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Morrissey - Autobiography
Es handelt sich hier um die Autobiografie von Steven Patrick Morrissey, bekannt geworden als Sänger und Lyriker der Band "The Smiths", die 1982 bis 1987 existierte. Seither hat Morrissey (Vor- und Mittelnamen legte er gleich zu Beginn ab) zahlreiche Soloalben veröffentlicht und wird von Anhängern ebenso abgöttisch verehrt, wie von teilweise hauptberuflichen Kritikern zutiefst verabscheut. Einig sind sich indes alle, dass Mozzer ein schwieriger und nicht gerade umgänglicher Charakter ist. Seine Autobiografie, die er schon vor etwa zehn Jahren angekündigt hatte, ist nun endlich am 17. Oktober 2013 erschienen - und zwar, was wieder einmal für Irritation sorgte, in der Reihe Penguin Classics, die normalerweise, nun ja, eben Klassikern vorbehalten ist. Auch dies hat bei eingeschworenen Feinden Zähneknirschen ausgelöst.
Als Fan sowohl der Smiths als auch Morrisseys musste ich das Buch natürlich lesen. Zunächst wird Morrisseys Kindheit und Jugend als Sprössling einer Arbeiterfamilie in Manchester beschrieben, dieser Teil ist von der professionellen Kritik besonders gelobt worden: Es ist eine düstere, aber poetische Milieuschilderung und anders, als im weiteren Verlauf des Buchs, hält der Autor seine Person hier noch etwas im Hintergrund. Mein Lieblingssatz: "Birds abstain from song in post-war industrial Manchester [...]". Morrissey weiss nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll und macht die traditionell höchst traumatische Erfahrung einer englischen Schul-"bildung", die im wesentlichen aus dem Bekanntwerden mit jeder Form von Gehässigkeit und fortwährender Disziplinierung besteht. Hier lernen die Arbeiterkinder, dass sie keine Zukunft haben und auch keine erwarten sollen - und das noch vor Thatcher, einem besonderen Hassobjekt (sicher nicht nur) Morrisseys. Aber Individualist, der er ist, lässt sich Morrissey nicht so ohne Weiteres im Zaum halten, er entdeckt Bands, die einen neuen Ton, etwas von Freiheit in die triste Landschaft hineintragen, den frühen David Bowie, T. Rex - und vor allem die New York Dolls, die in full drag auftreten und an den Klischees der Rockmusik rütteln. Schliesslich trifft Morrissey auf Johnny Marr, einen brillianten Gitarristen und Songwriter, und die Smiths erblicken das schummrige Licht der Welt. Wie es weiter geht, ist weitgehend bekannt...
Für mich als "Anhänger" Morrisseys war die Lektüre natürlich spannend und gewinnbringend, trotzdem kann ich die Autobiografie - vor allem nicht-Fans - nicht ganz vorbehaltlos empfehlen. Der vielgelobte erste Teil erschien mir ungeachtet seiner Qualitäten ein wenig desorganisiert, Morrissey springt hin und her, zeitlich und thematisch, hier hätte ich mir etwas mehr Struktur gewünscht. Der Rest des Buches war für mich äusserst interessant, sogar über Morrisseys Privatleben - bzw. seine vieldiskutierte freiwillige celibacy - erfährt man ein wenig: seine erste ernsthafte Beziehung hatte er Mitte dreissig mit einem Mann namens Jake. (Einer Pressemitteilung zufolge sieht sich Moz allerdings eher als "humasexual" denn "homosexual", falls das weiterhilft.) Ein Kritikpunkt ist die unvermeidliche Giftigkeit vieler Passagen - endlos schreibt sich, so scheint es, die Liste der Menschen fort, die von Morrissey "gerettet" worden sind und ihn schliesslich böswillig verraten haben - und der Abschnitt über die gerichtlichen Auseinandersetzungen über Smiths-Erträge des Schlagzeugers Mike Joyce ziehen sich geradezu ewig hin und jeder kriegt sein Fett gleich mehrfach weg. Wenn jemand einmal als Böser gebrandmarkt ist, schreckt Morrissey auch nicht vor ziemlich fiesen Kommentaren über Aussehen und mangelnde Eloquenz der betreffenden Personen zurück. Leider lässt sich (naturgemäss) oft nicht erschliessen, in welchem Ausmass die Fehler tatsächlich bei den "anderen" liegen und wie gross umgekehrt der Anteil von Morrisseys Selbstverklärung ist - aber das ist wahrscheinlich auch gar nicht nötig und Privatsache der Beteiligten.
Insgesamt handelt es sich hier um Pflichtlektüre für alle Fans, frisches Futter für alle Hasser, und eine über weite Strecken wirklich interessante und stellenweise etwas langwierige und ermüdende Lebensbeichte für alle anderen, so sie denn, durch welchen Zufall auch immer, über dieses Buch stolpern sollten - geschrieben von einem höchst sensiblen, überaus intelligenten, hoffnungslos narzisstischen und wohl auch einigermassen verbitterten Zeitgenossen, der meiner unmassgeblichen Meinung nach einer der grössten Lyriker der Popmusik ever ist. Wie so oft steht vermutlich, das ist jedenfalls mein Gefühl, Unsicherheit hinter der Arroganz, besonders deutlich wird das gegen Ende, als Morrissey unermüdlich und immer wieder die Begeisterung beschreibt, die ihm bei Konzerten entgegengebracht wird, während er gleichzeitig darüber reflektiert, dass er all das niemals einfach akzeptieren, damit zufrieden sein, es gut sein lassen kann. Aber wo käme man auch hin, wenn man es gut sein liesse, zumal es doch schlecht ist? Jedenfalls nicht dorthin, wo Morrissey ist - und ganz genau dort gehört er auch hin: auf einen Sockel, eine lebende Ikone.
Für all das kann es vielleicht keine volle Punktzahl geben, jedoch auch keine Ratte weniger als:
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PS.
Morrissey hat übrigens in keinem Geringeren als Terry Eagleton einen besseren Fürsprecher als mich gefunden, hier der Link zu seiner Rezension im Guardian:
http://www.theguardian.com/boo…raphy-by-morrissey-review