerk des Vergnügens erschaffen, in dem man sich vollkommen wohl fühlt und mit den Charakteren mitleidet, sich freut und sich aufregt.
Allerdings kann „Emma“ nicht ganz mit „Stolz und Vorurteil“ mithalten. Mir fehlte hier ein wenig der Witz und die mehr als amüsanten Dialoge Lizzis, die wunderbar schlagfertig ihre Meinung zum Ausdruck bringen konnte und Menschen beleidigt hat, so dass diese es nicht einmal bemerkt haben. „Emma“ ist nun einmal ein anderer Charakter, auch wenn es viele Parallelen zu „Stolz und Vorurteil“ zu entdecken gibt.
***Meine Ausgabe***
Ich habe „Emma“ in der Ausgabe des Insel Verlages gelesen. Die Übersetzung ist durchweg gut und angenehm zu lesen, zum ende hin häufen sich aber Rechtschreibfehler, die auf mangelhafte Korrektur zurückzuführen sind. Wörter fehlen, werden zusammengeschrieben („Unddas"). In diese Ausgabe gibt es etliche Illustrationen von Hugh Tompson, jedoch keine erläuternden Anhänge oder Fußnoten, was ich sehr schade finde. Vorne findet sich eine kleine Rezension und Inhaltsangabe, einige wenige Informationen zu Jane Austen und hinten ein paar Zeilen zu dieser Ausgabe und der Originalausgabe.
Die Illustrationen sind nicht besonders herausragend, aber für zwischendurch ganz nett.
***Empfehlung***
Uneingeschränkt für Mann und Frau. Ihre werke sind keine reinen Liebesromane, sondern gesellschaftskritische Betrachtungen aus Sicht einer klugen und sensiblen Frau mit modernen Gedanken. Sie zeichnet in jedem ihrer Romane ein detailgetreues Bild der damaligen Gesellschaft, in der sich vorrangig alles um Liebe und Hochzeit und Geld drehte.
***Hard Facts***
Titel: „Emma“
Originaltitel: „Emma“
Autor: Jane Austen
Übersetzer: Charlotte Gräfin von Klinkowstroem
Verlag: Insel
Erscheinungsjahr: 1980
Erstausgabe: 1815
ISBN: 3458322116
Seiten: 549 Seiten
Genre: Klassiker (Gesellschaftsroman)
Wann und Wo: 19. Jahrhundert, England, Highbury (bei London)
***Links***
http://de.wikipedia.org/wiki/Jane_Austen
http://www.jane-austen.de/
http://www.bibliomania.com/0/0/6/11/frameset.html
http://www.pemberley.com/
http://www.jane-austens-house-museum.org.uk/
http://janeausten.ja.funpic.de/werk/e-summ.htm
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