Bislang habe ich noch jedes Buch von Kristin Harmel gelesen und auch dieses Mal hat mich die Autorin nicht enttäuscht! Die Figuren gelingen ihr derart gut, dass ich schon nach wenigen Seiten das Gefühl habe, sie zu kennen und regelrecht vor meinen Augen zu sehen. In „Das Buch der verschollenen Namen“ bleibt sich die Autorin ihrem Prinzip treu und erzählt die Geschichte aus zwei zeitlichen Perspektiven - eine, die 2005 spielt, und die andere, die den allergrößten Raum einnimmt, und 1942 beginnt:
Eva entkommt nur durch einen Zufall der Pariser Verhaftungswelle im Juli 1942 durch französische Polizeibeamte und Deutsche. Ihr in Polen geborener Vater jedoch wird mit über 13.000 Jüdinnen und Juden verhaftet und kurz darauf in Drancy interniert. Die junge Frau schafft es gemeinsam mit ihrer Mutter nach Aurignon, einem pittoresken Bergdorf im noch unbesetzten Frankreich (Freie Zone später Südzone)… Schon bald lernt sie eine Handvoll Menschen kennen, die ihr klar machen, dass sie eine Gabe hat, mit der sie das Leben anderer Menschen retten kann. So beginnt Eva, ihr Talent zu nutzen und vor allem Kindern eine neue Identität zu verschaffen. Doch ist das rechtens? Wer erzählt den Kleinsten später einmal, wer sie wirklich sind und woher sie kommen? Wer schafft die Grundlage dafür, dass sie in der Zukunft ihre Familien suchen und finden können? Eva und Rémy, mit dem sie Seite an Seite arbeitet, haben eine Idee - doch diese ist ebenso gefährlich wie ihre Fälschereien selbst…
2005 ist Eva eine alte Dame - noch sehr rüstig und vor allen Dingen mit klaren Gedanken. Doch ihre Vergangenheit lässt sie auch nach all den Jahren nicht los. Die Tatsache, dass sie ihren Ehemann und ihren Sohn über ihr früheres Leben in Frankreich gänzlich im Unklaren gelassen hat, beschäftigt sie nach einem Artikel in der New York Times sehr stark und so fasst sie einen Entschluss: sie muss zurück nach Europa, nach sechs langen Jahrzehnten.
Dieser Roman ist nahezu von der ersten Seite an ein Pageturner. Kristin Harmel hat es wieder einmal perfekt verstanden, die Vergangenheit mit der neueren Zeit zu verweben. Eva ist mir so sehr ans Herz gewachsen - sie ist eine beeindruckende Frau, damals wie 2005. Was sie getan hat und wofür sie nie einen Dank haben wollte… mir ist klar, dass diese Figur so nicht existiert hat, aber ich weiß eben auch, dass es solche selbstlosen Menschen gab. Menschen, die alles riskiert haben, um andere zu retten - ihr Leben und ihre Identität irgendwie zu bewahren. Das alleine ist ein hell strahlendes Licht in der dunkelsten Zeit der deutschen und europäischen Geschichte.
Möglicherweise hat mich die Tatsache, dass ich die anderen Romane Harmes kenne, ein paar Kniffe ahnen lassen - aber das hat meiner Lesebegeisterung keinen Abbruch getan.
„Das Buch der verschollenen Namen“ ist ein anrührendes und zugleich auch spannendes Buch! Es mag nun paradox klingen, aber dieser Roman ist für mich ein Buch, bei dem ich mich wohlfühlen konnte - trotz der schrecklichen Erlebnisse, die mitunter geschildert werden und ohnehin die ganze Zeit mit im Raum stehen. Denn etliche der Figuren sind mir ans Herz gewachsen, weil sie mir zeigen, dass es auch in schlimmsten Zeiten immer Menschen gibt, die anderen Licht und Hoffnung bringen können, die mit einem unfassbaren Mut und ihrer Aufopferung für andere einstehen und tiefste Menschlichkeit beweisen.
Der Erzählstrang 2005 ist sehr schmal gehalten, vielleicht hätte ich mir da ein paar mehr Worte gewünscht - vor allem am Ende. Angesichts der Tatsache, dass ich diesen Roman in einem Rutsch an einem Sonntag verschlungen habe, ist das aber ein minimalster Kritikpunkt.